Ennahda zwischen den Stühlen

Regierungskritische Demonstranten in Tunis; Foto: Reuters
Regierungskritische Demonstranten in Tunis; Foto: Reuters

Das Erstarken des radikalen Islamismus bringt die tunesische Regierungspartei Ennahda in Bedrängnis. Viele Tunesier fürchten nun einen zu großen Einfluss der Religion auf die Politik. Katharina Pfannkuch berichtet.

Von Katharina Pfannkuch

„Nein zum Putsch, ja zu Wahlen!“ In lauten Sprechchören waren diese Worte am vergangenen Samstag (03.08.2013) auf dem Place de la Kasbah in der tunesischen Hauptstadt Tunis zu hören. Über 200.000 Menschen kamen laut Ennahda-Sprecher Najib Gharbi, um die amtierende Übergangsregierung Tunesiens zu unterstützen. Die Kundgebung war eine Antwort auf die seit zwei Wochen anhaltenden Proteste gegen die Regierung. Seit dem Mord am Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi am 25. Juli entlädt sich die in anderthalb Jahren angestaute Unzufriedenheit vieler Tunesier in Massenprotesten. Kernforderung ist die Auflösung der Regierung und der Verfassungsgebenden Versammlung (ANC).

Die Regierungskoalition, bestehend aus Ennahda-Partei und den säkularen Parteien Ettakatol und CPR, habe bewiesen, dass sie weder für Sicherheit noch für einen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen könne, kritisieren die Demonstranten. Die ANC habe ihre zentrale Aufgabe, die Erarbeitung einer neuen Verfassung, nicht erfüllt. Diese sollte ursprünglich im Oktober 2012 vorliegen. Sowohl im Kabinett als auch in der ANC dominiert die Ennahda-Partei. Eine weitere Forderung der Kritiker ist die Aufklärung der Morde an Mohamed Brahmi und Chokri Belaid. Ende Juli präsentierte das Innenministerium einen Verdächtigen: Bouabaker el-Hakim, ein in Frankreich geborener, radikaler Salafist.

„Ennahda verrät den Islam“

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Das Erstarken des Salafismus stellt die Ennahda-Bewegung unter Rachid al-Ghannouchi, der erst 2011 aus dem Exil nach Tunesien zurückkehrte, vor eine Herausforderung: Offiziell bestreitet sie Verbindungen zu Salafisten. Im Mai griff die Regierung zudem mit harter Hand gegen eine verbotene Veranstaltung der salafistischen Gruppierung Ansar Al-Charia durch und setzte damit ein Zeichen. Dennoch werden Kontakte zwischen den gemäßigten und den radikalen Islamisten vermutet. Dies ging den säkularen Regierungsgegnern viel zu weit.

Gleichzeitig sinkt aber das Ansehen der Ennahda-Partei bei einigen Salafisten: „Der Partei geht es nur um politische Macht, deshalb paktiert sie mit den Laizisten“, sagt der Familienvater Walid, der sich selbst mit Stolz als Salafist bezeichnet. Zu den Laizisten zählen diejenigen Parteien, die sich für eine strikte Trennung zwischen Politik und Religion einsetzen. „Ennahda verrät den Islam“, betont er. Auch den Ansar Al-Charia geht die Kompromissbereitschaft der Ennahda-Partei zu weit. Gemeinsam mit der Terror-Gruppe Al-Qaida im Maghreb werde man die „Partisanen des Laizismus“ bekämpfen, kündigte Mohamed Anis Chaieb, Sprecher der Ansar Al-Charia, bereits im März an - auch mit Waffengewalt.

Anders als die Muslimbrüder in Ägypten gibt sich die Ennahda-Partei bei der Erarbeitung der neuen Verfassung für Tunesien flexibel: So zog sie im August 2012 einen Vorschlag für Artikel 28 der Verfassung zurück, laut dem eine Frau die „Gefährtin des Mannes“ sei und diesen „im Schoße der Familie“ ergänze. Von Gleichberechtigung war keine Rede - Frauenrechtlerinnen liefen Sturm, der Vorschlag wurde zurückgenommen. Auch auf die Nennung des islamischen Rechts in der Verfassung verzichteten die Ennahda-Abgeordneten nach Debatten mit der Opposition.

„Tendenz zur Selbstzensur“

Trotz dieser Signale hadern viele Tunesier mit dem politischen Islam der Ennahda-Partei. Mériem Bourguiba-Laouiti kennt einen der Gründe: „Gerade die Frauen fühlen sich von Ennahda bedroht - sie fürchten um ihre Rechte“, sagt die Enkelin des ehemaligen Präsidenten Habib Bourguiba. Auch der Kunsthistoriker und Hochschullehrer Houcine Tlili ist besorgt: „Die Islamisten schaffen ein Klima der Angst. Galerien schließen, Künstler werden bedroht. Aber vor allem unsere Jugend wehrt sich gegen die anti-demokratische Strömung der Islamisten.“

Doch die Justiz unter dem Ennahda-Regime ist wachsam: Der Blogger Jabeur Mejri wurde 2012 wegen „Beleidigung der Religion“ zu sieben Jahren Haft verurteilt, nachdem er eine Karikatur des Propheten Mohammed im Internet veröffentlichte. Der Journalist und Fernsehmoderator Hamza Belloumi erkennt eine wachsende Tendenz zur Selbstzensur: „Die Religion ist die neue rote Linie, an die sich kaum jemand heranwagt.

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„Religion nicht den Islamisten überlassen“

Für den Ingenieur Seif Katri sind die aktuellen Proteste mehr als eine Auseinandersetzung zwischen Regierungsgegnern und Anhängern. Die politisch aufgeladene Rolle des Islam spalte Tunesien: „Religiöse stehen auf der einen, Laizisten auf der anderen Seite“. Der gläubige Muslim Seif ist besorgt: „Gerade im Anfangsstadium der Demokratie sind Extreme gefährlich.“ Weder an den aktuellen Protesten der Regierungsgegner noch an Kundgebungen der Unterstützer nahm er teil. „Bei der Revolution 2011 gingen alle Tunesier als Einheit auf die Straße. Es spielte keine Rolle, wie religiös oder säkular der Einzelne war.“ Das habe sich nun geändert.

Versöhnlich stimmt hingegen die Teilnahme der Imame der wichtigsten Gebetsstätte von Tunis, der Zitouna-Moschee, bei den regierungskritischen Kundgebungen. Die Religion dürfe nicht den Islamisten überlassen werden, so die Botschaft der Imame. Bereits am 6. August beteten hunderttausende Regierungskritiker gemeinsam mit den Imamen. Auch das große Gebet zum Fastenbrechen am Ende des Ramadan führten die Imame der die Zitouna-Moschee mit den Demonstranten durch.

Katharina Pfannkuch

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de