Friedensbotschaft und Geste des Dialogs

Die dreitägige Visite von Franziskus war der erste Türkeibesuch eines Papstes seit acht Jahren und hat am Bosporus einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Einzelheiten von Luise Sammann aus Istanbul

Von Luise Sammann

Ob das Auto wenigstens elektrische Fensterheber hatte? Oder etwa noch solche zum Kurbeln? Egal, zum Glück ist ja auch in der Türkei Winter. Da macht keiner das Fenster auf. Und da er kaum selbst am Steuer sitzt, dürften dem Papst auch Servolenkung und Pferdestärke seines Mietautos nicht besonders viel bedeuten. Und doch war er am nächsten Tag Thema Nummer 1 in vielen türkischen Medien – der französische Kleinwagen, mit dem Papst Franziskus seinen ersten Besuch am Bosporus bestritt. 30.000 Türkische Lira kostet so ein Flitzer, wie spitzfindige Journalisten umgehend recherchierten. Knapp 10.000 Euro, mehr nicht. Manch ein Kolumnist konnte es kaum glauben.

Man kann ihre Aufregung verstehen, wenn man weiß, dass die Limousine des türkischen Staatspräsidenten im Vergleich dazu schlappe eine Million Lira wert ist. Dreiunddreißig Mal so viel wie das päpstliche Schnäppchen. Was für ein Unterschied!

Auch sonst hätten die beiden Männer unterschiedlicher nicht sein können, die da am vergangenen Wochenende in Ankara aufeinandertrafen. Hier der sanfte Kirchenmann aus Rom, der die Bescheidenheit zu seinem Markenzeichen erhoben hat und sich in einfachen Gästehäusern unterbringen lässt. Dort der polternde "Sultan vom Bosporus", der sich gerade erst einen Präsidentenpalast mit sage und schreibe 1.000 Zimmern erbauen ließ. Ausgerechnet Franziskus wurde die Ehre zuteil, dort sein erster Gast zu sein.

Wie alles in der Türkei dieser Tage, so war damit auch der Papstbesuch nicht zuletzt eine Frage von pro oder contra Erdogan. Stolz waren seine Anhänger, dass ihr Präsident seinen Gast in einem solchen Palast empfing. Peinlich fanden es seine politischen Gegner. Eine Gruppe von Aktivisten hatte den Vatikan sogar noch kurz vor dem Besuch zum Boykott aufgerufen. Papst Franziskus könne sich unmöglich in diesem von türkischen Steuergeldern errichteten Prunkbau begrüßen lassen. Doch sie – und alle anderen, die heimlich auf einen Eklat gehofft hatten – wurden enttäuscht. Franziskus war nicht an den Bosporus gekommen, um Herrn Erdogan die Leviten zu lesen.

"Der Koran ist ein Werk des Friedens"

Es sollte nicht um Konflikte gehen bei diesem Besuch, sondern um Dialog und Harmonie. Sowohl mit den orthodoxen Christen, deren Oberhaupt Bartholomaios I. Franziskus in Istanbul traf, als auch mit den Muslimen natürlich. "Der Koran ist ein Werk des Friedens", betonte der Papst und verneigte sich in der Blauen Moschee symbolträchtig nach Mekka.

Der Papst besucht gemeinsam mit dem Mufti von Istanbul, Rahmi Yaran (m.), am 29.11.2014 die Blaue Moschee in Istanbul; Foto: Reuters/T.Gentile
Symbolträchtiges Zeichen für das Miteinander der Religionen: In der Blauen Moschee in Istanbul verharrte der Papst am 29.11. zwei Minuten lang in stiller Kontemplation und neigte seinen Kopf dabei gen Mekka, wie dies 2006 bereits sein Vorgänger Benedikt XVI. getan hatte.

Im Handumdrehen gewann er mit solchen Gesten die Zuneigung der Türken, die bisher eher nicht als Papst-Fans bekannt waren. Franzikus' Vorgänger Benedikt der XVI. war ihnen durch seine berühmte Regensburger Rede ja vor allem als islamfeindlich im Gedächtnis geblieben.

