Eine für alle?

In einigen europäischen Ländern gibt es einen großen islamischen Verband, der alle Muslime vertreten soll. Dabei gibt es unterschiedliche Konzepte der Repräsentation. Ein Vergleich von Nimet Seker

Große Moschee in Paris; Foto: Arian Fariborz
Große Moschee in Paris

​​Der jüngst gegründete "Koordinationsrat der Muslime in Deutschland" soll endlich eine rechtliche Gleichstellung der Muslime ermöglichen und als offizieller Ansprechpartner dienen. In einigen europäischen Ländern gibt es bereits einen solchen Verband, der die Mehrheit der Muslime vertreten will und im Dialog mit dem Staat steht. Doch inwiefern können die Verbände diesem Anspruch gerecht werden?

Spanien: Abkommen mit dem Staat

Muslime stellen in Spanien 2,5 Prozent der Bevölkerung dar. Die Mehrzahl stammt aus Nordafrika, wobei die Anzahl der spanischen Konvertiten jährlich zunimmt.

Der Rechtsstatus des Islam wurde 1992 in einem Kooperationsabkommen zwischen dem Staat und der "Spanischen Islamischen Kommission" (CIE) geregelt, die aus zwei Föderationen besteht. Darin sind alle Moscheen repräsentiert, die sich in ein Register eintragen lassen. Die CIE hat keinen Präsidenten, dafür aber zwei Generalsekretäre. Entscheidungen kommen nur zustande, wenn sich beide Föderationen einig sind.

Eingetragene Gemeinden verfügen über ein Führungsgremium, das sie vertreten soll. Bisher gehören schätzungsweise 30 Prozent der Gemeinden der CIE an. Alle anderen Gemeinden und Muslime, die sich nicht durch eine Moschee vertreten fühlen, genießen nicht den Schutz des Abkommens.

Weil der Säkularismus eines der spanischen Staatsprinzipien ist, gibt es eigentlich keine rechtliche Grundlage für solche Abkommen mit bestimmten Glaubensgemeinschaften. Der Staat hat aber mit Organisationen beider christlicher Konfessionen sowie der jüdischen Gemeinde ein vergleichbares Abkommen getroffen. Damit ist der Islam mit den übrigen großen Religionen rechtlich gleichgestellt.

Österreich: Kritik aus den eigenen Reihen

In Österreich herrschen, was die Stellung des Islam betrifft, klare Verhältnisse: Seit 1912 ist der Islam als Religion anerkannt, die "Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich" (IGGiÖ) genießt seit ihrer Gründung 1979 den Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts.

Angesichts dessen wurde das österreichische Modell häufig als vorbildlich gepriesen. Wenn es da nicht ein großes "Aber" gäbe: Auch wenn die IGGiÖ alle Muslime vertreten will, fühlen sich die in Österreich lebenden Schiiten und Aleviten keineswegs vertreten und wollen sich auch nicht durch die IGGiÖ vertreten lassen. Die Aleviten haben stattdessen 2006 einen Antrag zur Anerkennung des Alevitentums als eigene Religion im österreichischen Kultusamt vorgelegt.

Aber auch aus den Reihen der Sunniten erheben sich nun kritische Stimmen, die die IGGiÖ als nicht repräsentativ und ihre Strukturen als undemokratisch bezeichnen.

Der wichtigste Kritikpunkt betrifft die Mitgliedschaft: Nur wer den jährlichen Beitrag zahlt, ist Mitglied und wahlberechtigt. Aber die Mehrheit der Muslime in Österreich wäre damit nicht wahlberechtigt, weil sie den Beitrag nicht zahlt. Zu Wahlen oder Mitgliederlisten macht die IGGiÖ keine Angaben.

Es soll auch vorgekommen sein, dass der Beitrag ohne Kommentar zurück überwiesen und damit die Mitgliedschaft abgelehnt worden war, wie im Falle von Günther Ahmed Rusznak, dem Generalsekretär des "Islamischen Informations- und Dokumentationszentrums" und schärfstem Kritiker der IGGiÖ.

Und obwohl die österreichischen Muslime zu 70 Prozent türkischstämmig sind, setzt sich die Führung der IGGiÖ fast nur aus arabischstämmigen Muslimen zusammen. Damit gerät der staatlich verankerte Alleinvertretungsanspruch der IGGiÖ allerdings stark ins Wanken.

"Französischer Islam" per Staatsdekret?

Obwohl der "Französische Rat Muslimischen Glaubens" (Conseil Français du Culte Musulman) 2003 auf Veranlassung des damaligen Innenministers Sarkozy gegründet wurde, ist er nur informell vom Staat als Ansprechpartner anerkannt. Der rechtliche Status des Rats entspricht dem eines gemeinnützigen Vereins.

Die Wahlbeteiligung unter den 4032 Delegierten der französischen Moscheen lag bei den ersten Wahlen bei 88 Prozent. Die Anzahl der Delegierten orientiert sich an der Größe der Moscheen, wobei es auf regionaler Ebene wieder 25 Vertretungen gibt.

Trotz so viel Repräsentation wird der Vertretungsanspruch des CFCM immer wieder kritisiert, zumal die französische Regierung Einfluss auf den wichtigsten Posten des CFCM hat. Immerhin hat Sarkozy es geschafft, seinen Wunschkandidaten, den Imam der Pariser Zentralmoschee, Dalil Boubakeur, an die Spitze des CFCM zu installieren.

Offensichtlich wünscht sich der französische Staat einen Ansprechpartner, der einen "liberalen" Islam vertritt und beispielsweise bei der Umsetzung des Gesetzes über das Verbot von religiösen Symbolen an Schulen hilfreich mitwirkt.

Gerade dies sorgt immer wieder für Unmut unter den französischen Muslimen, die in der Umsetzung solch einer Politik ihre Interessenvertretung nicht wiederfinden. Andere Kritiker dagegen finden den Rat zu radikal, da eine der dazugehörenden Föderationen den ägyptischen Muslimbrüdern nahe stehen soll.

Großbritannien: Uneinigkeit in der politischen Ausrichtung

In Großbritannien gründete sich der "Muslim Council of Britain" 1997 mit Unterstützung der Labour-Regierung. Er leitet seinen Vertretungsanspruch dadurch ab, dass er viele Organisationen aus der ganzen Palette der britischen Muslime unter einem Dach vereint. Damit wären etwa 70 Prozent der britischen Muslime repräsentiert.

Einst stand der MCB mit der Labour-Regierung auf gutem Fuß, seit den Londoner Terroranschlägen aber fühlen sich viele Muslime von der Regierung schlecht behandelt und falsch verstanden.

Der "Muslim Council of Britain" erfüllt eine schwierige Doppelfunktion: Einerseits versucht er, durch Lobbyarbeit einen strengeren Islam in der Praxis zu ermöglichen, andererseits muss er den Erwartungen der britischen Öffentlichkeit bezüglich einer scharfen Ablehnung von Terror und islamistischen Gewaltakten entgegenkommen.

Das ist aber noch das geringere Problem. Zwar stammen die meisten britischen Muslime aus dem indischen Subkontinent, sie bilden aber keine homogene Gruppe.

Die größere Gruppe der sufistisch orientierten Barelwi ist schlecht organisiert und bezweifelt, dass der MCB tatsächlich alle Muslime vertreten kann, weil er von den Deobandi dominiert ist, die einen strengen Islam praktizieren und politisch organisiert sind.

Die Barelwi selbst werden durch das "British Muslim Forum" vertreten, das nicht zum "Muslim Council of Britain" gehört.

Obwohl es kein Abkommen mit dem Staat über die Angelegenheiten der Muslime gibt, wird der Bau von islamischen Schulen und Hochschulen in Großbritannien staatlicherseits gefördert.

Nimet Seker

© Qantara.de 2007

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