Den Teufelskreis des Hasses durchbrechen
Die Ideen, die den ideologischen Nährboden für den Terroranschlag in Neuseeland bilden, müssen dringend bekämpft werden. Sonst können sie zu neuen Religionskonflikten führen. Denn das Attentat von Christchurch ist eine allerletzte Warnung vor dem Ende einer Idee der Koexistenz verschiedener Religionen.
Die Fundamente für religiöse Koexistenz zu legen, war keine leichte Aufgabe für die Weltgemeinschaft. Eigentlich sollte diese Idee noch besser verankert werden, um die Welt vor den Schrecken, den Gräueltaten und den Kriegen zu bewahren, die sie in der Vergangenheit im Namen der Religion heimgesucht haben.
Aber die Zukunftsvision des 28 Jahre alten Attentäters aus Christchurch sieht ein anderes Szenario vor. Er spielt dazu in seinem Manifest auf das Lied „Remove Kebab“ an. „Remove Kebab“ war zunächst ein anti-muslimisches Lied serbischer Kämpfer im Bosnienkrieg.
Heute ist es eine beliebte Referenz in rechten Kreisen und steht symbolisch dafür, „die Invasion Europas durch den Islam zu beenden“. Als eine Art Glaubenssatz verwenden vor allem junge Anhänger rechtsextremer Agitatoren im Westen „Remove Kebab“, die aus ideologischer Überzeugung Hass gegen Muslime verbreiten.
Diese Ideologie zeigt sich auch deutlich im dem wirren Manifest von Brenton Tarrant, das er unter dem Titel “Der große Austausch“ (The Great Replacement) kurz vor dem Anschlag an Medien und führende Persönlichkeiten verschickt hat.
Inspiriert ist das Manifest von einer Verschwörungstheorie, die unter Rechtsextremisten weit verbreitet ist. Sie bezieht sich auf den französischen Publizisten Renaud Camus und dessen Vorstellung, dass die „europäischen Völker“ durch Zuwanderung und eine höhere Geburtenrate unter Migranten ausgetauscht werden sollen.
Camus gilt als ein Vordenker der extrem rechten französischen Partei Front National von Marine Le Pen. Aus seiner Verschwörungstheorie vom „großen Austausch“ ist mittlerweile ein weit verbreitetes Schlagwort zahlreicher radikaler Gegner von Migration geworden.
Trump als „Symbol der erneuerten weißen Identität“
Zwar betont der in Neuseeland geborene Australier Tarrant, dass er sich keiner bestimmten Organisation zugehörig fühlt. Er versteht sich jedoch als Europäer und hat für rechte Gruppierungen gespendet sowie Ideen und Bewegungen unterstützt, die sich gegen die angebliche „Invasion der Muslime“ richten und seiner Meinung nach europäischen Boden zurück erobern wollen. Auch aus seiner Bewunderung für den amerikanischen Präsidenten Donald Trump, den er für „ein Symbol der erneuerten weißen Identität“ hält, macht der Attentäter keinen Hehl.
Noch sind die genauen Hintergründe des Terroranschlags nicht bis ins Detail geklärt. Wir sollten uns daher auf das konzentrieren, was wir bisher wissen: Den Nährboden für den Anschlag bildet die Ideologie der extremen Rechten im Westen, für die Donald Trump, aber auch Marine Le Pen als Symbole stehen. Die Niederlage von Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen von 2017 hat offenbar das Motiv für den Angriff auf die beiden Moscheen beflügelt.
Der Attentäter bezieht sich in seinem Manifest aber auch auf den Anschlag von Stockholm vom April 2017. Damals raste in der Stockholmer Innenstadt ein usbekischer Attentäter mit einem Lastwagen gezielt in eine Fußgängerzone und tötete fünf Menschen, darunter ein elfjähriges Mädchen. Der Attentäter, Rakhmat Akilov, bekannte sich laut schwedischer Polizei zum sogenannten Islamischen Staat.
So wie Akilov handelte auch Tarrant als „einsamer Wolf“, wenn auch unter anderen Vorzeichen und noch brutaler. Seine Tat verstand er als Rache an Anschlägen von Tätern wie Akilov. Sie zielte darauf ab, möglichst viel Angst und Schrecken zu verbreiten. Auf seinem Twitter-Account schrieb er: „Der Schock nach meiner Tat wird sich auf die kommenden Jahre auswirken, auf Politik und Gesellschaft. Sie wird ein Klima der Angst schaffen, Dinge werden sich ändern. Das war das Ziel.“
Während das Attentat von Akilov in Schweden dem Täter von Christchurch einen Vorwand für sein Handeln lieferte, erweist dieser wiederum den salafistischen Terrorgruppen einen Dienst. Für sie hätte es nicht besser kommen können. Der Islamische Staat (IS) könnte sogar zum Hauptnutznießer dieses unverhofften Geschenks avancieren, das er sicher dankend annimmt.