Nicht mal die bekanntlich komplizierte Situation der religiösen Minderheiten in der Türkei gelangte bei so viel Harmoniebedürftigkeit zu der ihr eigentlich gebührenden Aufmerksamkeit. "Die Religions- und Meinungsfreiheit, die allen effektiv garantiert ist, regt das Aufblühen der Freundschaft an und ist ein Zeichen des Friedens", sagte der Papst. Nun ja. Aber war das jetzt Kritik? Hoffnung? Lob?

Vielleicht sollte hier einfach jeder das verstehen, was ihm am besten passte. Westliche Beobachter durften sich über die Erwähnung der Stichworte Religions- und Meinungsfreiheit freuen, türkische Politiker mussten bei so viel Diplomatie keinen Grund sehen, sich angegriffen zu fühlen. Denn auch die päpstliche Feststellung, "dass die muslimischen, jüdischen und christlichen Bürger sowohl in den gesetzlichen Bestimmungen wie auch in ihrer tatsächlichen Durchführung die gleichen Rechte genießen und die gleichen Pflichten übernehmen" müssten, dürfte Recep Tayyip Erdogan kaum schlaflose Nächte bereitet haben.

Aber seien wir ehrlich: Was hätte man auch erwarten können – was hätte Franziskus ausrichten können? Jeder, der ein bisschen genauer hinsieht, weiß schließlich: Die jahrzehntealte Minderheitenproblematik der Türkei ist nichts, was sich durch die richtige Wortwahl auf einen Streich aus der Welt schaffen lässt. "Die Türkei hat in den vergangenen Jahren sehr viel für die Rechte der Minderheiten unternommen", beeilte sich Präsident Erdogan seinem Besucher mitzuteilen. Und tatsächlich: Niemand kann bestreiten, dass die konservative AKP-Regierung auf die nicht-muslimische Bevölkerung zugegangen ist: So kann in der Vergangenheit entschädigungslos enteignetes Stiftungseigentum inzwischen zurückgefordert werden.

Gottesdienste an symbolträchtigen Orten wie der Kirche zum Heiligen Kreuz im Südosten des Landes sind immerhin zu besonderen Anlässen möglich. Und auch im Dauerstreit um die Ländereien des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel gibt es Fortschritte.

Doch das eigentliche Problem der Minderheiten am Bosporus sind ohnehin nichtallein althergebrachte Vorschriften wie die diskriminierende Angabe der Religion im türkischen Personalausweis oder das Verbot für Kirchen und Gemeinden Land zu erwerben, Kirchen zu bauen oder geistlichen Nachwuchs auszubilden. Das eigentliche Problem liegt vielmehr in den Köpfen der Menschen, die seit 91 Jahren in einer Republik leben, in der jeder Nicht-Sunnit – egal also, ob orthodoxer Christ, Katholik, Jude oder auch Alawit – als potenzielle Gefahr für die Einheit des türkischen Staates angesehen wird.

Nicht-Muslime als Bürger zweiter Klasse

"Nicht-Muslime gelten in der Türkei oft gar nicht als echte Bürger", meint Arus Yumul, armenisch-türkische Soziologin an der Istanbuler Bilgi-Universität. Sie weiß: "In diesem Land wirkt es immer noch wie ein Verbrechen, einen Armenier in der Familie zu haben. Und jemanden einen Armenier zu nennen, ist deswegen eine Beschimpfung, für die Leute vor Gericht landen und bestraft werden."

Diese Kultur ist es, die sich nicht durch Gesetzesänderungen und Behördenregelungen aus der Welt schaffen lässt. Und erst recht nicht durch einen Besucher aus Rom – und sei er noch so ehrwürdig. Es wäre deswegen vermessen gewesen, mehr von Franziskus zu erwarten, als ein paar mahnende Worte.

So revolutionär sich dieser Papst seit seiner Amtseinführung auch gegeben hat. Am Ende ist er kein Gezi-Demonstrant, sondern ein Kirchenmann. Und so ist es gar nicht weiter verwunderlich, dass das aufregendste an seinem Besuch am Ende für viele Türken das kleine Auto war, in dem er unterwegs war. Nicht unbedingt die Worte, die er sprach.

Luise Sammann

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