Fehlende Schlagkraft

Zwar bilden die sozialen Netzwerke auch in Jordanien eine wichtige Protestplattform gegen autoritäre Herrschaft und soziale Ungerechtigkeit. Doch wurde deren Bedeutung während des Arabischen Frühlings überschätzt.

Von Yasmine El Gharaibeh

Soziale Medien haben bei den arabischen Aufständen – wie bei der ägyptischen und syrischen Revolutionen – zweifelsohne eine wichtige Rolle gespielt. Auch in einem Land wie Jordanien, in dem der Arabische Frühling eine ganze Reihe von Demonstrationen und Protesten für schnelle Reformen hervorgerufen hat und wo soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter zu den meistbesuchten Internetseiten gehören, stellt sich die Frage nach der Bedeutung von sozialen Medien für die Mobilisierung und Organisation von Protesten.

Zu Beginn des Arabischen Frühlings entstanden zahlreiche Kampagnen in jordanischen sozialen Netzwerken. Doch obwohl sie alle darauf abzielten, eine aktive Rolle bei der Repräsentation der Jugend zu spielen und politische Veränderungen herbeizuführen, sind die meisten von ihnen letztlich daran gescheitert, die Online-Bewegungen auch "offline" umzusetzen und die Straßen zu besetzen.

Das Schweigen brechen

​​Allerdings haben die sozialen Netzwerke auch neue Räume für politische Debatten geschaffen, die durch andere Mittel überhaupt nicht zugänglich gewesen wären. Zweifelsohne haben die sozialen Netzwerke in Jordanien der Jugend, die sich gewöhnlich zu sensiblen lokalen Themen nicht äußert, eine Chance geboten, das Schweigen zu brechen.

Der Twitter-Tag #reformjo bietet dafür ein gutes Beispiel. Erstellt von einem prominenten jordanischen Blogger zu Beginn des Arabischen Frühlings, brachte der Hashtag auf Twitter Aktivisten, Fachleute, Politiker und Bürger zusammen.

Obwohl die Aktivisten durch den Hashtag versuchten, Proteste anzustoßen und Reformen zu fordern, verdeutlichte die geringe Beteiligung letztendlich die substanzielle Kluft zwischen Online-Enthusiasmus und realem Aktivismus. Die Proteste, die von der Islamischen Aktionsfront organisiert wurden, erwiesen sich als die teilnehmerstärksten, auch wenn diese in den sozialen Netzwerken nur minimal präsent war.

Nichtsdestotrotz haben diese Interaktionen seitdem eine kontinuierliche Onlinedebatte in Gang gesetzt, die sich mit Schlüsselaspekten im Königreich befasst. Die Menschen gehen furchtlos an Themen heran, die lange Zeit als Tabus galten.

Der Hashtag schaffte es in der Folge, eine "Offlinedebatte", organisiert über einen lokalen Blog, zu initiieren (die hitzigen Debatten wurden "Hashtag-Debatten" genannt – in Anlehnung an die Diskussionen, die noch online weiterliefen). Zu den Debatten, deren Zuhörerschaft vornehmlich aus jungen Leuten zwischen 20 und 30 bestand, wurden Politiker, Offizielle und Aktivisten eingeladen, die zu Themen wie der konstitutionellen Monarchie und zu politischen Freiheiten Stellung nahmen.

"Du wirst für dein Schweigen bezahlen"

Gleichwohl gab es noch andere Initiativen, die als Forum für Onlinedebatten fungierten. Erst kürzlich startete im Zuge der Gespräche über die staatlichen Preissteigerungen für Elektrizität die Facebook-Kampagne "Samtak Bikalafak" (was soviel heißt wie "Du wirst für dein Schweigen bezahlen") ihre Aktionen. Darin wurde die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, sich gegen die steigenden Preise zu erheben.

​​In ähnlicher Weise befasste sich jüngst eine Kampagne mit dem Titel "Ich weiß, wie ich mich selbst schütze. Es ist daher nicht die Pflicht der Regierung, mich zu schützen" mit dem Plan der Regierung, Internetseiten mit pornographischem Inhalt zu blockieren. Die Gründer der Kampagne argumentieren, dass dieser Schritt der Regierung die persönliche Freiheit verletzen und den Weg für weitere Beschränkungen von Internetseiten ebnen würde, welche nicht unbedingt pornographischer Natur seien, dafür aber politische Standpunkte vertreten, die nicht mit denen der Regierung übereinstimmen.

Es ist zwar schwierig, zu beurteilen, ob diese Initiativen genug Druck erzeugen können, um solche staatlichen Entscheidungen zu stoppen, aber sie bieten sicherlich einen Überblick über die verschiedenen Positionen zu dem Thema, da die Websites der Kampagnen Stimmen von unterschiedlichen Seiten wiedergeben.

Aufgrund des Fehlens präziser Daten, die den tatsächlichen Einfluss von Onlinekampagnen messen könnten, kann man nur spekulieren, warum nur wenige Jordanier in der Lage waren, die Bewegungen auch in den Straßen zu mobilisieren.

Begrenzter Aktionsradius

Eine mögliche Erklärung ist, dass viele glauben, dass Kampagnen in sozialen Netzwerken nur dabei erfolgreich gewesen seien, Angehörige einer Elite und Aktivisten zu mobilisieren und dass sie daran gescheitert sind, die wahren Anliegen der Öffentlichkeit zu thematisieren. Dies wird auch mit dem Rückgriff auf die englische Sprache in vielen der Kampagnen in Zusammenhang gebracht, was dazu führte, dass diese Initiativen keine größeren Bevölkerungsschichten erreichten.

​​Ein anderer Grund ist vermutlich auf die mangelhafte Organisation einiger Kampagnen zurückzuführen und auf den Umstand, dass im Gegensatz zu gemeinschaftlich organisierten Aktionen, die Mitglieder sich sehr oft nicht verpflichtet fühlen, an einer Veranstaltung teilzunehmen oder sich verstärkt aktiv zu engagieren, nur weil sie die Angelegenheit online verfolgen.

Darüber hinaus scheinen manche Themen bei den sozialen Medien übertrieben dargestellt zu werden. Die Initiatoren zielen in solchen Fällen darauf ab, in erster Linie Unterstützer zu mobilisieren, während ihr Anliegen unter Umständen gar nicht so dringend oder notwendig ist und eine Verlagerung der Bewegung aus der Cyberwelt heraus verlangt.

Auch wenn das unausweichliche Wachstum von Online-Kampagnen in der arabischen Welt die Notwendigkeit der Etablierung einer Messungsmethode für deren tatsächliche Relevanz verlangt, wird der wahre Wert dieser Initiativen sich am ehesten manifestieren, wenn Aktionen zunächst erst einmal "offline" stattfinden. Eine öffentliche und vielversprechende Kampagne könnte dann über soziale Netzwerke bekannt gemacht und verbreitet werden, um noch mehr Anhänger zu gewinnen.

Die Nutzung von Social Media wird die Vernetzung von Unterstützern fördern und dabei helfen, die Kommunikation zu optimieren, über Nachrichten und Veranstaltungen zu informieren und schließlich gemeinsame politische Grundsätze zu vereinbaren. Der Raum, den soziale Netzwerke für Diskussionen und Debatten eröffnen, ist ohne Zweifel dafür geeignet, spontane Bewegungen in naher Zukunft zu initiieren, begleiten und auch zu führen.

Yasmine El Gharaibeh

© Babelmed 2012

Übersetzung aus dem Englischen: Annett Hellwig

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de