Was gegen ein Bündnis mit Assad spricht
Seit den dramatischen militärischen Erfolgen des Islamischen Staates (IS) im Laufe der vergangenen Monate mehren sich Spekulationen, dass dem Regime von Baschar al-Assad möglicherweise eine Rehabilitation bevorsteht. Solange keiner der Staaten, die sich der von den USA angeführten Allianz gegen die Organisation angeschlossen haben, Bodentruppen ins Land schicken will, findet der Gedanke, mit einem der regionalen und lokalen Akteure zu kooperieren, immer mehr Anhänger.
Und da sich die für eine solche militärische Kooperation in Frage kommenden Partner entweder in praktischer Auflösung befinden (wie die irakische Armee), nur auf bestimmte Regionen beschränkt sind (wie die kurdischen Peschmerga) oder es kaum schaffen, das von ihnen eroberte Gebiet zu halten (wie die Freie Syrische Armee), wäre es möglich, dass die Erfolge der syrischen Regierungstruppen gegen den IS den Argumenten für eine Wiederannäherung an Assad Vorschub leisten.
Zu denen, die sich für ein solches Vorgehen einsetzen, gehören neben Sir Malcolm Rifkind, dem Vorsitzenden des britischen "Intelligence and Security Committee of Parliament", einige erfahrene Terrorismus-Experten und –Forscher sowie der Vorsitzende des US-amerikanischen Think-Tanks "Council on Foreign Relations", aber auch Rand Paul, der als möglicher republikanischer Präsidentschaftskandidat gilt.
Kurzsichtige Strategie
Politiker in Paris, London und Washington weisen die Argumente für eine Rehabilitierung Assads bisher weit von sich und verweisen dabei auf die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen des syrischen Regimes. Und auch wenn es zweifellos zu begrüßen ist, wenn sich führende Politiker bei der Ausgestaltung ihrer außenpolitischen Positionen auf moralische Grundsätze stützen, bleibt doch die Frage, ob diese hehren Prinzipien Bestand haben werden, falls die bisherige Strategie der begrenzten Luftschläge keinen Erfolg zeitigen sollte.
Was geschieht etwa, wenn der "Islamische Staat" die Großstadt Aleppo im Norden Syriens einnehmen sollte oder in Richtung Salamiyya vorrückt und damit ein Massaker an den dortigen Ismailiten droht, die von den IS-Ideologen als Häretiker angesehen werden?
Wenn gegenwärtig die Zusammenarbeit mit bislang als Terroristen eingeordneten Kämpfern – wie den in Kobane eingeschlossenen Kurden – plötzlich akzeptabel erscheint, warum dann nicht auch eine Kooperation mit dem syrischen Regime?
Eine genauere Analyse aber zeigt, dass die negativen Folgen einer wie auch immer gearteten Kooperation mit Assad deutlich überwiegen würden. Warum? Zunächst ist es mehr als zweifelhaft, ob Assad überhaupt über ausreichende militärische Mittel verfügt, um den IS zurückdrängen zu können. Trotz ihrer wesentlich überlegenen Ausrüstung ist es der regulären syrischen Armee (oder dem, was davon noch übrig ist) bisher kaum gelungen, wirkliche Erfolge gegen die schlecht ausgerüsteten und schlecht koordinierten Truppen der Freien Syrischen Armee (FSA) zu erzielen.
Die meisten vom Regime gehaltenen Gebiete werden von Milizen kontrolliert, die von Plünderungen und organisierter Kriminalität leben, aber bei länger anhaltenden Gefechten keinen Bestand hätten.
Assads geschwächte Armee
In den vergangenen Monaten ist es kleinen Rebellengruppen, ausgerüstet mit modernen Panzerabwehrwaffen, wiederholt gelungen, Regierungsattacken abzuwehren, was ernsthafte Zweifel daran aufkommen lässt, ob Assads Armee in überhaupt in der Lage wäre, militärische Offensiven gegen die gut ausgerüsteten und effektiv organisierten Kämpfer des IS durchzuführen.
In jüngster Vergangenheit endeten Gefechte zwischen dem IS und der syrischen Armee zumeist mit einer klaren Niederlage der Truppen Assads. Die mittlerweile gängige Methode der syrischen Armee, ihre Kämpfer einem Gegner auszusetzen, der keine Gnade kennt, hat zudem zu einer weiteren Verschlechterung der sowieso schon angeschlagenen Moral der Soldaten Assads geführt. Dass die syrische Armee "mögliche Bodentruppen" gegen den IS stellen könnte, wie es der vormalige Vorsitzende des "Council of Foreign Affairs", Leslie Gelb, vorschlägt, erscheint deshalb recht unwahrscheinlich.
Und letztlich liegt darin wohl auch ein Segen, denn ernsthafte Vorstöße dieser Armee wären nur dazu geeignet, die konfessionellen Gräben, die diesen Konflikt prägen, weiter zu vertiefen. Die effektivsten Einheiten Assads sind die Alawiten, wohingegen seine Verbündeten im Ausland – wie die libanesische Hisbollah oder die Iranischen Revolutionsgarden – ausschließlich Schiiten in ihren Reihen haben.
Wenn diese Truppen in die hauptsächlich von Sunniten bewohnten Gebiete einmarschieren, die im Moment vom IS gehalten werden, würde dies ohnehin dem von den Dschihadisten gebrauchten Narrativ vom historischen Kampf gegen die "Verräter am wahren Glauben" eine weitere Dimension hinzufügen. Solche Propaganda wird dann besonders effektiv sein, wenn aufgrund der bisher begangenen Gräueltaten des syrischen Regimes davon auszugehen ist, dass eine mögliche Invasion von weiteren Grausamkeiten und Verbrechen an der Zivilbevölkerung begleitet sein wird.
