Gottgefällig, rebellisch, modern
"I love my Prophet". Als Melih Kesmen im Herbst 2005 mit diesen vier Worten auf der Brust durch London lief, hatte er noch keine Ahnung, dass sie sein Leben verändern würden. Auf ein T-Shirt hatte er diesen Satz drucken lassen – als Reaktion auf die anhaltende Diskriminierung von Muslimen in Europa, die der junge Kesmen bereits am eigenen Leib erfahren musste.
Wie für so viele Menschen bedeutete der 11. September 2001 auch in Kesmens Leben einen Wendepunkt: Der Zufall wollte es, dass er sich zu diesem Zeitpunkt in den Flitterwochen befand, und als er mit seiner Ehefrau zurückkehrte, fanden die beiden ein verändertes Deutschland vor.
Plötzlich sah sich das junge muslimische Paar einer nie zuvor dagewesenen Distanzierung und Verunsicherung ausgesetzt – eine Entwicklung, die durch die Irak-Invasion zwei Jahre darauf und die Terroranschläge von Madrid und London eher noch weiter verstärkt wurde.
Sowohl in seiner deutschen Heimat, als auch in London, wo er seit 2003 arbeitete, fühlte sich Kesmen zunehmend unwohl, ja fast ohnmächtig: "Ich hatte den Eindruck, mich die ganze Zeit für Dinge verantworten zu müssen, für die ich gar nichts konnte und bei denen ich ganz andere Ansichten vertrat. Das war anstrengend!"
Botschaft mit Überraschungseffekt
Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich der Streit um die Mohamed-Karikaturen im Herbst 2005. Kesmen wollte sich nicht mehr rechtfertigen, hatte die schiefen Blicke satt. Er wollte eine Botschaft übermitteln – und diese sollte auf seiner Brust prangen. Er bedruckte ein T-Shirt mit der Liebesbekundung zum Propheten und trug es durch London.
Plötzlich kamen die Menschen auf ihn zu, erkundigten sich nach dem T-Shirt, seiner Bedeutung, seiner Botschaft. Mitten auf der Straße, im Café, in der U-Bahn entwickelten sich konstruktive Gespräche, vis-à-vis und auf Augenhöhe. Auch viele seiner Glaubensbrüder waren begeistert von der Idee, ein solches T-Shirt zu tragen.
"Da wurde mir klar: Du bist nicht der einzige Muslim, der auf nonverbale Weise seine Botschaft in die Gesellschaft tragen will – durch ein Statement auf der Brust, das für sich spricht und positiv belegt ist. Das hat Tausende Türen in meinem Kopf geöffnet." Die Idee zu Styleislam war geboren.
Acht Jahre später scheint es, als könne es Kesmen selbst nicht ganz fassen, wie sich seine anfängliche Idee entwickelt hat. "Das Modelabel Styleislam bietet Euch moderne Streetwear-Kleidung mit lässigem Schnitt und der religiösen Extra-Portion", heißt es in der Selbstbeschreibung des Internet-Shops.
2008 ging Styleislam online und erfreut sich seitdem wachsender Beliebtheit, nicht nur innerhalb Deutschlands. Die ersten Filialen haben eröffnet, das Mitarbeiter-Team wächst stetig, auch externe (oft nicht-muslimische) Designer lockt die Kooperation mit dem ungewöhnlichen Projekt an.
Was die Mode ausmacht, ist weniger der Schnitt der Kleidung – obwohl auch hier gerade in Bezug auf die Muslima-Mode kreative Neuentwicklungen im Gange sind –, sondern die Sprüche und ihre Designs.
Neben "I love my Prophet" gibt es inzwischen eine ganze Bandbreite weiterer Botschaften, die individuell auf T-Shirts, Pullover oder diverse Accessoires gedruckt werden. Zum einen sind es spezifisch muslimische Botschaften, wie "Salah keeps together", "Ummah. Be part of it" oder "Hijab. My right, my choice, my life". Doch auch nicht-muslimische Kunden werden fündig und können beispielsweise mit "Terrorism has no religion" oder "Make Çay, not War" ihren Pazifismus und ihre Toleranz zur Schau stellen.
