Ein Signal an Assad
Keine Frage: Mit seiner unerwarteten Entscheidung, den Hauptteil der russischen Truppen aus Syrien abzuziehen, überraschte der russische Präsident Putin Freund und Feind gleichermaßen.
Und so haben im arabischen Raum fast alle Assad-Gegner diesen Schritt begrüßt, allen voran Qatar und Saudi-Arabien, die die Hauptunterstützer der moderaten Oppositionskräfte sind. Beide Länder hoffen dadurch auf einen positiven Schub für die laufenden Syrienverhandlungen in Genf.
Aufseiten des Assad-Regimes hingegen scheint sich die Freude über den Teilabzug Russlands in Grenzen zu halten. Arabische Medien berichteten in den letzten Tagen mehrfach über große Meinungsverschiedenheiten zwischen Putin und Assad kurz vor der Ankündigung der Abzugspläne durch den Kremlchef.
Dieser Dissens zwischen Assad und seiner Schutzmacht über Ziele der Intervention Russlands hat sich unmittelbar nachdem die Waffenruhe in Kraft trat bereits angedeutet: Syriens Gewaltherrscher machte nämlich in Interviews mit der internationalen Presse keinen Hehl daraus, dass er beabsichtigt, das ganze Land unter seine Kontrolle zu bringen. Das hat einige russische Diplomaten dazu veranlasst, ihn in die Schranken zu weisen – und auf die Notwendigkeit einer politischen Lösung für den Konflikt hinzuweisen.
Jedenfalls wird durch diesen Vorfall deutlich, dass die russischen Interessen nicht deckungsgleich mit denen des Diktators sind. Zwar wollte Putin das von den Rebellen bedrängte Assad-Regime vor dem Untergang bewahren und die gemäßigten Rebellen schwächen. Dabei spielte übrigens der Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" in den Überlegungen Putins keine nennenswerte Rolle.
Doch Putin wollte seinen Vasallen in Damaskus keinesfalls zum militärischen Sieg verhelfen. Denn dies würde die russische Armee in einen brutalen und kostspieligen Krieg gegen die sunnitische Bevölkerungsmehrheit Syriens hineinziehen. Ein zweites Afghanistan würde Russland Interessen ökonomisch und politisch massiv schaden.
Russland hat ein Ziel erreicht
Inzwischen hat Putin seine Ziele weitgehend erreicht: Das Assad-Regime konnte mithilfe der libanesischen Hisbollah und diverser schiitischer Milizen stabilisiert werden. Die strategisch wichtige Militärbasis in Tartus konnte ausgebaut werden; ein zweiter Stützpunkt kam sogar hinzu. Und ein Regimewechsel nach dem Vorbild der Nato-Intervention in Libyen ist nicht mehr möglich. Somit bestätigt sich Russland als Pionier eines neuen Autoritarismus, der offensichtlich auf die Eindämmung und Destabilisierung der Demokratien abzielt.
Aber noch wichtiger: Russland konnte durch sein blutiges Engagement dem im Syrienkonflikt untätigen Westen vorführen, dass die ehemalige Weltmacht, vor Kurzem noch von US-Politikern als "Regionalmacht" geschmäht, auf der weltpolitischen Bühne zurückgekehrt ist. Jedenfalls scheint eine politische Lösung für den komplexen Stellvertreter-Krieg in Syrien gegen den Willen Moskaus kaum vorstellbar.
Der russische Truppenabzug ist daher als Signal an Assad zu verstehen. Der Noch-Machthaber soll nach dem Willen Putins endlich mit der Opposition ernsthaft verhandeln, um den Rest-Staat und vor allem die territoriale Einheit Syriens zu bewahren. Doch Assad scheint zurzeit an Machtteilung nicht wirklich zu denken.
Weil nur eine gesamtsyrische Übergangsregierung ohne Assad den Weg für eine politische Lösung ebnen kann, ruhen ausgerechnet auf Putin alle Hoffnungen des Westens auf ein Ende des mörderischen Kriegs in Syrien.
Wann Putin bereit sein könnte, Assad fallen zu lassen, bleibt jedoch ungewiss.
Loay Mudhoon
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