"Eine Art von Wahrheit!"
Für seinen unnachgiebigen Kampf für Meinungsfreiheit und Demokratie in der arabischen Welt wurde der ägyptische Schriftsteller Sonallah Ibrahim mit dem Ibn Rushd-Preis 2004 ausgezeichnet. Youssef Hijazi berichtet über Leben und Werk des kritischen Intellektuellen
Als der ägyptische Schriftsteller Sonallah Ibrahim im Oktober 2003 die Bühne des Opernhauses in Kairo bestieg, berichtete die nationale und die internationale Presse über diesen Auftritt, und seine Stimme erreichte die ganze Welt.
An jenem Tag wollte der ägyptische Kulturminister ihm den Arabischen Erzählerpreis verleihen. Der Preis ist mit 100.000 ägyptischen Pfund (ca. 13.000 Euro) dotiert und war zuvor dem im Januar 2004 verstorbenen kritischen Schriftsteller Abdalrachman Munif verliehen worden.
In knappen Worten lehnte Sonallah Ibrahim die Annahme des Preises jedoch ab und begründete dies mit seinem Protest gegen die undemokratischen politischen Zustände in Ägypten. Er forderte die anwesenden Kollegen auf, sich zu erheben und erklärte, es sei nicht hinnehmbar "dass der Intellektuelle die Augen verschließt oder schweigt oder seine Verantwortung nicht wahrnimmt".
Perspektive für kollektive Erfahrungen
Er rief die Ägypter dazu auf, sich dem System zu widersetzen und die Aufhebung des seit mehreren Jahrzehnten andauernden Ausnahmezustands zu fordern. "Dieser Preis wird von einer Regierung verliehen, die, meiner Meinung nach, dafür keine Glaubwürdigkeit besitzt", betonte er.
Manch einer zweifelte jedoch an der Glaubwürdigkeit Ibrahims und fragte sich, warum Ibrahim einen Preis der ägyptischen Regierung ablehne, den "Sultan-Al-Uwais-Preis" im Jahre 1994 dagegen angenommen habe. Sind die arabischen Prinzen etwa seiner Meinung nach demokratischer als andere arabische Führer oder als die ägyptische Regierung?
Doch abgesehen von dieser Debatte und dem Für und Wider, zeigte Ibrahims reales Beispiel, dass die Ablehnung des Gegebenen möglich ist. Die Tat eines Einzelnen eröffnete so eine Perspektive für kollektive Erfahrungen.
Schreiben für Veränderungen
Sonallah Ibrahim wurde 1937 in Kairo geboren und studierte an der Kairoer Universität Jura. Er schloss sich der kommunistischen Untergrundorganisation in Ägypten an. Wegen seiner politischen Aktivitäten wurde er mehrmals im Zuge der Kampagne gegen die Linke unter Präsident Nasser inhaftiert.
Seinen ersten Roman - "Tilka al-ra’iha" (Jener Geruch)- schrieb Ibrahim nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Er erschien 1966 und wurde unmittelbar nach seinem Erscheinen verboten.
Erst 1986 konnte er wieder publiziert werden. In seiner Zelle hatte Ibrahim beschlossen, sich dem Schreiben zu widmen, weil er darin eine effektivere Methode sah, eine politische und gesellschaftliche Veränderung zu bewirken.
Nach seiner Haftentlassung arbeitete Ibrahim 1967 für die ägyptische Nachrichtenagentur Middle East News Agency (MENA). 1968 übersiedelte er nach Ost-Berlin, wo er bis 1971 für die Nachrichtenagentur ADN arbeitete. Danach studierte er Drama in Moskau bis 1974. Anschließend kehrte er in seine Heimat Ägypten zurück und widmete sich ganz der Schriftstellerei und Übersetzung.
Zeitgeschichtliche Dokumente
Während in den sechziger Jahren die Schriftstellergeneration Ibrahims über die Revolution und den Sieg der Arbeiter und Mittellosen schrieb, behandelte Sonallah Ibrahim die Widersprüche der nationalen Befreiungsbewegungen, die einerseits die reaktionären Kräfte bekämpfen, andererseits aber die Volksmassen unterdrücken, die Demokratie fürchten und die Stellung der Autorität stärken.