"Pop-Islam" und interreligiöser Dialog
Dennoch ist der Großteil der Kunden muslimisch, meist jung und gebildet. Neben dem Kleidungsstil liegt dies wohl vor allem daran, dass sich besonders Teenager und junge Erwachsene oft mit ihrer Religion und Identität auseinandersetzen. Für Kesmen liegen diese beiden Begriffe eng beieinander.
Seiner Meinung nach haben es besonders junge Muslime in Ländern wie Deutschland schwer, denn in der Öffentlichkeit herrscht zumeist das Bild vor, Islam und westliche Werte seien nicht miteinander vereinbar. Dem stellt sich eine, in Expertenkreisen als "Pop-Islam" bekannte, Bewegung meist junger Muslime entgegen, welche die gleichzeitige Praxis konservativer Religiosität in Kombination mit einem modernen Lebensstil sehr wohl für möglich, ja sogar für identitätsstiftend hält.
Auch Kesmen kann man dieser Strömung zuordnen. Durch sein Modelabel will er den jungen Muslimen bei ihrer Identitätssuche helfen – im Interesse der Gesellschaft handeln, wie er sagt.
Ein weiteres Ziel seiner Arbeit ist die Förderung des interreligiösen Dialogs in der Gesellschaft. "Ich weiß natürlich, dass ich keine Wunder bewirken kann, bei Styleislam handelt es sich ja nur um ein muslimisches Streetwear-Label. Aber wenn eines unserer Produkte Menschen dazu bewegt, sich mehr Gedanken zu dem Thema zu machen, ein konstruktives Gespräch zu führen oder ein Buch darüber zu lesen, dann habe ich bereits mehr getan, als ich mir je vorgestellt habe."
Grenzenloser Erfolg
Ein wahrer Überraschungserfolg für Kesmen war das Echo aus dem Ausland, vor allem aus der arabischen Welt. "Ich habe naiverweise geglaubt, dass es sich bei Styleislam ausschließlich um ein europäisch-muslimisches Projekt handelt, weil es ja auch das Denken der muslimischen Jugendlichen in Europa reflektiert. Doch dann stellte ich fest, dass selbst in einem erzkonservativen Land wie Saudi-Arabien die gleiche Message empfangen, sie jedoch auf eine ganz andere Art wahrnehmen."
Während Muslime in Europa sich ermutigt fühlen, trotz eines modernen Lebens zu ihrer Religion zu stehen, so sehen die Jugendlichen in Saudi-Arabien das Modelabel als Protestform gegen die dogmatische religiöse Elite. Ihr wollen die aufbegehrenden Jugendlichen nämlich demonstrativ zeigen, dass sie sich ihr Leben nicht vorschreiben lassen wollen.
In Saudi-Arabien gibt es inzwischen sogar drei Filialen des Modelabels. Die saudischen Behörden seien darüber zwar wohl alles andere als erfreut. Auch gebe es immer wieder Streitereien mit dem einen oder anderen Zollbeamten, der sich weigere diese "Ketzerprodukte" ins Land zu lassen. Doch bislang ist noch kein einziger Stein in der Schaufensterauslage gelandet.
Auch in den benachbarten muslimischen Ländern ist das Interesse an der Mode groß. Die Türkei kann bereits zwei Filialen vorweisen, auch Ägypten und Tunesien wünschen sich bald eine eigene Dependance in ihren Ländern.
Zweifelsohne hat Kesmen mit Styleislam eine Marktlücke entdeckt, oder wie er es ausdrückt: "einen Markt, den wir prägen und aufbauen, wobei man nie weiß, wohin die Reise geht. Alles scheint möglich."
Laura Overmeyer
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de