Lehrstunden in Mitgefühl

Shahla Ujayli stammt aus einer Familie bekannter syrischer Autoren und Akademiker und ist selbst eine erfolgreiche Autorin. Mit ihrem Debütroman "The Cat's Eye" gewann sie 2006 den Jordan State Award for Literature, nun steht sie zum zweiten Mal auf der Shortlist des International Prize for Arabic Fiction. Von Marcia Lynx Qualey

Von Marcia Lynx Qualey

Schon Shahla Ujaylis Onkel, Dr. Abdel Salaam Ujayli (1918-2006), war ein angesehener Schriftsteller. Seine Werke suchte sie als Kind besonders gerne aus den überquellenden Bücherregalen ihrer Eltern heraus. Wieder und wieder las sie seinen Roman "The Immersed People".

Von ihrer Mutter lernte sie, Gedichte aus dem Gedächtnis zu rezitieren. Ihr Vater war ein bekannter Architekt und wirkte an der Restauration historischer Städte mit. Ihm ist es zu verdanken, so sagt sie, dass sie nicht nur Fiktion und Poesie las, sondern auch "die Geschichte der Kunst, Architektur und Geographie.... Bücher über Dämme, Brücken, Flughäfen, Landwirtschaft, Physik, Energie, Politik, Wirtschaft und die Biographien bedeutender Menschen."

Kein Wunder, dass sie selbst Literatur studierte und schließlich an der Universität Aleppo promovierte. Ihren ersten Roman, "The Cat's Eye", veröffentlichte sie 2006. Sie wurde dafür mit dem Jordan State Award for Literature ausgezeichnet. In Jordanien nahm Ujayli einen Lehrauftrag für arabische Literatur an und in Jordanien wurde sie als Schriftstellerin immer bekannter. Mit der Nominierung ihres Romans "A Sky So Close to Our House" im Jahr 2016 auf der Shortlist des International Prize for Arabic Fiction wurde man auch überregional auf sie aufmerksam.

Im folgenden Jahr gewann sie mit ihrer surrealen, folkloristisch inspirierten Kurzgeschichtensammlung "A Bed for the King's daughter" den in Kuwait verliehenen Almultaqa-Preis für die arabische Kurzgeschichte. Ihr neuester Roman, "Summer with the Enemy", wurde erneut auf der Shortlist des Internationalen Preises für den arabischen Roman 2019 nominiert.

Arab. Buchcover Shahla Ujayli: "Summer with the Enemy"; Verlag Difaf
Romane, die in Kriegszeiten entstanden sind, sollten Kunstwerke sein, keine politischen Machwerke: Auch wenn Ujayli über das persönliche Leiden schreibt, scheut sie sich nicht davor, die aktuelle Gewalt in ihrem Geburtsland Syrien zu benennen. Dies gilt auch für "Summer with the Enemy" aus dem Jahr 2018.

Diese aus der Golf-Region finanzierten bedeutenden neuen Auszeichnungen sorgen allerdings auch für Kontroversen und mitunter sogar für Enttäuschungen. Insgesamt jedoch sieht Ujayli in der Verleihung eine positive Entwicklung. "Auszeichnungen in arabischen Ländern waren lange Zeit die Sache von nationalen Institutionen oder Regierungen und Schriftstellerverbänden."

Dadurch hatten "persönliche Beziehungen, Ideologien.... und bestimmte Themen" großes Gewicht, sagt sie. Obwohl die neuen Auszeichnungen sehr stark von einzelnen Juroren abhängen, sieht Ujayli durchaus Potenzial für faire Entscheidungen.

Schreiben über Krieg und Krebs

Einer der strittigsten Aspekte von Ujaylis Roman "A Sky So Close to Our House" aus dem Jahr 2015 war dessen Fokussierung auf eine Syrerin, die sich während des Bürgerkriegs im Exil einer Krebsbehandlung unterziehen muss. In ihrer Not konzentriert sich die Protagonistin fast gänzlich auf ihr eigenes Leiden, was sie als schlimmer empfindet als die Bombenangriffe in Raqqa.

Einige Kritiker wandten sich gegen die Parallelen, die das Buch zwischen Krebs und Krieg zieht, und meinten, dies mache den Krieg klein. Michelle Hartman, die den Roman ins Englische übersetzte, merkt hierzu an, dass sich die beschriebenen Momente "absolut real" anfühlen.

