Geschlossen gegen den Terror
Es ist eine surreale Szene am Strand des "Imperial Marhaba Hotel" im tunesischen Sousse. Die meisten können es immer noch nicht begreifen, was hier geschehen ist. Einige Badeliegen sind mit gelbem Band als Tatort abgesichert. Überall stapfen Journalisten mit Kameras, Fotoapparaten und Notizblöcken durch den weißen Sand. Dazwischen wandern noch einige Urlauberfamilien in Badehosen und Bikini das Meer entlang und halten kurz neugierig inne.
Andere kommen und legen Blumen nieder. Manche der Touristen bekreuzigen sich. Jemand hatte mitten in den Blumenberg einen Zettel mit einer einfachen Frage gesteckt: "Warum?" steht dort in großen Lettern. Warum wurden hier von einem tunesischen Studenten 38 Menschen erschossen? Touristen, die sich nichts ahnend auf diesen Liegen gesonnt haben.
Die meisten der Hotelgäste sind inzwischen abgereist. Einige wenige sind geblieben und sitzen trotzig am Pool, darunter auch ein Paar aus dem Sauerland. Als das Attentat geschah, waren sie gerade auf einem Ausflug. Wenn sie sich nicht für die Kurzreise entschieden hätten, wären sie wahrscheinlich auch unten am Strand gewesen. Als sie von ihrem Ausflug zurückkehrten, konnten sie noch beobachten, wie die Leichen aus ihrem Hotel getragen wurden. Abreisen wollten sie dennoch nicht, obwohl ihnen das der Reiseveranstalter angeboten hatte. "Wir wollen auch ein Zeichen setzen, dass wir uns nicht von diesen Idioten unterkriegen lassen!", meint Raimond Mensebach. "Die dürfen ihr Ziel nicht erreichen."
Einer dieser "Idioten", wie der deutsche Urlauber sie nennt, war der 23-jährige Student Seifeddin Rezgui, der bis dahin in keiner Weise auffällig geworden war, bevor er am vergangenen Freitag (26.06.2015) mit einem Sturmgewehr am Strand von Sousse auftauchte, um ein Blutbad anzurichten, das der "Islamische Staat" später im Internet für sich reklamierte.
Das Versagen der Sicherheitskräfte
Nach allem, was der Augenzeuge Amir Ben Hajj Hasein berichtete, haben sich die tunesischen Sicherheitskräfte am Tag des Anschlags kein Ruhmesblatt verdient. Er habe Schüsse gehört und gesehen, wie die Touristen davon liefen. Da seine Eltern am Stand waren, sei er in die Gegenrichtung gelaufen. Der Attentäter schoss zu dieser Zeit am Pool wie wild um sich. Fünf Minuten später waren zwei bewaffnete Mitglieder der tunesischen Nationalgarde vor Ort. Doch diese hätten Angst gehabt, hinunter zum Strand zu eilen. Einer von ihnen wurde regelrecht von den Anwohnern dazu gedrängt zum Anschlagsort zu eilen, er habe sich sogar hinter ihnen versteckt. Als dann eine Granate explodierte, sei der Polizist schließlich davongelaufen.
Währenddessen hätten Hotelpersonal und Einwohner versucht, so viele Urlauber wie möglich in Sicherheit zu bringen. Ein Animateur des Hotelpersonals hatte schließlich einen Polizisten angefleht, ihm seine Waffe zu geben, damit er den Angreifer stellen könne. Dann sei der Attentäter ruhig davon spaziert, zunächst in Richtung des benachbarten Hotels, dann habe er sich aber doch entschlossen, hoch zur Straße zu gehen. Dort wurde er von den Anwohnern mit Steinen und allem beworfen, was sie zur Hand hatten. Einer warf vom Dach eine Badezimmerfliese auf ihn und traf ihn am Kopf.
"Macht was Ihr wollt, ich werde nicht auf Euch schießen!", soll der Angreifer gerufen haben, der es laut Augenzeugenberichten ausschließlich auf ausländische Touristen abgesehen hatte. Einem Tunesier, der am Strand versucht hatte, ihm die Waffe wegzureißen, soll er zugerufen haben: "Lass' mich in Ruhe, den Tunesiern wird nichts geschehen." Schließlich wurde der Attentäter von einem in der Zwischenzeit angerückten Polizisten in den Kopf geschossen.
Erwachen aus der Schockstarre
Es dauert auch ein ganze Weile bis das politische Tunesien aus seinem Albtraum und seiner Schockstarre aufwachte. Am letzten Samstag versammelten sich nach Einbruch der Dunkelheit und dem Fastenbrechen im Ramadan die Menschen an mehreren Orten in Sousse zu Demonstrationen in der Innenstadt, aber auch vor dem außerhalb der Stadt gelegenen Hotel, wo der Anschlag stattgefunden hatte.
"Wir richten uns gemeinsam gegen den Terrorismus!", rufen sie, singen die Nationalhymne und demonstrieren politischen Schulterschluss. Politiker der säkularen Partei "Nidaa Tounes", der "Ennahda" und der tunesischen Oppositionsparteien, aber auch zahlreiche Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen sind gekommen. "Wir müssen in dieser schwierigen Zeit alle zusammenstehen", erklärt der auf der Demonstration anwesende Arbeitsminister Zied Ladhari, der der "Ennahda"-Partei angehört, im Gespräch mit Qantara.de. "Die Terroristen hassen unser demokratisches Projekt – das bislang einzig erfolgreiche in der arabischen Welt", sagt er. Zwar hätten die Tunesier diese eine Schlacht verloren, aber den Krieg gegen den Terror werde man am Ende doch gewinnen – auch wenn dafür ein "sehr langer Atem" vonnöten sei, glaubt er.
Dieser Kampf werde an vielen verschiedenen Fronten geführt: innerhalb des Polizeiapparats, im Bildungssystem, innerhalb der tunesischen Wirtschaft. Zied Ladhari billigt auch die jüngste Entscheidung der Regierung, 80 Moscheen schließen zu wollen, die als Rekrutierungshochburgen der radikalen Islamisten gelten. Es habe nach der Revolution ein gewisses "religiöses Chaos" gegeben, räumt er ein. Natürlich sei die Religionsfreiheit in der Verfassung garantiert. Aber die könne durchaus auch eingeschränkt werden, wenn Menschen versuchten, Gewalt im Namen der Religion zu legitimieren, meint der Arbeitsminister.
Der Terror kennt keinen festen Ort und keine feste Zeit
Der Bürgermeister von Sousse, der drittgrößten tunesischen Stadt, ist ebenfalls auf der Demonstration zugegen und zu einem Gespräch bereit. "Der Terrorismus kennt keinen festen Ort und keine feste Zeit. Jeder kann betroffen sein. In diesem Fall richtet er sich gegen unsere Demokratie", sagt Abdel Malik Salameh. Er fordert daher verschärfte Sicherheitsmaßnahmen und vor allem eine effektivere Geheimdienstarbeit. "Wir müssen gegen diese Terroristen vorgehen", so Salameh. Dies müsse bereits geschehen, noch bevor solche Operation geplant und realisiert würden.
Auch andere Demonstranten, wie die Französisch-Lehrerin Schiraz Schedli, die sich an diesem Abend in eine tunesische Fahne umhüllt hat, plädiert für härtere Maßnahmen im Umgang mit radikalen Islamisten. "Deren Moschee müssten geschlossen, ihre politischen Vertretungen, wie die Tahrir-Partei, die ein Kalifat in Tunesien fordert, müssten verboten werden", meint sie. "Wir brauchen ein neues Anti-Terrorgesetz, und wir dürfen dafür keine Zeit verlieren, bevor noch schlimmeres passiert. Und vor allem: "Wir müssen auf die Straße gehen und zeigen, dass wir vor den Extremisten keine Angst haben!"
Karim El-Gawhary
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