So schrieb er zum Beispiel über Sex und Habgier in "Beirut, Beirut" (1984), wo er den Bürgerkrieg im Libanon behandelte, oder - in "Warda" (2000)- über die irrationale Loyalität von Revolutionären, die sich zu Dienern der Sultane wandelten, an Hand der Geschichte des Befreiungskampfes Zuffars im Oman der siebziger Jahre.
Aus den erwähnten Werken lässt sich entnehmen, dass Sonallah Ibrahim zeitgeschichtlich dokumentierende Romane schreibt. Dies gilt ebenfalls für die Romane über Ägypten, angefangen mit "Jener Geruch" über den Roman "Auguststern" (1974), der vom Bau des Assuan-Staudamms und von den Leiden der Bauern und der Armen, die dieser Bau mit sich zog, erzählt, bis hin zu dem Werk "Der Prüfungsausschuss" (1981), das weitgehend Kafkas "Prozess" ähnelt, und als einziger Roman von ihm auf Deutsch erschien.
Die Romane "Dhat" (1992) und "Sharaf" (1997), befassen sich mit der realen Wirklichkeit, mit der die ägyptische Gesellschaft nach der wirtschaftlichen Liberalisierung unter Sadat und Mubarak konfrontiert wurde.
Sein jüngstes Werk Amrikanli (Amerikanisch, 2003) handelt von einem ägyptischen Gastprofessor, der an einer amerikanischen Universität lehrt. Er trägt stark autobiographische Züge, da Ibrahim im Jahre 1988 als Gastprofessor an der Universität Berkeley in Kalifornien arbeitete.
Die Werke Sonallah Ibrahims zeichnen sich dadurch aus, dass sie zitierte Texte wie Auszüge aus den Zeitungen beinhalten, die in Form einer Collage zusammengefügt wurden. "Das Platzieren einer Nachricht neben einer anderen kann (dem Leser) die Dimensionen der Entwicklung und der Änderung aufzeigen", so Ibrahim. Seine Schriften verbinden seinen Lebenslauf mit den jeweiligen politischen Ereignissen, damit strebt er die "Einheit von Roman, Realität und Autor" an.
"Eine Art von Wahrheit"
Am 26. November 2004 wurde Sonallah Ibrahim in Berlin mit dem Ibn-Rushd-Preis für Freies Denken ausgezeichnet. Verliehen wird der Preis vom Ibn-Rushd-Verein, benannt nach dem berühmten arabischen Philosophen und Mittler zwischen den Kulturen aus dem 12. Jahrhundert.
Die Rede Sonallah Ibrahims anlässlich der Preisverleihung in Berlin trug den Titel "Eine Art von Wahrheit". Darin sprach er hauptsächlich über die Frage der Hegemonie der USA, der internationalen Konzerne und der Globalisierung und zitierte die indische Schriftstellerin Arundhati Roy mit den Worten:
"… solange unsere "Märkte" offen sind, solange Enron, Bechtel, Halliburton, Arthur Andersen freie Hand haben, können unsere Führer – manche von ihnen auch demokratisch gewählt - sorglos die Linien zwischen Demokratie und Faschismus verwischen (...). Wer sie kritisiert, wird als Terrorist bezeichnet."
Doch Sonallah Ibrahim bleibt in den sechziger Jahren gefangen. So schreibt er detailliert "Während das palästinensische Volk in aller Öffentlichkeit weiter vernichtet wird, legt die Weltmacht Amerika ihre Hand auf Iraks Öl und bereitet sich vor, auch die Kontrolle über das Öl im Iran zu übernehmen. Aus dem Islam wird ein Monster gemacht, das die Kapitalisten Europas instrumentalisieren, um die Ausbeutung der eigenen Bürger zu verdecken. Im Namen der Bekämpfung des Antisemitismus werden faschistische Gesetze erlassen".
Ibrahim kritisiert Personen, die vom rechten Pfad abfallen, und lobt die Ära des Präsidenten Nassers "trotz allem", doch man hörte von ihm keine Kritik an den Kräften, die am Reformprojekt arbeiten und dabei versagen
Diese Frage ist also offen geblieben. "Eine Art von Wahrheit" reicht eben nicht aus!
Youssef Hijazi
© Qantara.de 2004
Von Sonallah Ibrahim ist im Lenos Verlag der Roman "Der Prüfungsausschuss" (1987 und 1993) erschienen.