Von "Schurkenstaat" zu "Schurkenstaat"

Trotz der traditionell guten Beziehungen könnte das Reisen mit der Bahn zwischen Iran und Syrien kaum abenteuerlicher sein: 60 Stunden dauert die Fahrt von Teheran nach Aleppo in Nordsyrien. Eine Reportage von Manuela Römer

Trotz der traditionell guten Beziehungen könnte das Reisen mit der Bahn zwischen Iran und Syrien kaum abenteuerlicher sein: 60 Stunden lang dauert die Fahrt über das iranische Ost-Aserbaidschan und das türkische Kurdengebiet nach Aleppo in Nordsyrien. Eine Reportage von Manuela Römer

Syrischer Gepäckwagen im Bahnhof von Täbriz; Foto: © Manuela Römer
Syrischer Gepäckwagen im Bahnhof von Täbriz - Hauptstadt der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan

​​Wer im Teheraner Bahnhof nach dem Ticketschalter für Reisen ins Ausland Ausschau hält, wird vergeblich suchen. Fahrkarten nach Syrien muss man im Reisebüro kaufen.

Dafür entdeckt man unverhofft in der Eingangshalle eine öffentliche Handy-Ladestation. An der Wand ist auf Brusthöhe eine schmale Ablage mit acht Steckdosen angebracht. Wer seinen Akku füttern will, nutzt die Zeit des Wartens auf den Zug dazu. Das Handy lässt man dort einfach unbeaufsichtigt liegen und holt es später wieder ab.

Check-In wie am Flughafen: Drei Stunden vor der Abfahrt sollen wir da sein, das ist sogar auf der Fahrkarte gestempelt. Sieht man die Reisenden mit ihren voluminösen Quadern, wird klar, dass die Zeit zum Abfertigen und Einladen tatsächlich gebraucht wird. 30 Kilo können gebührenfrei in den syrischen Gepäckwagen aufgegeben werden. Was darüber ist, kostet.

Aufwändige Gepäckabwicklung

Handy-Aufladestation am Bahnhof in Teheran; Foto: © Manuela Römer
Unerwarteter Kundenservice - Mobile Handy-Aufladestation am Teheraner Hauptbahnhof

​​Eine 37-jährige Händlerin aus der westiranischen Stadt Ahwaz, in der arabische Iraner leben, versucht ihre Ware auf die Touristen zu verteilen: Der Erlös aus dem Verkauf von Palästinensertüchern in Syrien soll nicht zu sehr durch die Gebühren für das Übergewicht geschmälert werden.

Nach der Passkontrolle und der Gepäckaufgabe erwartet uns ein Bahnangestellter feierlich in Uniform und goldfransiger Schärpe. Die Abteile im modernen Schlafwagen sind sogar mit Videobildschirmen ausgerüstet.

Fast pünktlich um 20:30 Uhr ist Abfahrt. Aus den Toiletten ertönen schräge musikalische Klänge und Reifenquietschen. Offensichtlich wird das Filmprogramm auch hierher übertragen, damit die Fahrgäste nichts verpassen.

Im Speisewagen gibt es das Abendessen entweder à la carte oder als Einheitsmenü, wenn man das Ticket inklusive Verpflegung gebucht hat. Das erklärt uns ein Schweißer aus der südiranischen Stadt Schiraz. An diesem Abend wird Huhn mit Reis serviert.

Am nächsten Morgen erreichen wir Täbriz, die Hauptstadt der Provinz Ost-Aserbaidschan – "Azeri-Land". Was macht man bloß mit zwei Stunden Aufenthalt im eisigen Norden Irans am Bahnhof?

Mein Begleiter und ich entscheiden uns für eine Stadtrundfahrt mit dem Taxi. Unser Ausflug wird eine endlose Geradeausfahrt auf der Geschäftsstraße, die schließlich den Namen des allgegenwärtigen Imam Chomeini trägt.

Zug verpasst

Nach einer Stunde kommen wir an den Bahnhof zurück – doch der Zug ist weg. Der Bahnhofsvorsteher, Herr Süleimann, ganz die Ruhe selbst, lässt erst einmal Jahan-Tee bringen: "Der schmeckt viel besser als der, den Sie im Zug bekommen."

Herr Süleimann hat tagsüber am Computer die Ankunft und Abfahrt aller Züge voll unter Kontrolle. Im zweiten Beruf doziert der Stationsdirektor am Abend an der Universität Täbriz über englische Lyrik.

Gebirge in der Türkei; Foto: © Manuela Römer
Wo die Straßen keine Namen besitzen - Fahrt vorbei an der Gebirgskulisse in der Türkei

​​Er schwärmt von Goethes Faust, den er natürlich auf Englisch gelesen hat. Er wird uns nun ein Taxi organisieren. Mit etwas Glück kann es den Zug am letzten Halt vor der Grenze einholen.

