Gespielte Hilflosigkeit des Westens
Auch der dritte Anlauf ging in die Hose. Weniger als hundert Stunden hielten es Oppositionsvertreter und Regimerepräsentanten gemeinsam in Genf aus. Dann packten sie schon wieder die Koffer, ohne dass eine diplomatische Lösung des Syrienkonflikts nur einen Zentimeter näher gerückt wäre. Die Gesandten Baschar al-Assads gehen als Punktesieger aus der kurzen, Genf III betitelten Zusammenkunft hervor: An ihnen habe das Scheitern dieser jüngsten Syriengespräche nicht gelegen, können sie behaupten. Schließlich habe die Opposition die Verhandlungen abgebrochen.
Dafür hatten die Assad-Gegner allen Grund. Pünktlich zum Beginn des Gipfels in Genf hatte die russische Luftwaffe ihre Angriffe auf Stellungen der Opposition rund um Aleppo ausgeweitet. Zehntausende Menschen sind seitdem auf der Flucht, viele von ihnen in die nahe gelegene Türkei. Die einstige Wirtschaftsmetropole Aleppo hätte zur Hauptstadt der Regimegegner werden können, so zumindest die Hoffnung noch vor wenigen Monaten. Doch dann griff Putin in den Krieg ein und zerschlug auch diesen Traum. Nach Hama und Homs könnte Aleppo der letzte Sargnagel für die Aspirationen der Aufständischen gewesen sein. Denn ein Einlenken Russlands ist nicht in Sicht.
Keine Unterstützung für die syrische Opposition
Auch deshalb ist das Gerede der westlichen Diplomaten in Genf, dass der Konflikt nur politisch, nicht aber militärisch gelöst werden könne, so irreführend. Eigentlich war der Satz schon immer nur eine Ausrede: Zu keinem Zeitpunkt des Konflikts waren Amerika oder Europa willens, die Opposition wirklich entscheidend zu unterstützen. Als die Freiheitskämpfer eine Flugverbotszone forderten, wies man sie zurecht, dass das militärisch nicht durchführbar sei. Als Assad sie mit Chemiewaffen attackierte, band man das Regime in ein groß aufgelegtes Giftgasabrüstungsprogramm ein – und machte den Brandstifter zum Feuerlöscher.
Dafür, dass das so bleibt, hat Putin mit seiner Intervention gesorgt. Längst ist Assads wichtigster Verbündeter zum Königsmacher in Syrien geworden. Ohne sein Zutun wird sich der Krieg nicht beenden lassen – und der Diktator in Damaskus im Amt bleiben.
Auf der Sicherheitskonferenz in München werden Kerry und Steinmeier deshalb wieder mit Engelszungen auf den russischen Außenminister Lawrow einreden, für ein Ende der Luftangriffe zu sorgen. Doch dazu wird es nur kommen, wenn Assad seine territorialen Ziele erreicht hat. Aleppo bedeutet da nur den Anfang.
Von Fassbomben über Folter bis zum Aushungern ganzer Städte
Dass der Westen durchaus über die Mittel verfügt, dem militärischen Vorgehen Russlands Paroli zu bieten, zeigen ein paar Zahlen: Auf fast sechs Milliarden US-Dollar belaufen sich inzwischen die Ausgaben, die Washington in den Krieg gegen den "Islamischen Staat" gesteckt hat. Tag für Tag elf Millionen US-Dollar gibt das amerikanische Militär seit August 2014 für die Luftangriffe gegen die Dschihadisten aus, die einst von Assad aus den Gefängnissen entlassen wurden, um die moderate Opposition zu schwächen. Dessen Kriegsverbrechen aber schaut die internationale "Allianz gegen den IS" bis heute ungerührt zu – von Fassbomben über Folter bis zum Aushungern ganzer Städte.
Vor diesem Hintergrund lesen sich die Zahlen der Londoner Syrien-Konferenz schon weitaus weniger beeindruckend als von Ban Ki Moon gepriesen: Neun Milliarden Euro bis 2020 versprachen die Geber dort am vergangenen Donnerstag, von denen bis Jahresende sechs in die Krisenregion überwiesen werden sollen.
Dass das vorne bis hinten nicht reicht, sechs MillionenMenschen, die innerhalb Syriens auf der Flucht sind, zu versorgen, und viereinhalb Millionen weitere in den Nachbarstaaten, wissen alle. Dabei mangelt es nicht an den Mitteln, wie die Ausgaben für den Luftkrieg gegen den IS zeigen: Mindestens vier Milliarden Dollar wird das Pentagon auch in diesem Jahr wieder für die Bombardements gegen die Terrormiliz ausgeben. Der Gewissensberuhigung dient die Geberkonferenz natürlich trotzdem.
Am meisten freuen aber dürfte sich Assad über die Londoner Beschlüsse, denn aus seiner Sicht klappt die Arbeitsteilung hervorragend: Der Westen zahlt für die von ihm verursachte humanitäre Katastrophe, und Putin schafft auf dem Boden in seinem Sinne Fakten.
Markus Bickel
© Qantara.de 2016
Der Autor berichtete aus dem Libanon unter anderem für Spiegel Online, die Zeit und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Von 2008 bis 2012 war er Redakteur der F.A.Z. in Frankfurt, von 2012 bis 2015 deren Nahost-Korrespondent in Kairo. Seit 2016 arbeitet er als Autor und Journalist in Berlin.