Oppositionelle fordern Unterstützung
Seit einem Jahr gehen die Menschen in Syrien auf die Straße und fordern Demokratie, Freiheit und den Sturz des Regimes. Doch Präsident Baschar al-Assad schlägt den Aufstand gegen seine Herrschaft mit brutaler Gewalt nieder.
Nach Angaben der Opposition soll es schon mehr als 11.000 Tote gegeben haben, darunter mehr als 800 Kinder. Zehntausende Demonstranten seien in die Gefängnisse verschleppt und gefoltert worden, so Walid Saffour, Vorsitzender des Syrischen Menschenrechtskomitees in London. Viele seien verschwunden, andere würden auf Militärstützpunkten festgehalten. Saffour äußerte sich in Berlin bei einer Podiumsdiskussion, zu der die Union syrischer Studenten und Akademiker eingeladen hatte.
Syrische Opposition fordert Waffen
Unter den Gästen der Veranstaltung war auch die prominente syrische Aktivistin Suheir al-Atassi. Die 49-jährige Tochter eines früheren Ministers gehört schon seit Jahren der Opposition an. Sie war unter den ersten Demonstranten, die sich vor einem Jahr in Damaskus auf die Straße wagten, sie wurde festgenommen und inhaftiert.
Nach ihrer Freilassung tauchte sie unter und setzte ihren Kampf aus dem Untergrund fort. Trotz der massiven Gewalt des Regimes gegen die Opposition erlebten viele Syrer den Aufstand als Fest der Demokratie, sagte sie in Berlin. Leidenschaftlich warb sie um Unterstützung des syrischen Widerstands, auch mit militärischen Mitteln.
"Wir befinden uns in einem Wettlauf mit dem Regime, das von Russland und dem Iran aufgerüstet wird", erklärte sie. Der Westen solle darum nun die Freie Syrische Armee mit Waffen versorgen, damit die das Volk gegen die Truppen des Regimes beschützen könne.
Dieser Forderung schloss sich auch Monzer Makhous an, im französischen Exil lebendes Mitglied des Syrischen Nationalrats und Koordinator für internationale Beziehungen. "Wenn wir uns beschützen wollen, müssen wir zu den Waffen greifen", unterstrich er und warnte den Westen, zu lange zu zögern.
Wenn Europa die Aufständischen in Syrien nicht mit Waffen unterstütze, dann würden es andere tun. Dann bestehe die Gefahr, dass extremistische Gruppen wie al-Qaida sich die Verzweiflung der Opposition zunutze machten und das Vakuum ausfüllten. Er hoffe daher, dass Saudi-Arabien und Qatar ihre Ankündigung wahr machten und Waffen an die Freie Syrische Armee liefern würden.
Keine Unterstützung für eine Intervention in Sicht
In Deutschland stoßen die Forderungen nach einer militärischen Intervention oder einer Bewaffnung der Opposition auf taube Ohren. Die Bundesregierung setze weiterhin auf eine friedliche Lösung des innersyrischen Konflikts, betonte der Nahost-Beauftragte des Auswärtigen Amtes, Boris Ruge. Er wisse, dass die syrische Opposition dies kritisch sehe, aber die Militarisierung des Konflikts sei mit immensen Risiken verbunden.
Gleichzeitig sehe die Bundesregierung es ausdrücklich als legitim an, wenn sich die Bevölkerung gegen die willkürlichen Angriffe des Regimes schütze. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Günter Gloser, ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt, unterstützte diese Haltung. Er plädierte dafür, den Druck auf Russland zu erhöhen, die Unterstützung für Assad einzustellen.
"Man kann nicht das syrische Volk zur Geisel nehmen", sagte er während der Podiumsdiskussion in Berlin. Seine Hoffnungen setze er auf die Gruppe der Freunde Syriens, den Zusammenschluss von rund 60 Staaten, die Assad mit diplomatischen Mitteln und wirtschaftlichen Sanktionen zum Einlenken zwingen wollen.
Auch Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik sprach sich gegen eine Bewaffnung der syrischen Opposition aus. Dies würde letztendlich nur dem Regime in die Hände spielen, das die Militarisierung des Konflikts vorantreibe, sagte sie. "Das ist das, was das Regime will. Das Regime will militärisch vorgehen und es wird militärisch obsiegen."
Sie halte es daher für wichtiger, den zivilen Widerstand zu unterstützen. Eine Verhandlungslösung nach dem Vorbild des Jemen hält die Wissenschaftlerin für ausgeschlossen. Die Familie Assad sei viel zu stark auch persönlich in die Gräueltaten involviert, um eine solche Lösung zu ermöglichen. Das bedeute aber nicht, dass Assad nicht doch eines Tages, so wie der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh, das Land verlassen werde. Derzeit seien er und der syrische Führungszirkel dazu jedoch noch nicht bereit.
Keine Angst vor konfessionellen Spannungen?
Die syrische Opposition gilt als uneinig und zerstritten. Selbst der im letzten August in Istanbul gegründete Syrische Nationalrat, der als Dachverband der Oppositionsgruppen fungieren sollte, leidet unter inneren Spannungen und Abspaltungen von prominenten Vertretern.
In Berlin präsentierten sich die Oppositionellen dagegen weitgehend einig und zuversichtlich, was das Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen in einem Syrien nach Baschar al-Assad angeht. Er sorge sich nicht um die Rechte der religiösen und ethnischen Minderheiten, sagte George Sabra, Mitglied des Generalsekretariats des Syrischen Nationalrats und Angehöriger der christlichen Minderheit in Syrien.
Das Regime schüre die Angst vor der Ausbreitung des Islamismus in Syrien. In einem demokratischen und säkularen Staat spiele es aber keine Rolle, welcher Konfession die Bürger angehörten. In einer demokratischen Verfassung würden die Rechte der Minderheiten verankert. "Wir wollen einen modernen Staat, so wie in Europa", erklärte Sabra und fügte hinzu: "Wir wollen diejenigen wählen, die uns regieren."
Ähnlich äußerte sich auch der in Großbritannien lebende Aktivist Walid Saffour, der den Muslimbrüdern nahesteht. Der Staat habe den Bürgern zu dienen, sagte er. In einem demokratischen Syrien solle jede Gruppe im Rahmen der Verfassung ihre Rechte umsetzen können.
Bettina Marx
© Deutsche Welle 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de