Melancholie und Hoffnung
Autos brannten, Steine flogen – die postkoloniale Übereinkunft in Frankreich ist ein labiles, asymmetrisches Konstrukt. Der Mangel an Perspektiven gehört für die Bewohner der Banlieues zur Tagesordnung, das Lebensgefühl der zweiten, dritten Generation der Migranten ist Unzufriedenheit. Insofern ist Souad Massi eine Ausnahme. Die charismatische Sängerin weiß, warum sie ihre algerische Heimat verlassen hat. Und sie hat Erfolg.
Kein Platz für junge Künstlerinnen
Trotzdem ist das nur bedingt ein Grund zur Freude. Denn Massis Wurzeln liegen im Maghreb, irgendwo zwischen Algier und den verschwindenden Kulturräumen ihrer Berber-Vorfahren. Dort aber war – und ist - für eine junge Frau mit Träumen kein Platz. Von außen betrachtet, sieht eine Künstlerbiografie häufig spannend und vielfarbig aus. Erste Erfolge, Widerstände, Auswanderung, erneut Erfolg, diesmal im internationalen Rahmen. Die Innensicht jedoch ist eine andere: "Ich habe mich oft allein gefühlt, einsam, besonders weil ich keinen Rückhalt hatte. Es hat sich erst jetzt etwas geändert, seitdem meine Tochter auf der Welt ist. Das gibt mir Kraft und Sicherheit, mich zu Hause zu fühlen."
Souad Massi versteht sich als Weltbürgerin mit der musikalischen Botschaft der Harmonie. Damit kommt sie in Europa und in fortschrittlichen arabischen Kreisen gut an. Die Entscheidung zur kosmopolitischen Existenz jedoch fiel nicht freiwillig, sondern war ein Resultat ihrer Weigerung, den Ansprüchen einer fundamentalistischen Gesellschaft zu entsprechen. Geboren 1972 in Algier, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, wuchs sie in einer Zeit auf, die von sozialistischer Diktatur und Bürgerkrieg geprägt war. Musik war ein Ventil, die täglichen Eindrücke zu verarbeiten, die Gitarre bot die Möglichkeit, sich auszudrücken, die Balance zu finden.
Anfänge von Flamenco bis Metal
Massi studierte, klassische, arabisch-andalusische Musik, außerdem Ingenieurswesen. Erfolglos versuchte sich die Siebzehnjährige mit der Gruppe "Les Trianas d'Alger" und Flamencoklängen auf der Bühne. Nur durch massives Zureden ihres jüngeren Bruders machte sie weiter und hatte im zweiten Anlauf mehr Glück. Die Band "Atakor" traf mit westlich orientiertem Metal-Sound den Geschmack der algerischen Jugend. Massi wurde zum lokalen Star und verlor gleichzeitig ihre Stelle bei der Stadtverwaltung, wo sie tagsüber im Vermessungsamt arbeitete. Eine Frau habe sich vor allem um die Familie zu kümmern, wurde ihr bedeutet. Männerarbeit an sich, vor allem aber Rockmusik entspräche nicht ihrer Bestimmung.
Die Enttäuschung saß tief, doch bevor der Frust zur Krise wurde, bekam Massi ein Angebot aus Frankreich. Im Pariser 'Cabaret Sauvage' plante man ein Festival mit dem Thema "Femmes d'Algérie" und sie wurde als Nachwuchskünstlerin dorthin eingeladen. Am 10. Januar 1999 fand sich Souad Massi mit Koffer und Gitarre am Flughafen Charles de Gaules wieder. Nur wenig später stand sie auf der Bühne und gewann über die Sprachgrenzen hinweg die Menschen für sich. Sie bekam den Vertrag für ihr erstes Album "Raoui" (2001) angeboten, bald darauf folgte "Deb" (2003).
Mit der algerischen Heimat verbunden
Die Kritiker jubelten und das Publikum liebte die Frau mit der klaren, melancholischen Stimme: "Frankreich hat mich mit offenen Armen empfangen, deshalb lebe ich jetzt hier. Hier habe ich die Möglichkeit mit guten Musikern, guten Technikern, Tourneen mit 20 Konzerten im Monat zu spielen. Das heißt nicht, dass ich meine Wurzeln vergesse. Ich fühle mich fast überall in der Welt wohl, doch meine Herkunft ist immer ein Teil von mir. Überhaupt ist es Unsinn, solche Sachen zu trennen. Es bedarf nur eines Minimums an Intelligenz, um die Tradition mit der modernen Welt zu verbinden." Ein bisschen klingt das, als würde Souad Massi sich noch immer Mut machen. Jedenfalls ist eben ihr drittes Album "Mask Elil" erschienen. Wieder ist es wunderbare, bittersüße Musik mit viel Afrika, Maghreb, Paris einträchtig nebeneinander. Ganz selbstverständlich, könnte man meinen.
Ralf Dombrowski
© Qantara.de 2005