Wie Deutsche den Iran gern sehen

Eine Moscheekuppel mit grünem Mosaik vor dem Panorama einer Stadt, dahinter Berge.
Schöne Orient-Kulisse: Blick auf die Scheich-Lotfollah-Moschee in Isfahan. (Foto: Picture Alliance / Amazing Aerial Agency | Airpano)

Ein Roman über den Iran voller Fehler, Klischees und Exotismen – und doch vom deutschen Literaturbetrieb gefeiert. „Im Herzen der Katze“ von Jina Khayyer zeigt, wie unkritisch der Markt mit Projektionen umgeht, solange sie Erwartungen erfüllen.

Von Omid Rezaee

Es gibt eine eigentümliche Erwartungshaltung, mit der viele Deutsche auf iranische Kulturprodukte blicken. Wer ein iranisches Restaurant besucht, bestellt nicht nur Essen. Für die zwanzig Euro wird gleich ein kleines Iran-Erlebnis mitverlangt: persische Musik, blaue Kacheln, Kellner:innen mit Akzent. 

Kommt stattdessen iranischer Rock aus den Lautsprechern oder hängt moderne Kunst an den Wänden, ist die Enttäuschung groß – weil das nicht ins Bild passt, das man vom Iran pflegt.

Diese Logik hat längst auch den Literaturbetrieb erreicht. Ein Buch über den Iran muss für viele Leser:innen nicht in erster Linie literarisch sein, sondern eine „Erklärung“ liefern: das ganze Land, seine Kultur, seine Politik – am besten gut verdaulich, sodass man nach der Lektüre im Freundeskreis behaupten kann, nun den Iran zu kennen. 

Solche Erwartungen bestimmen den Markt, und Autor:innen bedienen sie bereitwillig. Das Ergebnis sind Texte, die mehr über westliche Projektionen verraten als über die Gesellschaft, in denen die Handlung spielt.

Jina Khayyers Debütroman „Im Herzen der Katze“ ist ein Paradebeispiel dafür. Der Roman, der es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, beginnt mit einem Zufall: Die Ich-Erzählerin trägt nicht nur denselben Vornamen wie die Autorin des Buchs, sondern auch wie Jina Mahsa Amini, deren Tod 2022 die „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste auslöste. 

Weder Autorin noch Verlag kennen den Iran

Schon diese Ausgangsszene zeigt die Schieflage des Buches: Die Ich-Erzählerin gibt unumwunden zu, bis dahin nicht gewusst zu haben, dass „Jina“ ein realer Name im Iran ist – sie hielt ihn für eine Erfindung ihrer Familie. Damit wird deutlich: Ihre Kenntnis des Landes, dessen Gesellschaft sie im Buch zu deuten beansprucht, ist minimal.

Buchcover: Jina Khayyer, Im Herzen der Katze. Credits: Suhrkamp Verlag (Free Download)
(Suhrkamp Verlag 2025)

Was folgen müsste, wäre die Geschichte einer tastenden Annäherung, einer Selbstbefragung vielleicht. Stattdessen entwickelt die Ich-Erzählerin sofort den Gestus der Erklärerin. Und scheitert bereits auf den ersten Seiten: Da wird etwa behauptet, der iranische Kalender sei ein Mondkalender – tatsächlich ist es ein hochpräziser Sonnenkalender, der eng mit den Jahreszeiten verknüpft ist. 

Ebenso gravierend sind die dilettantischen Herleitungen persischer Begriffe: „Āberu“ (آبرو) – im Iran ein zentrales Konzept, das mit „Ehre“ nur unzureichend übersetzt ist – wird in seine Bestandteile „Āb“ (آب, Wasser) und „Ruh“ (روح, Seele) zerlegt und so zu einer poetischen Fehlkonstruktion. Von diesem Irrtum ausgehend, konstruiert Khayyer dann mehrere Seiten kulturkritischer Reflexion.