Mit einer schnellen Reaktion könnte sich die Terrororganisation neues Leben einhauchen, ihre Popularität wieder steigern und ihren Kurs bei denjenigen verbessern, die auf Rache aus sind: Denn die Opfer des Anschlags wurden hinterhältig während des Gebets in der Moschee ermordet. Eine solche Tat brennt sich tief in das kollektive Bewusstsein von einer Milliarde Muslimen ein.Hassbotschaften im Netz
Inzwischen hat der Hass einen neuen Höhepunkt erreicht. Bereits kurze Zeit nach dem Anschlag äußerte sich der australische Senator Fraser Anning in rassistischer Weise zu dem Angriff. Er verurteilte zwar die Gewalt, verwies aber auf die wachsende Angst in Neuseeland vor der muslimischen Einwanderung und betonte, dass Muslime normalerweise die Täter seien.
In den sozialen Medien bezeichneten Nutzer den Attentäter von Christchurch als einen „Helden, der eine Ehrung verdient!“ In einem Tweet heißt es: „Er hat keine Unschuldigen ins Visier genommen. Er hat keine Teenager auf einem Popkonzert angegriffen oder Familien attackiert, die gemeinsam einen schönen Abend verbringen wollten. Aber er hat einen sehr wirkungsvollen Treffer gegen einen Teil des politischen Apparats gelandet, der nach wie vor aktiv an einem Angriff auf unser Volk beteiligt ist und daran arbeitet, es auszutauschen.“ Ein anderer Nutzer analysiert tiefgründig: „Jetzt sind die Anderen die Opfer, zum ersten Mal werden die Rollen vertauscht.“
Neben Stimmen, die den Anschlag klar verurteilen, finden sich zuhauf derartige Sympathiebekundungen im Internet. Andere rufen nach Vergeltung, was in Aussagen wie „Blut kann nur mit Blut vergolten werden“ zum Ausdruck kommt. Wo der Hass dominiert und das Recht des Stärkeren gilt, geht die Stimme der Vernunft zuerst verloren. Der Anschlag auf die zwei Moscheen hat enorme destruktive Kräfte entfesselt, die lange im Dunkeln verborgen lagen.
Muslime, Angehörige der Opfer und all jene, die überall auf der Welt unabhängig von ihrem Glauben und ihren religiösen Überzeugungen ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht haben, sind in tiefer Trauer. Sie trauern nicht nur, weil der Terror dieses Mal an einem der friedlichsten und sichersten Orte auf der Welt zugeschlagen und ihn für immer seiner Unschuld beraubt hat.
Die führenden Vertreter der Muslime, insbesondere im Westen, haben sich in der eigenen Community zu wenig für eine staatsbürgerliche Identität stark gemacht. Sie haben die Integration nicht genügend befördert und zu wenig danach gesucht, im Einklang mit den aufnehmenden Gesellschaften zu leben.
Genauso wenig haben sie sich in den eigenen Reihen ausreichend gegen Extremismus engagiert oder der Tendenz Einhalt geboten, die Schuld für Missstände nur bei anderen zu suchen. Sie beklagen die durchaus vorhandene Islamophobie, haben sich jedoch selbst davon überzeugt, dass sie keinesfalls einen Einfluss auf deren stetige Zunahme haben. Nun ist die Islamophobie endgültig eskaliert.
Auf der anderen Seite wurden hingegen keine ernsthaften Bemühungen unternommen, die Idee der religiösen Koexistenz mit einem realistischen politischen Programm auf der Basis von Gerechtigkeit und Chancengleichheit in die Realität umzusetzen.
Entsprechend gelang es nicht, die Gesellschaften vor den Exzessen des ideologischen Fanatismus zu bewahren, in denen zuweilen die destruktiven Tendenzen des menschlichen Geistes ihren Ausdruck finden.
Dann ersetzt blinder Glaube die Vernunft und das Vertrauen darauf, dass alle Seiten von einer Kultur des Konsenses und der friedlichen Koexistenz profitieren.
Auf grausamste und mordlüsterne Weise werden Religionskriege heraufbeschworen und die Taten extremistischer Attentäter live im Netz übertragen, als wären es Szenen aus dem populären Videospiel „PUBG“ (Player Unknown’s Battlegrounds). Die Spieler sollen auf einer abgelegenen Insel möglichst viele Gegner töten. Andernorts werden währenddessen die Vorbereitungen getroffen, um Lastwagen zu kapern und Kirchen, Theater, Nachtclubs oder Cafés in die Luft zu sprengen.
Terroristen wie Akilov und der Attentäter von Christchurch scheinen erreicht zu haben, was sie sich so sehnlich herbeigewünscht haben.
Mousa Barhouma
© Qantara.de 2019
Aus dem Arabischen von Thomas Heyne
Mousa Barhouma ist jordanischer Schriftsteller und Publizist. Er schreibt für führende arabische Zeitungen und war bis 2010 Chefredakteur der in Amman erscheinenden Tageszeitung "Al-Ghad" ("Der Morgen"). Zurzeit ist Barhouma außerordentlicher Professor für Kommunikations- und Informationswissenschaften an der American University in Dubai.