Terrorist oder Freiheitskämpfer?

Auch im Zuge der Eskalation im Gazastreifen hält sich Israel weiter aus der Diskussion heraus, was als "Terrorismus", "Widerstand" oder Verstoß gegen das Völkerrecht definiert werden kann. Von Peter Philipp

Israelischer Angriff auf das palästinensische Innenministerium; Foto:AP
Im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gilt derzeit: "Der Terrorist des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen."

​​Für den israelischen Infrastruktur-Minister, Benjamin Ben Eliezer, Mitglied der Arbeiterpartei und früher einmal bekannt für eine liberale und konziliante Haltung gegenüber den Palästinensern, gibt es keine Zweifel, wenn er darauf zu sprechen kommt, wie man mit der "Hamas"-Regierung umgehen soll: "Keiner ist immun. Dies ist keine Regierung, dies ist eine Organisation von Mördern."

Eine Meinung, die durchaus repräsentativ ist für die Regierung in Jerusalem und die wenigstens teilweise erklären mag, warum Israel nach der Entführung eines seiner Soldaten nun - im wahrsten Sinne des Wortes - so schweres Geschütz auffährt, Panzer in den Gazastreifen schickt und Mitglieder der "Hamas"-Regierung festnimmt.

Gleichzeitig hält sich Israel weiter aus der Diskussion heraus, was "Terrorismus" ist, was "Widerstand", was ein "einfaches Verbrechen" und was ein Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt – eine Diskussion, die international wiederholt im Ansatz geführt wurde, aber nie mit einem klaren Ergebnis, weil letztlich immer die Faustregel galt: "Der Terrorist des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen."

Alles Terrorismus?

Für Israel ist jeder Überfall auf Israelis - sei es gegen Zivilisten oder Soldaten, in den besetzten Gebieten oder außerhalb - ein Akt des Terrorismus. Israel macht es sich damit leicht und es mag akademisch sein, den Grund für diese Einstellung darin zu suchen, dass Israel bis heute nicht bereit ist, die 1967 eroberten palästinensischen Gebiete als im völkerrechtlichen Sinn "besetzte" Gebiete zu betrachten.

Israel ist dabei sturer als die Amerikaner im Irak: Wer im Zweistromland gegen US-Besatzer kämpft, wird von den USA immerhin als "Aufständischer" ("insurgent") bezeichnet. Nicht aber als Terrorist. Diesen Titel erhalten - und verdienen - die Täter, die wie Mussab al-Zarqawis Anhänger gegen Zivilisten vorgehen und diese - Iraker wie Ausländer - töten, um Angst und Schrecken zu verbreiten.

Übertragen auf den Vorderen Orient - und in Übereinstimmung mit internationalem Recht - würde das bedeuten, dass Angriffe auf Besatzungstruppen in den besetzten Gebieten als "Widerstand" deklariert werden müssen, Angriffe auf israelische zivile Ziele (Omnibusse, Restaurants, Hotels oder Supermärkte) aber als "Terrorismus".

Vorwurf des Staatsterrorismus

Nicht zu Unrecht können die Palästinenser freilich darauf verweisen, dass auch Israel unschuldige Zivilisten verhaftet, verletzt oder tötet. Was manche dazu bringt, von israelischem "Staatsterrorismus" zu sprechen.

In Israel wird dieser Vorwurf natürlich empört zurückgewiesen: Man wolle keine Unschuldigen treffen, ist dann stereotyp zu hören. Und damit meint man das, wofür die Amerikaner das Unwort "Kollateralschaden" erfunden haben.

Bisher herrschte allerdings auch ein Ungleichgewicht: Israel ist ein Staat mit funktionierender Regierung und klaren Befehlssträngen.

Die Palästinenser haben bisher zwar eine Regierung und einen Präsidenten, die miteinander im Clinch liegen, aber sie haben keinen Staat. Und die Regierung konnte sich immer herausreden, dass Gewalttaten von Einzeltätern nun einmal nicht zu verhindern seien.

Palästinenser für Angriffe verantwortlich

Inzwischen hat sich jedoch einiges grundlegend geändert: Israel hat sich aus dem Gazastreifen zurückgezogen und selbst, wenn es dort keinen Staat gibt, so konnte dieses Gebiet seit dem Abzug nicht mehr als "besetztes Gebiet" betrachtet werden.

Die Regierung trägt damit de jure die Verantwortung für Angriffe, die von diesem Gebiet ausgehen. Also für die Raketenangriffe auf israelische Orte und auch für den Überfall auf einen israelischen Militärposten außerhalb des Gazastreifens und die Verschleppung eines Soldaten.

Diese Regierung distanziert sich freilich nicht von solchen Taten, sondern macht sich die Forderung der Entführer zu eigen, Israel solle palästinensische Häftlinge freilassen, um auch nur den Aufenthaltsort des entführten Soldaten zu erfahren.

Die "Hamas"-Regierung hat damit einen Angriff über die Grenze hinweg sanktioniert und sie trägt die Verantwortung dafür, selbst wenn sie nicht den Befehl dazu gegeben haben mag.

Trotzdem entspricht es nicht internationalem Standard, dass der Angegriffene im Gegenzug versucht, die verantwortliche Regierung festzunehmen und vielleicht zu ersetzen. Das schlechte Beispiel des Irak wird auch in Gaza und Ramallah nicht funktionieren.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

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