Schließlich erreichen wir die Station Salmas, rechtzeitig. Eingetaucht in Schnee und dichten Nebel. Unser Retter verlangt für die 120 Kilometer umgerechnet kaum mehr als 15 Euro. Das ist etwa ein Fünftel des gesamten Zugpreises Teheran-Damaskus.

In Salmas werden die Grenzformalitäten vorweg genommen. In der Wartehalle ist es eiskalt, besonders beliebt sind die Sitzplätze an den Heizkörpern. Wer raucht, wird vom Putzpersonal nach draußen geschickt, in den Schnee und noch größere Kälte.

Wieder an Bord suchen wir das Arztabteil auf. Das gehört zum iranischen Zugservice dazu. Aus verschraubten Plastikboxen kramt der Doktor einige Pillen, die meinem kranken Begleiter helfen sollen.

"Welcome to Turkey!"

Am Fenster ziehen schneebedeckte Berge vorbei. Der Zug durchschneidet die karge Hochebene. Pappeln leuchten im Gegenlicht und Schafhirten treiben ihre Herden an Lehm- und Schotterpisten entlang, die die wenigen kleinen Dörfer verbinden.

Wir passieren die türkische Grenze. Hier heißt es: Aussteigen! Ein Zöllner hinter Glas zeigt auf ein Foto von Staatsgründer Atatürk und fragt keck eine junge schottische Zug-Touristin: "Wissen Sie, wer das ist? – Welcome to Turkey!" Die Schottin lässt erleichtert das Kopftuch fallen.

Im Zug entledigt sich auch die Arabisch-Studentin Beatrice ihrer Kopfbedeckung. Die Zugbegleiter drehen laut Musik auf und packen ihre Dominosteine aus. Der Zug füllt sich mit ausgelassener Lebenslust am türkischen Nachmittag.

Landkarte Naher Osten; Foto: © world-maps.co.uk
"Sperrzone Irak" - für die transnationale Zugverbindung zwischen Teheran und Aleppo führt der Weg über die Türkei

​​Mitten in der Nacht steigt der Schweißer aus Schiraz aus, denn wir sind am Van-See angekommen und er will die Türkei kennen lernen. Auch die Schottin sowie ein paar andere Passagiere verlassen den Zug. Ein einziges Taxi steht in der Dunkelheit.

Die restlichen 51 Fahrgäste steigen auf die Fähre um. In ihrem Bauch hat auch der verplombte syrische Gepäckwagen Platz.

Fahrt durchs Kurdengebiet

Auf der anderen Seite des Sees wartet in Tatvan morgens der syrische Zug. Die Waggons stammen noch aus DDR-Produktion der 80er Jahre. Bald sollen sie ersetzt werden durch moderne Modelle aus Südkorea. Türkische Sicherheitskräfte sind zugestiegen. "Da die Strecke durch Kurdengebiet geht, fürchten die Türken Probleme", sagt ein syrischer Zugbegleiter.

Im Speisewagen, der schon lange nicht mehr für den Fahrgast-Service betrieben wird, sitzen Türken und Syrer zusammen und essen ihre mitgebrachten Lebensmittel. Sie haben keine gemeinsame Sprache. Nur die Kurden beider Seiten können da einspringen und übersetzen.

Raib aus dem syrischen Qamishli ist einer von ihnen. Alle zwei Monate fährt er auf der Strecke Tatvan-Damaskus-Tatvan. Unter den Fahrgästen sind viele Kurden. Sie bringen als Händler Tabak nach Syrien und führen Kleidung für den iranischen Markt wieder aus.

Haltestationsschild Aleppo; Foto: © Manuela Römer
Nach 60stündiger Bahnfahrt: Endstation Aleppo

​​Die Reisenden werden mit drei täglichen "Mahlzeiten" versorgt. In zusammengetackerten Styroporschachteln werden Kekse, Schmierkäse, Salzstangen, Marmelade, Fladenbrot, abgepackter Sandkuchen sowie Nescafé-Tütchen und Teebeutel gebracht. In der Küche kann man sich mit kochendem Wasser bedienen, das in zwei großen Wasserkesseln unablässig brodelt.

Draußen hängen tiefe Wolken über den Vulkanbergen. Die Stromleitungen sind vereist. Erst am nächsten Morgen, als der Zug die Grenze nach Syrien schon überquert hat, wird es mild. Olivenbäume säumen die Ebenen und Hänge.

Gleich sind wir in Aleppo. Dort wird der Student Muein aus Isfahan aussteigen, um seinen Vater zu besuchen. Dieser arbeitet in Hama, wo die Iraner gerade die größte Zementfabrik Syriens errichten.

Ankunft Aleppo. Nun werden die Siegel gebrochen und der Gepäckwagen geöffnet. Danach geht die Fahrt noch einige Stunden weiter bis nach Damaskus. Ein paar Tage später zieht die 30 Jahre alte amerikanische Diesellok die Waggons wieder Richtung Iran.

Manuela Römer

© Qantara.de 2007

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