Ausweitung der Kampfzone
Wenn diese Gruppen dann zudem annehmen, dass die Anti-IS-Allianz solche Verbrechen, wenn auch nicht beabsichtigt, so doch de facto ermöglicht haben, werden wohl bald alle Feinde der Dschihadisten – Schiiten, Alawiten, Imperialisten, der Westen und die arabischen Monarchien – zu einem einzigen großen Feindbild verschmelzen. Und es gäbe dann wohl kaum ein geeigneteres Rekrutierungsinstrument für den IS.
Noch dramatischer aber wären die Folgen, die solche Wahrnehmungen auf moderate sunnitische Muslime haben würden, die wohl über die Heuchelei der westlichen Staaten entsetzt wären, die sich an Verbrechen gegen ihre Glaubensgenossen in Syrien beteiligen. Dies wäre deshalb so fatal, weil es doch den Eindruck vermitteln würde, dass die westlichen Mächte nur dann in Aktion treten, wenn religiöse oder ethnische Minderheiten bedroht werden – wie Schiiten, Christen, Jesiden oder Kurden.
Die Zusammenarbeit mit Assad würde den Dschihadistengruppen in Syrien nicht nur noch größeren Zulauf bescheren, sondern auch die Kooperation mit moderaten Sunniten erschweren, wie etwa mit Teilen der Freien Syrischen Armee. Es gäbe wohl noch mehr Überläufer zu den dschihadistischen Organisationen, viele sogenannte "moderate" islamistische Gruppen würden wohl gänzlich die Seite wechseln.
Die Auswirkungen auf den regionalen Zusammenhalt der Allianz wären gleichfalls bedenklich. Die Türkei, schon jetzt ein eher widerwilliger Partner innerhalb der Allianz, hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie Assad, und nicht den IS als das Kernproblem betrachtet. Wenn die türkische Regierung zur der Überzeugung gelangt, dass die Allianz ihre Prioritäten so grundsätzlich verändert, werden die künftigen Versuche, Ankara dazu zu bringen, den Nachschub an Freiwilligen und Material an den IS entlang der türkisch-syrischen Grenze einzudämmen, ins Leere laufen.
Golfstaaten unter Druck
Auch die Allianz mit den Golfstaaten wäre hiervon betroffen. Denn trotz des Anscheins ist es auch den Monarchien am Golf nicht möglich, eine unpopuläre, im Ausland entwickelte Strategie mitzutragen, ohne gleichzeitig ihre jeweiligen Eliten, Familienmitglieder und religiösen Autoritäten zufriedenzustellen. Konfessionelle Ressentiments und die ideologische Unterstützung auch für radikale (sunnitische) Islamisten stehen in diesen Ländern hoch im Kurs. Und nicht zuletzt trugen private Netzwerke wohlhabender und einflussreicher Einzelpersonen ganz wesentlich zum Erstarken des IS und anderer militanter Gruppierungen bei. Zumindest zu Beginn waren es die Geheimdienste einiger Golfstaaten, die hierzu ihren Beitrag leisteten.
Eine offensichtliche Kooperation der Anti-IS-Allianz mit dem Assad-Regime würde die Führungen der Golfstaaten unter innenpolitischen Druck setzen, ihre Unterstützung für den Kampf gegen den IS einzuschränken oder gänzlich aufzugeben.
Die Herrscher am Golf fürchten die destabilisierenden Effekte, die durch radikale Kräfte in ihren Gesellschaften ausgelöst werden könnten. Solche Sorgen würden zudem überlagert von der Angst, dass mit Assads politischem Überleben auch die hegemonialen Bestrebungen des Iran gefördert würden. Die schrittweise Rehabilitation des Assad-Regimes, auch wenn es sich heute nur noch auf einen Teil des syrischen Staatsgebiets beschränkt, würde einen großen strategischen Sieg für den Iran bedeuten.
Die Führung in Teheran könnte damit nicht nur ihren Einfluss auf drei arabische Staaten (Libanon, Syrien und Irak) festigen – mit einer Gesamtbevölkerung von 60 Millionen Menschen (und damit mehr als dreimal so viele, wie es saudische Bürger gibt) und einem zusammenhängenden Gebiet, dass vom Tigris bis zur Küste des Mittelmeeres reicht. Zugleich würde es eine deutliche Botschaft an die gesamte Region aussenden, dass diejenigen Kräfte, die vom Iran Unterstützung erfahren, sich halten können. Und dies wäre ein Szenario, das nicht nur die Golfstaaten fürchten, sondern auch Israel, das sein ganzes Gewicht in Washington nutzen würde, um eine faktische Anerkennung der Rolle Irans als Regionalmacht durch die US-Regierung zu verhindern.
Die strategischen Überlegungen einer möglichen Kooperation mit dem Assad-Regime blenden dessen reale Schwäche gänzlich aus. Ganz abgesehen von der fatalen Wirkung, die ein solches Bündnis auf die Anti-IS-Allianz haben würde. Leicht könnte es zum Bruch der bisherigen Koalition kommen. Neue Strategien wären dann nötig, die womöglich dann am Widerstand der Amerikaner scheitern, weil sie nicht ihren Interessen entgegenkommen.
Heiko Wimmen
© Carnegie Endowment for International Peace 2014
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol