Besucherströme im Paradies
Im Berliner Naherholungsgebiet "Gärten der Welt" erweist sich traditionelle islamische Gartenbaukunst als Publikumsmagnet. Bereits kurz nach der Eröffnung lockt der "Orientalische Garten" Zehntausende Neugierige an. Ariana Mirza hat sie nach ihren Eindrücken gefragt.
"Das sieht hier aus wie im Märchenschloss" - "Quatsch, wie im Märchengarten". Die achtjährige Henriette und ihre Freundin Julia quietschen vor Vergnügen. Sie halten ihre Hände in die sprudelnden Wasserspiele, denen der orientalische Gartenhof "Riyad" den Beinamen "Garten der vier Ströme" verdankt.
Dass in der traditionellen islamischen Gartenbaukunst eine strenge geometrische und proportionale Ordnung herrscht, ist den Kindern noch nicht bewusst. Aber seine betörende Wirkung verfehlt der Berliner "Riyad" auch bei den jüngsten Besuchern nicht.
Vier schmale Wasserläufe unterteilen den von vier Mauern umfriedeten Innenhof. Einander spiegelnde Arkaden und Vestibüle fügen sich ebenso in die klar definierte Komposition ein wie die vier Felder, die das Zentrum der Oase mit Blütenpracht umgeben. Im Mittelpunkt des Gartens findet sich im hölzernen Pavillon eine Brunnenschale, die stilisierte "Quelle" des Lebens.
"Himmlischer Garten" als Vorbild
Seine eigenen Inspirationsquellen fand der Architekt Kamel Louafi in der persisch-arabischen Interpretation des "dschanna", des im Koran beschriebenen "himmlischen Gartens".
Seit dem 7.Jahrhundert prägt diese Form des "Paradiesgartens" die islamische Gartenbautradition von Nordafrika bis Indien. In Europa zeugten bislang einzig die Gärten der Alhambra in Spanien von solcher Baukunst. Die Anlagen in Granada stammen allerdings noch aus dem Mittelalter.
Wohl auch deshalb ist vielen Besuchern des Berliner "Riyads" gar nicht bewusst, dass es sich bei den Paradiesgärten keineswegs um eine "ausgestorbene Form" der islamischen Kultur handelt.
"Endlich etwas aus meiner Welt"
"Ich hätte gedacht, so was können die heute gar nicht mehr so kunstvoll zustande bringen." Der 57-jährige Reinhard Jeda ist mit seiner Frau Hilde eher "zufällig" in den Gartenhof geraten. Nun sucht er nach Parallelen zu seinem Bild von der islamischen Welt. "Ist ja auch mit Mauern vor Blicken geschützt, ein bisschen wie der Orient für uns Europäer". Frau Jeda hingegen hat beim Eintritt "ganz einfach eine himmlische Ruhe" verspürt.
Der junge Syrer Hammud (27) ist mit Freunden unterwegs. Er freut sich vor allem darüber, dass seine deutschen Begleiter im Orientalischen Garten "endlich einmal etwas aus meiner Welt zu sehen bekommen".
"Harmonisch!" Fragt man die unterschiedlichen Besucher danach, wie sie die Architektur des islamischen Gartens empfinden, so fällt fast immer dieses Wort. Der 15-jährigen Claudia aus Zwickau hat einzig "die Blumenpracht in den Gärten Tunesiens", die sie im Urlaub kennen lernte, etwas besser gefallen als die Bepflanzung in Berlin.
Dang Phan (16), ein Berliner vietnamesischer Herkunft, war noch nicht im Orient. Aber er hält die Architektur in ihrer ornamentalen Pracht gar für "klischeehaft orientalisch", "so idyllisch kann das doch nicht in echt aussehen."
Für Helena Siuts (52), die mit zwei Freundinnen unterwegs ist, besteht über die Authentizität der Baukunst kein Zweifel: "Ich lese gerade ein Buch über den Arzt Ibn Sina. Was vorher nur in meiner Vorstellung existierte, findet hier eine konkrete Form."
Ungewohnte deutsche Bauvorschriften
In Planung und Umsetzung ist der "Orientalische Garten" eine deutsch-arabische Koproduktion. Der komplette Entwurf stammt vom Architekten Kamel Louafi, der als gebürtiger Algerier in Berlin lebt. Deutsche Firmen übernahmen den Hochbau, die Wassertechnik, Pflaster- und Pflanzarbeiten.
Für die kunstvollsten Bereiche des Gartens reisten marokkanische Handwerker nach Deutschland. Ob Relief- oder Fliesenarbeiten, Ornamente, wie dreidimensionale "Muquarnas", oder polygonale Arabesken, "Zillij" genannt, Malerei oder Kalligraphie: die arabischen Arbeiter gaben dem Garten sein unverwechselbares Antlitz.
"Dabei hatten die Handwerker sehr stark mit den ungewohnten deutschen Bauvorschriften zu kämpfen", erzählt Kamel Louafi. So wurde beispielsweise anders gefugt, und selbst der Mörtel bedurfte einer speziellen Frostschutzimprägnierung.
Auch die Bepflanzung des Gartens musste auf Frostzeiten abgestimmt werden. "Und die Orangenbäume, die in Kübeln stehen, müssen im Winter leider ins Gewächshaus." Mitteleuropäische Gegebenheiten, die die Besucher in Berlin nicht stören.
Es ist eine ganz andere, "kleine Kritik", die im "Orientalischen Garten" häufiger zu hören ist. Nicht nur der Marrokaner Bachir Saad (32) und die Deutsche Nadja Fügert (30) vermissen eine Tasse duftenden Minztees oder bitteren, arabischen Kaffees. "Dann wäre alles perfekt."
Ariana Mirza
© Qantara.de 2005
Qantara.de
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Die Beziehung zwischen Abendland und Morgenland ist von gegenseitiger Inspiration, aber auch von Vorurteilen geprägt. Andreas Pflitsch hat sie über die Jahrhunderte hin untersucht, und Mirjam Schneider hat das Buch gelesen.
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