Die weiblichen Sanitäter vom Tahrir-Platz
"Wir sind mit einem Ziel hierher gekommen und werden nicht wieder gehen, bis wir es erreicht haben", sagt Tiba Fadel mit Nachdruck. Die 18-jährige Frau aus Bagdad ist eine der vielen Dutzend junger Frauen, die sich bei den regierungskritischen Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in der irakischen Hauptstadt um Verletzte kümmern und medizinische Hilfe leisten.
Obwohl Fadel wegen ihrer Rolle als Helferin – online und im wirklichen Leben – bedroht und belästigt wurde, ist sie immer noch dort. Ihr Bruder demonstriert mit und wurde bereits sechsmal verletzt. Und einer ihrer Kollegen starb vor ihren eigenen Augen: "Vor mir auf dem Boden lagen Teile seines Gehirns und Schädels", erinnert sie sich. "Ich kann nicht vergessen, wie schlimm er gestorben ist, und auch nicht, wie seine Mutter auf seine Rückkehr wartete. Meine eigene Mutter habe ich bereits gewarnt, sie solle mit dem Schlimmsten rechnen – nämlich damit, dass mein Bruder und ich sterben könnten. Wenn es jetzt an der Tür klingelt, bekommt sie Angst. Aber", so fügt sie hinzu, "wir weichen nicht zurück."
Als sie zum ersten Mal zum Tahrir-Platz kam, wusste Fadel nichts über Erste Hilfe. Damals besuchte sie die letzte Klasse ihrer weiterführenden Schule. Aber jetzt hat sie bei den Protesten gelernt, anderen zu helfen, und deshalb möchte sie Medizin studieren.
Im medizinischen Dauereinsatz für Demonstranten
Fadel ist nur eine von vielen. Geht man zum Tahrir-Platz, sieht man Dutzende Irakerinnen, die nicht nur demonstrieren, sondern sich auch um Verletzte kümmern oder allgemein versuchen zu helfen. Ihre weißen Mäntel sind bisweilen mit Blut befleckt, und sie laufen von einem Zelt zum anderen, um die Opfer so gut zu behandeln, wie sie können.
Als wir dort waren, rannte gerade eine Frau vorbei, um eine Verletzung zu versorgen. Eine weitere war kurz davor, einen verletzten Demonstranten ins Krankenhaus zu bringen, um seine schwere Wunde behandeln zu lassen. Beide hatten Angst, er könnte dort verhaftet werden.
Auch Zainab Abdul Dawood al-Qaisi ist hier als Pflegerin aktiv. Sie ist Mutter von drei Kindern und arbeitet ausgerechnet für ein Regierungsbüro. Auch sie ist keine professionelle Krankenschwester, setzt sich aber trotzdem für die gemeinsame Sache ein. Dabei wurde sie angeschossen und musste zweimal operiert werden. Aber sie kehrte trotzdem zurück, um weiter zu helfen.
"Trotz der Schmerzen und der Gefahr kam ich zwei Tage nach meiner Operation wieder", erklärt sie. "Die Menschen brauchen meine Hilfe, und wenn ich hier bin, tun meine Verletzungen nicht mehr so weh."
Ihr Mann und ihre Familie mögen es nicht, dass sie hierher kommt, und einige Bekannte besuchen sie deshalb nicht mehr, sagt sie. Trotzdem ist Al-Qaisi entschlossen, hier weiter zu arbeiten. Sie ist bereits seit dem ersten Tag der Proteste auf dem zentralen Platz in Bagdad und plant, bis zum letzten zu bleiben.
Keine Beförderung ohne Bestechung
Auch Israa Ibrahim arbeitet am Tahrir als Ersthelferin. Jeden Tag nimmt sie ihre Tochter im Vorschulalter und ihre betagten Eltern dorthin mit. Sie sagt, sie sei dort von den Streitkräften verbal beleidigt und gedemütigt worden, aber sie kommt trotzdem wieder.
Ibrahim hat einen Universitätsabschluss in Finanz- und Bankwesen, aber trotzdem konnte sie keinen passenden Job finden, obwohl ihre Qualifikationen immer stärker nachgefragt werden. "Jedes Mal, wenn ich meinen Lebenslauf zeige, werde ich aufgefordert, ein Bestechungsgeld zu zahlen. Wenn ich das nicht mache, geht der Job an einen Bekannten der Bankmanager", beschwert sie sich. "Und hier auf dem Platz sind Hunderte von Menschen, denen es ähnlich geht – Absolventen, die aus genau diesem Grund arbeitslos sind."
Dua al-Ali wiederum musste auf ihren Konten bei den Sozialen Medien ihre gesamte Familie blockieren. Zuerst kam die Kunststudentin als Demonstrantin zum Tahrir-Platz, hat aber seitdem viel über Erste Hilfe gelernt und die Rolle einer Sanitäterin übernommen. Sie will nicht, dass ihre Familienmitglieder erfahren, was sie hier tut, da sie sich sonst Sorgen machen würden. Jeden Tag kommt sie hierher, um zu helfen, aber sie erzählt ihrer Familie, sie ginge zur Universität.
"Meine Eltern werden erst dann wissen, was ich wirklich mache, wenn ich hier sterbe und sie meinen Körper bekommen", erklärt sie. "Meine Brüder und meine Familie sind der Grund dafür, warum ich hier bin. Dies ist meine Pflicht und meine Verantwortung, und ich kann sie nicht im Stich lassen."
Alle Frauen sind sich einig, dass die medizinische Hilfe, die sie hier leisten, noch eine weitere Bedeutung hat: "Dass wir hier sind, ist eine zusätzliche Revolution gegen die tief verwurzelte soziale Tradition über die Rolle der Frauen", erklärt Fadel. "Dies kann man an den Nachrichten sehen, die ich auf Facebook bekommen habe. Zuerst waren sie sehr negativ und beleidigend, aber jetzt sagen die Leute, dass sie stolz auf uns sind. Hätten wir uns nicht verpflichtet, hier zu sein und zu helfen, wäre das nicht passiert."
Azhar Ali Hussein
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff