Abseits ausgetretener Pfade

In Tunesien erholt sich der Tourismus nur langsam von seiner schweren Krise. Für alternative Projekte ist es eine besondere Herausforderung, auch wirtschaftlich rentabel zu sein. Sie leben vor allem vom Enthusiasmus ihrer Initiatoren, wie Madeleine Löning berichtet.

Von Madeleine Löning

Mit Tunesien verbinden die meisten Urlauber Sonne, Strand, Meer - und gesichtslose Hotelburgen. Doch unter den Unruhen des Arabischen Frühlings 2011 und den Terroranschlägen im Jahr 2015 hat Tunesiens Geschäft mit dem Pauschalurlaub erheblich gelitten. Der massive Einbruch des Badetourismus hat  Hotelangestellte, Fremdenführer und Ladenbesitzer in die Arbeitslosigkeit getrieben und setzt der ohnehin fragilen tunesischen Wirtschaft zu.

Die Krise der Tourismusbranche hat dazu geführt, dass die tunesische Regierung ihre Touristikstrategie überdenkt und sich mit Möglichkeiten für einen grundlegenden Wandel auseinandersetzt. So befürwortet insbesondere die seit 2015 amtierende Tourismusministerin Selma Elloumi Rekik den Ausbau von  Kulturtourismus.

Die Vermarktung der historischen Bauwerke und reizvollen Landschaften Tunesiens abseits der ausgetretenen Pfade wird von staatlicher Seite jedoch kaum gefördert. Nachhaltige Initiativen und Tourismusprojekte existieren zwar, sie entstehen aber primär durch privates Engagement.

Faire Arbeitsbedingungen auf Djerba

Auf Djerba stellt sich Zouheir  Ben Tamarout dem Massentourismus entgegen. Die Idee zu einem alternativen Tourismusprojekt kam dem ehemaligen Banker bei einem Besuch auf Sansibar. „Die Insel hat mich inspiriert“, sagt Zouheir, weil „man dort beides, Natur und kulturelle Vielfalt erleben kann“. Der heutige Name seines Projekts, „Tingitingi“, bedeutet auf Suaheli „Verbindung“ und drückt seine Vision von „einem respektvollen Kontakt zwischen Norden und Süden“ aus.

Die Ferienanlage „Oxala House“ markierte Anfang des Jahres 2000 den Beginn des Projekts. Damals wie heute will der Unternehmer beweisen, dass es auch an einem „vom Massentourismus geprägten Ort wie Djerba möglich ist, etwas anderes zu etablieren“.

Ein Stück unberührte Küste auf Djerba.  (Foto: Philipp Poppitz/Creative Commons 4.0; https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)
Nachhaltigkeit impliziert auf der Öko-Farm somit einen Austausch zwischen Stadt und Land und eine Verschiebung vom globalen zum lokalen Tourismusmarkt. Besucher der Farm lernen nicht nur, wie sich natürliche Ökosysteme selbst regulieren, sondern auch ganz praktisch, wie sie Käse, Brot, Marmelade und Olivenöl herstellen.

In der vom traditionellen Baustil auf Djerba inspirierten Anlage, nur wenige Meter von einem der schönsten Strände der Insel entfernt, will Zouheir Urlauber und Einheimische in Kontakt bringen. Deswegen funktioniert das „Oxala House“ nach dem Prinzip der Selbstversorgung. Gäste lernen aktiv ihre Umgebung kennen und treten mit lokalen Gastronomen, Markthändlern und Fischern in Kontakt.

„Wir möchten Besuchern aus dem Ausland zeigen, dass es eine alternative und zugleich preisgünstige Art von Urlaub gibt“, erzählt der Unternehmer. „Gleichzeitig wollen wir Einheimischen einen Arbeitsplatz zu fairen Bedingungen bieten und so die Grundlage für einen Tourismus schaffen, von dem alle profitieren“. 

Fast alle von Zouheirs Mitarbeitern begleiten sein Projekt von Beginn an. So auch Khaled Kadri, der ursprünglich aus Sidi Bouzid stammt, wo 2010 die Revolution begann. Er hat als Maurer die ersten Wände des „Oxala House“ hochgezogen. „Ich wollte ein konkretes Projekt realisieren“, so Zouheir, „mit Leuten von hier, die langfristig mit mir arbeiten.“

Seine Stammkundschaft ist ihm selbst in den Zeiten der Revolution, als der Pauschaltourismus teilweise gänzlich zum Erliegen kam, treu geblieben. „Alle meine Mitarbeiter werden immer bezahlt“, betont er.  „Selbst wenn wir nur wenige Gäste haben.“ Tunesiens erste Öko-Farm

Ungefähr 600 Kilometer von Djerba entfernt, etwa eine Dreiviertelstunde Fahrtzeit südlich der Hauptstadt Tunis, hat Amine Draoui  kurz nach der Revolution die erste Öko-Farm Tunesiens gegründet. Hier können Touristen, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und Schulklassen die Grundlagen der ökologischen Landwirtschaft entdecken.

Auf einem Stück Land in der Nähe der Kleinstadt Mornag hat der promovierte Wasserwissenschaftler zusammen mit Unterstützern ein kleines  Paradies geschaffen: Verschiedene Obst- und Gemüsesorten wachsen auf dem einst verfallenen Areal. Zwei Gästehäuser wurden aus ökologisch nachhaltigen Materialien errichtet.

Zouheir Ben Tamarout und sein Team auf dem Grundstück des Oxala House. (Foto: Philipp Poppitz/Creative Commons 4.0; https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)
Zouheir Ben Tamarout und sein Team auf dem Grundstück des Oxala House (von links Khaled Kadri, Nagi Kadri, der Bruder von Khaled, Zouheir Ben Tamarout) während der Revolution 2013. Die Ferienanlage „Oxala House“ markierte Anfang des Jahres 2000 den Beginn des Projekts. Damals wie heute will der Unternehmer beweisen, dass es auch an einem „vom Massentourismus geprägten Ort wie Djerba möglich ist, etwas anderes zu etablieren“.

Anders als Zouheir spricht Amine Draoui mit seiner Öko-Farm nicht ausschließlich ausländische Touristen an. Er will sein umfangreiches Wissen über alternative Techniken der Wasseraufbereitung und des Anbaus auch mit der jungen lokalen Bevölkerung teilen und ihr Interesse an der Natur wecken.

Nachhaltigkeit impliziert auf der Öko-Farm somit einen Austausch zwischen Stadt und Land und eine Verschiebung vom globalen zum lokalen Tourismusmarkt. Besucher der Farm lernen nicht nur, wie sich natürliche Ökosysteme  selbst regulieren sondern auch ganz praktisch, wie sie Käse, Brot, Marmelade und Olivenöl herstellen.

Kaum wettbewerbsfähig

Das Problem alternativer Tourismusprojekte in Tunesien besteht vor allem in ihrer mangelnden öffentlichen Sichtbarkeit sowie in fehlender Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit. Die staatlichen Subventionen reichen in der Regel nicht aus, um die Kosten für die Realisierung der Projekte und für ihren Unterhalt auch nur ansatzweise zu decken.

„Am Ende ist es eine Frage der Mittel“, stellt Zouheir fest. „Ich habe das Glück, dass ich von ‚Oxala House‘ nicht leben muss. Denn um in Tunesien etwas Alternatives aufzubauen, darf man finanziell nicht davon abhängig sein.“ Seit der Revolution wäre zwar viel über Kulturtourismus gesprochen worden. Die Bestrebungen würden jedoch jedes Mal ad acta gelegt, sobald sich der etablierte Pauschaltourismus erholt.

Die Mehrzahl der ausländischen Touristen - falls sie überhaupt an eine Reise nach Tunesien denken -  hoffe außerdem nach wie vor auf einen günstigen Badeurlaub. Wenn man etwas verändern möchte, so der Unternehmer, „muss man es selbst in die Hand nehmen. Auf Hilfe vom Staat oder von außen kannst du dich nicht verlassen. Du musst dir jedes Mal wieder neu die Frage stellen, ob du deinen Idealen treu geblieben bist.“

Bleibt also zu hoffen, dass die tunesische Regierung ihren Plan von einem neuen Tourismus langfristig umsetzt und dabei auch die großen ausländischen Reiseveranstalter in die Pflicht nimmt. Erst dann, scheint es, könnte die derzeitige Krise der Tourismusbranche einen  Wandel Tunesiens von der billigen All-Inclusive-Destination hin zu einem kulturhistorisch und landschaftlich bedeutenden Reiseziel einleiten.

 

Madeleine Löning

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