Die Liste der sachlichen Fehler ist lang: So landet die Ich-Erzählerin bei ihrer angeblichen Iranreise im Jahr 2000 am Flughafen Imam Khomeini – dabei wurde dieser erst 2004 eröffnet. Persische Wörter werden immer wieder falsch transkribiert; Fehler, die typisch für in Deutschland sozialisierte Menschen sind, für die das Persische Zweit- und Drittsprache ist. 

Solche Schlampigkeiten mögen für einen Roman zunächst nebensächlich wirken. Im deutschen Literaturbetrieb wird „Im Herzen der Katze“ aber eben nicht als Privatfiktion gehandelt, sondern als „historisch-politischer Roman über den Iran“.

Orientalistische Bilder sind nicht harmlos

Problematischer als die faktischen Irrtümer ist das Bild, das Khayyer vom Iran entwirft: ein zutiefst orientalisiertes. So entwirft sie den Iran vor den Protesten von 2022 als Land, in dem alle Frauen schwarze Tschadors tragen, in dem schon das bloße Gespräch zwischen Männern und Frauen verboten ist, in dem Mädchen mit Schlägen durch die Straßen gejagt und bei kleinsten Vergehen gesteinigt werden. 

Ja, die Islamische Republik ist ein repressives Regime. Aber dieses Bild ist eine Karikatur, die nicht der Realität entspricht. Frauen in Teheran oder Isfahan trugen zu keiner Zeit mehrheitlich Tschador; Konversation zwischen den Geschlechtern war nie ein Straftatbestand; Stein- und Peitschenstrafen sind die Ausnahme, nicht die Regel.

Solche Übertreibungen sind nicht harmlos. Sie verschleiern nämlich, dass es seit 1979 eine kontinuierliche und vielgestaltige zivilgesellschaftliche Gegenbewegung gegeben hat – Frauen, Intellektuelle, Aktivist:innen, die den Islamisten Grenzen setzten; die verhinderten, dass die Scharia so umfassend umgesetzt wurde, wie das Regime es wünschte. 

Wer den Iran nur als Land der willenlosen Opfer schildert, entwertet vierzig Jahre Widerstand und liefert dem Regime zugleich ein Argument: Denn was so grotesk verzerrt ist, lässt sich leicht zurückweisen.

Khayyer widmet ihre detailfreudigen Passagen der persischen Vergangenheit – bei Zarathustra, dem Sufismus oder der Architektur Isfahans –, während der heutige Iran nur als exotische Kulisse einer grauenhaften Diktatur erscheint. Das verstärkt den Eindruck: Hier wird nicht das Land in seiner Komplexität gezeigt, sondern ein Klischee von Orient und Despotismus.

Die Fehler sind ein Spiegel

Das alles wäre schon für sich problematisch genug. Aber die eigentliche Frage lautet: Warum findet ein solcher Text im deutschen Literaturbetrieb Anerkennung, ja sogar Preisnominierungen? Dass Fehler wie ein falsches Kalendersystem, eine falsche Wortetymologie, ein nicht existenter Flughafen niemandem auffallen, ist kein Zufall. 

Es ist das Symptom eines Betriebs, der weniger an Genauigkeit interessiert ist als an der Bestätigung eigener Projektionen: exotisch, rückständig, repressiv. Aus dem Blick geraten dabei die feinen, komplizierten Mechanismen der Unterdrückung. Ohne die kann man die Macht des heutigen Regimes genauso wenig verstehen wie seine Grenzen. 

So ist „Im Herzen der Katze“ nicht nur ein schwacher, klischeebeladener Roman. Er ist auch ein Spiegel: für die Erwartungen eines westlichen Publikums und für die Nachlässigkeit eines Literaturbetriebs, der solche Projektionen nicht nur hinnimmt, sondern befördert. In der deutschen Literatur bleibt der Iran ein Land, das sich im Feuilleton fabelhaft konsumieren lässt – ähnlich wie das Menü im iranischen Restaurant.

 

„Im Herzen der Katze“
Jina Khayyer
Suhrkamp Verlag, Juli 2025
253 Seiten

 

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