"Es gibt Momente, in denen sich die kranke Frau nicht um ihre Schwestern und ihren Vater in Raqqa sorgt, also jene Menschen, die unter den Bomben leiden", sagt Hartman. Dieses zutiefst selbstbezogene Empfinden im Zustand einer schweren Krankheit oder angesichts des möglichen Todes ist grundehrlich und fühlt sich insbesondere in Verbindung mit der Krebserkrankung auch besonders intensiv und real an."

Vor einiger Zeit musste Ujayli mit ansehen, wie ihre eigene Mutter an Krebs starb. Doch Ujayli schrieb nicht allein aus persönlichem Erleben über Krebs, sondern auch, weil Krebs ein "wahrhaftes Leiden mit sich bringt. Die Krankheit verursacht Leid und die Behandlung ebenso."

Reflex der aktuellen Gewalt in Syrien

Doch es gibt nicht nur Leid. Die Krankheit, so sagt sie, schaffe für den Patienten, ebenso wie für die Menschen um ihn herum, Raum, das eigene Leben zu überdenken. Aber auch wenn Ujayli über das persönliche Leiden schreibt, scheut sie sich nicht davor, die aktuelle Gewalt in ihrem Geburtsland Syrien zu benennen. Dies gilt sowohl für "A Sky So Close to Our House" (2015) als auch für "Summer with the Enemy" (2018).

Hier achtet sie auf eine Darstellung, "die nicht vulgär ist, nicht propagandistisch und nichts von dem hat, was die Medien vermitteln". Einen Roman in Kriegszeiten zu schreiben, bedeute nicht, komplexe Erzählungen zu erklären, sagt sie. Stattdessen müssen sich Kriegsromane "mit dem Leben des Einzelnen befassen, nicht mit politischen Veränderungen und nicht mit der einen Hälfte der Wahrheit, während die andere unter den Tisch fällt".

Die Erzählung sollte ein Kunstwerk sein, keine politische Aussage. Aber darüber hinaus "sollte sie meine eigene Traurigkeit vor Augen führen und ein Trost sein, da wir auch im Schreiben nach Mitgefühl suchen[.]".

Alltagsfleiß

Wie der unermüdliche große ägyptische Schriftsteller Nagib Mahfuz schreibt auch Ujayli jeden Tag zu festen Zeiten. Darüber hinaus recherchiert sie "mit wissenschaftlicher Methodik" über die Themen ihrer Bücher. Während sie schreibt, hört sie den Soundtrack zu ihren Büchern: "Fast zwei Jahre lang täglich" ließ sie sich zu 'Summer with the Enemy' von Rachmaninow und Chopin begleiten. Zu 'A Sky So Close to Our House' hörte sie sich die Lieder von Dalida, Lara Fabian und Edith Piaf und besuchte Konzerte, da "Musik ein fester Bestandteil des Textes ist".

Ujayli ist ebenso offen für Ideen zu Romanen wie für Kurzgeschichten. Die Idee für eine Kurzgeschichte ist "klein, klar und einfach – als wäre dir gerade ein Steinchen auf den Kopf gefallen". Eine Idee, die sich in einen Roman verwandeln kann, ist anders. Sie "deutet sich in deinem Kopf an und baut sich mit der Zeit auf. Wie ein nerviger Gast tritt sie ein und bleibt zwei Jahre oder länger bei dir. Und selbst wenn du die Türen verschließt, wird sie eintreten und sich in deine Beziehungen, deine Geschichte, deine Phantasie und deine Alltagsroutine mischen."

Doch ganz gleich, ob sie eine Geschichte oder einen Roman schreibt, sie sagt, man solle von ihr nicht erwarten, dass sie Anrufe beantworte. "Förmlichkeiten sind nicht meine Stärke. Selten gehe ich aus oder besuche Leute oder checke die Nachrichten auf meinem Handy."

Ujayli ist auch Wissenschaftlerin. Seit sie "A Sky So Close to Our House" abgeschlossen hat, arbeitet sie an einer Studie über den arabischen Roman im letzten Jahrhundert. Was sie an Romanen schätzt, ist keine blumige Prosa: "Ich finde es schade, in Romanen auf eine kindlich anmutende poetische Sprache zu stoßen, in der alle Charaktere in Metaphern, Analogien und Sinnsprüchen reden. Wer sagt, dass alle Charaktere eines Romans uns Weisheiten und Lehren vermitteln müssen?"

Und doch gibt es in Ujaylis Romanen zahlreiche Lektionen über Mitgefühl. Insbesondere darüber, wie man sich selbst im Leiden anderer erkennt.

Marcia Lynx Qualey

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