Ein politisches Familiendrama
Wasser spritzt aus einer Leitung und ergießt sich fontänenartig im hohen Bogen über das Bild. Die letzte Szene von "Eyes of a Thief" suggeriert Befreiung und Erleichterung und steht damit im Gegensatz zu den Kernbotschaften des Films: die Grenzen und Unfreiheiten unter der israelischen Besatzung.
Das arabische Wort "Eye" bedeutet auch "Wasserquelle" und so verweist schon der Titel des Films auf die Rahmenhandlung: den Konflikt um Wasser. "Wir müssen unser eigenes Wasser von den Israelis kaufen", meint die Regisseurin des Films Najwa Najjar. Sie hatte bereits eine Dokumentation über die Wasserknappheit innerhalb des palästinensischen Territoriums gedreht und legt nun mit "Eyes of a Thief" (nach "Pomegranates and Myrrh") ihren zweiten Spielfilm vor.
Seine Deutschlandpremiere feierte der Film während der Berlinale in Berlin, doch nicht im Rahmen des Festivalprogramms. Nicht die Kuratoren der Berlinale, sondern die Betreiber des Orient-Blogs "Al-Sharq" und die Friedrich-Ebert-Stiftung hatten die Regisseurin mit ihrem Film nach Deutschland eingeladen. "Europäische Filmfestivalkuratoren sind das Seltsamste der Welt", sagt Najjar. Bisher lief "Eyes of a Thief" europaweit bis auf Berlin nur noch als Eröffnungsfilm des "London Palestine Film Festivals".
Die Suche des Vaters nach seiner Tochter
Die zentrale Handlung des Films ist die Suche eines Vaters nach seiner Tochter. Dabei kämpft dieser nicht nur gegen die Unfreiheit unter der Besatzungsmacht, sondern auch gegen gesellschaftliche Grenzen. Nachdem Tarek wegen eines Attentats auf israelische Grenzsoldaten seine zehnjährige Haftstrafe abgesessen hat, begibt er sich auf die Suche nach seiner Tochter Malak.
Als er sie aber in Nablus wiederfindet, ist sie inzwischen adoptiert worden. Er kann sich öffentlich nicht als ihr Vater zu erkennen geben. Um sich ihr heimlich zu nähern, nimmt er einen Job in ihrer Nähe als Ingenieur beim Wasserbeauftragten der Palästinensischen Autonomiebehörde an.
Als Grundlage diente Najjar eine wahre Geschichte, die sich 2002 während der Zweiten Intifada zwischen Nablus und Ramallah zutrug. Damals ermordete der Scharfschütze Thaer Hamad sieben israelische Grenzsoldaten und drei Siedler und wurde elf Mal zu lebenslanger Haft verurteilt. Anders als die Hauptfigur Tarek im Film kam Thaer nicht frei. Auch änderte die Regisseurin die Konfession. Im Film ist Tarek Christ.
"Diese Änderung war ein sehr cleverer Zug von Najwa", meint der ägyptische Hauptdarsteller Khaled Abol Naga. Najjar, die selbst als Christin in Ramallah lebt, fügt hinzu, sie habe mit ihrem Film zeigen wollen, dass nicht alle Terroristen zwangsläufig Muslime sind: "Es gibt diese Fehlvorstellung vom Nahostkonflikt als Religionskonflikt. Dabei ist es ein nationaler Konflikt", sagt sie.
Kritik von palästinensischer und israelischer Seite
Die Änderung der Konfession Thaer Hamads wirkt nicht nur für die westlichen Zuseher in Berlin unnötig. Kritik dafür erfuhr Najjar bereits von palästinensischer Seite während der Filmpremiere Ende 2014 in Ramallah. Laut Najjar kamen die kritischen Stimmen dort aber nur von älteren Palästinensern, die eine dokumentarische Biografie von Thaer Hamad erwartet hatten. Kritik von ihren Landsleuten ist die Filmemacherin allerdings gewöhnt. Schon für ihren ersten Spielfilm wurde sie besonders seitens der Hamas angegriffen.
Die Israelis hingegen kritisierten– laut eines Artikels der israelischen Zeitung Haaretz – die angeblich glorifizierende Darstellung des Mörders Thaer Hamad und schlugen als Reaktion einen Film über den Massenmörder Baruch Goldstein vor. Anders als Goldstein habe Thaer Hamad jedoch keine Zivilisten getötet und unter Besatzung gekämpft, so Najjar. Deshalb hätte er auf Grundlage der Genfer Konventionen unter anderen Gesichtspunkten verurteilt werden müssen, glaubt die Filmemacherin.
Ihrer Ansicht nach müsse zwischen Terrorist und Freiheitskämpfer unterschieden werden. Gleichzeitig betont Najjar aber auch, keinesfalls Gewalt zu favorisieren. In ihrem Film sei es ihr wichtig gewesen, die persönliche Geschichte des Vaters hinter der des Mörders darzustellen, was ihr durchaus gelingt, schließlich zeugt ihr Film von großer Menschlichkeit.
Starke und moderne Frauen
An mehreren Stellen wird der Film von Liedern der algerischen Sängerin Souad Massi, die als Adoptivmutter Malaks ihr Schauspielerdebüt feiert, untermalt. Eine Algerierin als alleinerziehende Mutter in Palästina – das verwirrte insbesondere das arabischsprachige Publikum. Doch steht die Figur, laut Najjar, symbolisch für den Freiheitskampf, den Algerien im Gegensatz zu Palästina erfolgreich führte.
Die 12-jährige Malak Ermileh, die nur durch Zufall während einem Casting im Balata-Flüchtlingscamp zu ihrer Rolle als selbstbewusste, emanzipierte Tochter Tareks kam, verleiht dem Film eine heroische Note und lässt den Zuschauer an vielen Stellen schmunzeln.
Die weiblichen Figuren in Najjars Film werden als starke, moderne Frauen gezeichnet. "In Palästina müssen die Frauen vielleicht so stark sein, weil die Männer im Gefängnis sind oder getötet wurden", so Najjar. Die israelischen Soldaten wirken dagegen oft gesichtslos. Gespielt werden sie ausschließlich von Palästinensern. Auf die Frage, warum sie keine Israelis engagiert hätte, antwortet Najjar: "Die Israelis haben bereits eine riesige Arena für ihre Schauspieler und ihr Kino. Warum sollten wir also nicht den Palästinensern eine Chance geben?"
Najjar verbirgt ihre Frustration über die israelische Besatzung nicht und genau das wird auch im Film erkennbar. Najjar erzählt, wie die israelische Armee während der Dreharbeiten in Nablus das benachbarte Balata-Flüchtlingscamp täglich überfiel. Und sie beschreibt in ihrem Film eine komplett geteilte Gesellschaft. "Das ist die Realität. Daher sollte das Kinodiese Situation auch nicht beschönigen", so Najjar.
Aber Najjar will in ihren Filmen auch nicht das ständig wiederkehrende Bild eines kahlen und hässlichen Palästinas zeigen. "So mögen uns vielleicht die Anderen sehen", meint sie und erklärt, dass in "Eyes of a Thief" vielmehr die Schönheit des Landes gezeigt werden soll. So ganz gelingt ihr das jedoch nicht. Der Film hinterlässt größtenteils ein Gefühl der Beklemmung, doch erweckt das frei sprudelnde Wasser in der Schlussszene zumindest die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit und Würde.
Laura Pannasch
© Qantara.de 2015