Jenseits der Zwei-Staaten-Lösung
Angesichts sich verschlimmernden Turbulenzen im Nahen Osten scheint das Schicksal der Palästinenser diplomatisch in den Hintergrund gerückt zu sein. Tatsächlich war die Zwei-Staaten-Lösung bereits seit der israelischen Operation "Protective Edge" in Gaza kaum noch zu retten – trotz der heroischen Bemühungen von US-Außenminister John Kerry, sie wiederzubeleben. Viele in der Region und anderswo glauben jetzt, dass sie tot ist.
Das freilich wirft ein neues Problem auf. Nun, da ein eigener Staat scheinbar außer Reichweite ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bevor eine große Zahl an Palästinensern das Wahlrecht bei den israelischen Wahlen fordern wird. Dies wird ein erbitterter Kampf werden. Die Israelis haben die Idee der zwei Staaten teilweise deshalb so lange verfolgt, damit ein Wahlrecht für die Palästinenser vom Tisch bleibt.
Wie kann die im Entstehen begriffene Ordnung an Inklusivität und Legitimation gewinnen? Elemente für einen konstruktiven Weg voran sind offensichtlich, ohne freilich wahrgenommen zu werden.
Kurz nachdem Israel 1994 seinen Friedensvertrag mit Jordanien unterzeichnete, schlug der damalige Außenminister Shimon Peres eine grenzübergreifende gemeinsame Wirtschaftszone vor, um die Einigung zu stärken. Daraus entwickelte sich der "Jordan Gateway Industrial Park" (JGIP), eine 140 Hektar große Sonderwirtschaftszone (SWZ), die sich in der Nähe von Haifa entlang des israelischen und des jordanischen Jordanufers erstreckt.
Mikrokosmen einer neuen Ordnung
Der vom israelischen Industriellen Shlomi Fogel unterstützte JGIP hat in letzter Zeit ein deutliches Wachstum erlebt. Im Jahr 2013 leistete die israelische Regierung einen Beitrag von 34 Millionen US-Dollar. Jordanien, das das Projekt seit 2001 überwiegend geleitet hat, leistet fortlaufende finanzielle Unterstützung. Und wie bei SWZs anderswo auf der Welt sind die Unternehmen in dem Gewerbepark von Steuern und Abgaben befreit und genießen weitere wirtschaftliche Vorteile.
Man sollte dieses Modell auf politische Sonderzonen (PSZs) ausweiten, die die Trennlinien zwischen Israelis und Palästinensern verwischen. Diese PSZs könnten entlang den Grenzen zwischen Israel und dem Westjordanland bzw. Gaza angelegt werden. Sie sollten umfassender integriert sein als der JGIP, der auf Arbeitskräfte von außen angewiesen ist.
Die Menschen in den PSZs würden sich faktisch als Mikrokosmen einer neuen Ordnung konstituieren. PSZ-Unternehmen könnten im Eigentum von Israelis, Palästinensern oder im gemeinsamen Eigentum stehen, und die Arbeitnehmer würden von beiden Seiten der Trennlinie kommen. Aber alle müssten in der PSZ leben und würden dort Eigentumsanteile und Verwaltungsrollen erhalten, die proportional zur Länge ihres Aufenthaltes wachsen würden.
Die PSZs sollten einen hohen Grad an politischer Autonomie von der israelischen Regierung und der Palästinenserbehörde erhalten. Man würde in den Zonen eine Wohninfrastruktur mit Schulen, kommunalen Diensten, medizinischen Einrichtungen usw. aufbauen, die sie im Wesentlichen autark machen würde. Die tägliche Verwaltung wäre den Einwohnern überlassen, die ein wirtschaftliches Interesse an der Lebensfähigkeit der PSZ sowie Anreize zur Aufrechterhaltung integrierter binationaler Gemeinschaften hätten.
Modell Co-Op City
Ein Modell, das sich hierfür anbietet, ist Co-Op City, der größte Wohnkomplex in den USA. Co-Op City untersteht genossenschaftlicher Leitung und umfasst Schulen, Läden und ein private Strafverfolgungsstelle. Derartige auf dem gemeinsamen Interesse beruhende Siedlungen (CIDs) haben sich in den USA in den letzten Jahren ausgebreitet. Ihre Attraktivität beruht unter anderem auf der starken Teilhabe. Im Nahen Osten könnten derartige Arrangements neue Formen interethnischer Zusammenarbeit fördern.
Eine wichtige Sorge wäre die Sicherheit. Anfangs müsste es um die PSZ herum Kontrollpunkte geben wie die Grenzübergänge ins Westjordanland und nach Gaza. Doch die Leute müssten ja nicht täglich kommen und gehen – ein Problem, das grenzübergreifende SWZs bisher plagt. Autonome Sicherheitsdienste ähnlichen jenen, die in CIDs und in US-Universitäten eingesetzt werden, würden intern für Ordnung sorgen. Dies wäre ein Unterschied zum JGIP, wo Israel und Jordanien die Kontrolle über ihre jeweiligen Sphären auf beiden Seiten des Jordan innehaben.
PSZs sollten in der Nähe von Transportwegen auf beiden Seiten der Grenze angesiedelt sein, aber entfernt von religiösen Stätten, Siedlungen und strategisch wichtigen Militäranlagen. Mögliche Standorte umfassen den früher einmal geplanten Industriepark Khaddourie zwischen Tulkarem im Westjordanland und Herzliya und die Industriezone Karni außerhalb von Gaza-Stadt.
Konstruktive Alternativen zur vorherrschenden Stagnation
Man muss die Idee nicht erst den Wählern oder Extremisten vermitteln, bevor es losgehen kann. Auch sind keine Umsiedlungen erforderlich. PSZs werden für jene attraktiv sein, die begierig auf konstruktive Alternativen zur vorherrschenden politischen Stagnation und dem unaufhaltsamen, demografisch bedingten Trend hin zu einer israelischen Apartheid sind.
Diejenigen, die in die PSZs zögen, würden sich aktiv engagieren, sie zum Funktionieren zu bringen. Und ein Erfolg der frühen PSZs würde einen Druck hervorbringen, weitere zu schaffen. Tatsächlich könnten grenzübergreifende PSZs irgendwann innerhalb der besetzten Gebiete und im eigentlichen Israel kopiert werden, einschließlich von Städten wie Ramallah und Tel Aviv.
Viel wird von den Gemeinwesen abhängen, die die Einwohner gründen. Doch Außenstehende können helfen. Wie beim JGIP würden PSZs Investoren aus der Region und von anderswo Chancen eröffnen, einen Beitrag zum Frieden zu leisten und davon zu profitieren. Sie wären von Kommunalabgaben befreit und erhielten möglicherweise auch Unterstützung von ihren jeweiligen Regierungen.
Die USA könnten dabei eine Führungsrolle übernehmen, so wie sie das bei den SWZs in Ägypten und Jordanien getan haben. Regierungen und Philanthropen würden mit Fördergeldern für eine Anschubfinanzierung sorgen. Wie beim JGIP sollte das Ziel sein, bewährte Verfahren zu entwickeln, denen andere dann nacheifern können.
Es gibt bereits ernstzunehmende Akteure, die bereit sind, sich als PSZ-Unternehmer zu engagieren. Fogel etwa gehört zu "Breaking the Impasse" (BTI), einer Gruppe prominenter palästinensischer und israelischer Unternehmensführer, die sich für den Frieden einsetzen.
Eine neue Art von Pionier für den Frieden
Die vom palästinensischen Magnaten Munib al-Masri und dem israelischen Technologie-Milliardär Yossi Vardi im Juli 2012 gegründete Gruppe hat rund 300 Mitglieder, auf deren Unternehmen mindestens 30 Prozent vom israelischen und palästinensischen BIP entfallen. Anders ausgedrückt: Sie haben den Einfluss und die Ressourcen, um eine erste Welle von PSZs ins Leben zu rufen.
Die ersten PSZs müssen zeigen, dass eine Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik eine Zusammenarbeit anregen kann, die ansonsten nicht möglich wäre. Die israelische Regierung und die Palästinenserbehörde müssen dabei Unterstützerrollen spielen.
Überwiegend jedoch würden sie auf dem Rücksitz eines von Unternehmern, externen Unterstützern eines regionalen Friedens und – was am wichtigsten ist – den einzelnen palästinensischen und israelischen Bürgern gesteuerten Fahrzeugs sitzen, die Schweiß und Kapital einbringen, um eine neue Art von Pionier für den Frieden zu werden. Wenn sie Erfolg haben, könnte sich der Tod der Zweistaatenlösung als heimlicher Segen erweisen.
Ian Shapiro & Nicholas Strong
© Project Syndicate 2016
Übersetzt aus dem Englischen von Jan Doolan