Für Günter Wallraff gibt es kein Zurück
Er könne die Aufregung gar nicht verstehen, meint der Kölner Schriftsteller Günter Wallraff. Nicht im Traum habe er daran gedacht, eine "Affäre" daraus zu machen, er habe die Anregung doch nur "ganz spontan" in einer Rundfunk-Diskussion gemacht.
Nämlich: in der Moschee der Türkisch-Islamischen Union (DITIB) - zwei Ecken von seiner Wohnung entfernt – eine Lesung aus den "Satanischen Versen" zu veranstalten und mit der Gemeinde darüber zu diskutieren.
Bei DITIB dürfte man bereuen, den Anstoß auch noch selbst gegeben zu haben: Man hatte Wallraff nämlich eingeladen, Mitglied des Beirates der geplanten Moschee zu werden:
Als vermeintlich türkischer Arbeiter "Ali Levent" hatte Wallraff 1985 Furore gemacht, als er dessen Erfahrungen in deutschen Firmen veröffentlichte. Er steckte später seine Einnahmen in ein Integrationsprojekt in Duisburg, und heute gehört Wallraff zu den Befürwortern des in Köln heiß diskutierten Neubaus einer Moschee der DITIB:
"Da, wo seit 20 Jahren eine Behelfsmoschee steht, da haben die Muslime das Recht, eine anständige und auch vorzeigbare moderne Moschee hinzusetzen", meint der Autor. "Und hier in Köln, wo ich wohne, hat die Diskussion darum eine – wie ich finde – hysterische Form der Auseinandersetzung angenommen: Rechtsradikale haben versucht, die Bürger gegen diese Moschee zu mobilisieren, und das hast eine völlig falsche Diskussion hervorgerufen."
"Man soll über die 'Satanischen Verse' streiten"
Gleichzeitig, so Wallraff, setze er sich für die Meinungsfreiheit ein. Schließlich habe er seinen Freund und Kollegen Salman Rushdie als Gast beherbergt, als dieser von der Fatwa bedroht gewesen war.
Im privaten Kreis habe er die "Satanischen Verse" längst schon mit türkischen Freunden und Nachbarn diskutiert und die hätten dabei schallend gelacht und den Text nicht als Blasphemie empfunden.
"Man kann über das Buch denken, was man will", so Wallraff, "man kann sich darüber heftig auseinandersetzen, man sollte darüber auch streiten. Aber niemand darf wegen einer Meinungsäußerung – erst recht nicht in einer Kunstform – sein Leben aufs Spiel setzen müssen."
Er habe auch nicht vorgeschlagen, die Diskussion im "sakralen Bereich" der Moschee abzuhalten, sondern im Gemeindezentrum in Köln-Ehrenfeld. Dort aber könne solch eine Veranstaltung durchaus Vorbildcharakter für andere muslimische Gemeinden in Deutschland haben. Wobei Wallraff klar differenziert zwischen der Intoleranz anderswo und der Haltung in Deutschland:
"Ich finde, die in Deutschland lebenden Muslime haben es nicht verdient, damit identifiziert zu werden, denn es sind – so wie ich sie kenne – weitgehend friedliebende Menschen. Keine Fanatiker. Es sind Muslime der zweiten, dritten Generation, die vergleichen können. Sie sehen die positiven Seiten ihrer jeweiligen Kulturen. Das sind für mich die Menschen der Zukunft. Und mit denen möchte ich so ein Buch diskutieren, und ich bin zuversichtlich, dass das auch stattfindet.
DITIB in der Zwickmühle
Entschieden ist das bisher aber keineswegs: DITIB ist darüber offensichtlich in Verlegenheit geraten, und eine Entscheidung steht aus, solange der Vorstand in Urlaub ist.
Sicher aber ist jetzt schon: Wie immer der Verband entscheidet, es wird neue Probleme schaffen: Lehnt er ab, dann setzt er sich dem Vorwurf mangelnder Liberalität aus; stimmt er zu, dann vergrätzt er eine Reihe von Mitgliedern.
Und dies zu einer Zeit, in der man sich über den Bau der Moschee auseinandersetzen muss sowie über die Verschärfung des Zuwanderungs-Gesetzes und den damit begründeten Boykott des "Integrationsgipfels" der Bundesregierung durch einige islamische Verbände.
Wallraff bedauert, dass es früher keine Distanzierung deutscher Muslime von der Fatwa gegen Rushdie gegeben habe und er versteht es als ersten Erfolg seiner Bemühungen, dass die DITIB dieser Tage eine klare Verurteilung der Fatwa veröffentlichte. Wenn der Schriftsteller Martin Walser ihm nun "Kolonialismus" vorwerfe, dann sei das doch Unsinn, so der Autor:
"Das ist doch mit meiner Person verknüpft: Mein ganzes Werk steht für Integration. Ich bin jemand, der hier in Ehrenfeld bei den Nachbarn – vor allem auch bei den türkischen Nachbarn – Freunde hat. Mir kann man nicht vorwerfen, ich würde mich hier in eine Sache einmischen, von der ich nichts verstehe und die mich nichts angehe".
Gefangener der eigenen Idee
Wallraff glaubt auch nicht, dass die DITIB wirklich Probleme mit der eigenen Gemeinde bekommen werde. Man müsse eben klarstellen, wer dazu gehöre und wer nicht. Es gebe in der muslimischren Gemeinde aber sicher auch Menschen, die die Diskussion über Rushdie wegen des negativen Images nicht wollen und die Angst vor einer offenen Diskussion haben.
So wie es auf nicht-muslimischer Seite ja auch erschreckende Beispiele gebe. Wie bei dem Publizisten Ralph Giordano, der nicht nur gegen den Moscheenbau sei, sondern auch erklärte: Wenn die Diskussion in der Moschee zustande komme, dann nicht mit ehrlicher Zustimmung, sondern um den Schein zu wahren.
Dass er auch selbst ein Gefangener dieser Idee geworden ist, scheint Wallraff nicht zu sehen: Ein Zurück kommt für ihn nicht in Frage. Wenn die Diskussion aber stattfinde, dann werde er sich auch im Beirat der Moschee einbringen, dazu brauche er "ja nicht gleich Moslem zu werden …"
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE 2007
Qantara.de
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