"Fast alle führen ein Doppelleben"
"Wir verteilen Kondome in der Stadt. Zum Teil ist es auch ein Aufhänger für ein Gespräch, weil HIV-Prävention und Aufklärung ganz wichtig sind. Das ist ein Auftrag, den wir haben", erzählt die Streetworkerin Yasmine Chehata von "Looks e.V.", die alle Kölner Stricherkneipen kennt und zwei Mal in der Woche durch die verschiedenen Läden zieht.
"Und der andere ist, den Jungs ein Beratungsangebot machen zu können, die den Weg in unser Büro nicht finden oder eine Scheu haben oder sich schämen und trotzdem ein paar Tipps brauchen. Sie wissen genau, zu welcher Uhrzeit wir in welcher Kneipe sind. Sie finden uns dann und können uns fragen".
Das Kölner Stricherprojekt "Looks e. V." wurde 1996 ins Leben gerufen, um den jungen Männern, die in der Prostitution arbeiten, unter die Arme zu greifen. Fünf Sozialarbeiter suchen die anschaffenden Jungs in den Kneipen auf und laden sie in ihre Anlaufstelle ein.
Hier können sie kochen, sich duschen, die Wäsche waschen, mit einem Arzt sprechen. Für viele ist es die einzige Insel der Normalität, denn sie haben oft kein Zuhause.
Ausländisches Aussehen schafft Vertrauen
Über die Hälfte der Schützlinge hat einen Migranten-Hintergrund. Etwa ein Drittel von diesen wiederum sind Muslime. Und gerade zu diesen jungen Leuten, in der Mehrheit Türken, ist es in der Regel am schwierigsten, Zugang zu finden.
Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Tunesier. Yasmine Chehata spricht zwei Sprachen. "Es war sehr auffällig, dass ich zu Beginn meiner Arbeit guten und leichten Kontakt zu den Migranten in der Stricherszene bekommen habe", erzählt sie. "Das haben wir dann verstärkt. Wir sind noch gezielter auf die kulturellen Hintergründe eingegangen, haben uns damit auseinandergesetzt".
Die Streetworkerin Yasmine Chehata ist ein südländischer Typ, und das spielt in ihrem Job eine sehr wichtige Rolle. Bei vielen ausländischen Strichern erweckt sie dadurch relativ schnell ein Gefühl des Vertrauens:
"Ganz häufig kommt dann auch die Frage: 'Was machst du denn hier?' oder 'Woher kommst du?' Damit ist irgendwie ein Satz gesprochen, und dann den zweiten anzuhängen, ist sehr leicht. Häufig ziehen sie dann Parallelen. Und dann sprechen sie oft direkt im Anschluss über sich, über ihre Familie, über ihre Herkunft".
Behutsame Sprache verwenden
Yasmine Chehata nimmt mit den Strichern den ersten Kontakt auf. Über sexuelle Fragen aber sprechen die Jungs lieber mit einem Mann. Dann ist die Hilfe ihres Kollegen Josch Henke gefragt.
"Die Jungs, die ich kennen gelernt habe mit einem muslimischen Hintergrund, sind sehr empfindsam, was eine derbe und sexualisierte Sprache angeht", berichtet Henke. "Auch in Aufklärungsgesprächen, wo es um Gesundheitsvorsorge geht, ist es ganz wichtig, sehr behutsam zu sein und eher weniger Worte als mehr zu sagen, eher zu beschreiben als zu benennen".
Häufig illegal und untergetaucht
Den richtigen Ton im Umgang mit den männlichen Prostituierten aus dem islamischen Kulturkreis zu finden ist, bei dieser Tätigkeit aber nicht das Wichtigste. Oft wird man mit ganz anderen Problemen als bei Westeuropäern konfrontiert. Nicht selten halten sich die Jungs in Deutschland illegal auf. Doch die größten Probleme dieser Jugendlichen seien mit ihrem Glauben verbunden, so Yasmine Chehata:
"Was spielt das Thema Homosexualität für mich als muslimischer Stricher für eine Rolle - tabuisiert im eigenen Land, möglicherweise auch verfolgt? Hier lebe ich es aus, beziehungsweise verdiene sogar noch Geld in diesem Bereich. Das heißt, die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist ganz schwierig, weil es häufig in den Familien und in den Herkunftsländern nicht thematisiert wird".
Und weil Homosexualität und Prostitution in islamischen Familien nicht akzeptiert sei, führe das zu weiteren Problemen bei den muslimischen Jungs, so Sozialarbeiter Josch Henke:
"Ganz viele, fast alle führen ein Doppelleben oder haben sich aus dem anderen Leben zurückgezogen und können gar nicht mehr in Kontakt sein mit der Familie oder mit Freunden. Einige sind untergetaucht, abgehauen, zum Teil aus einem Heim oder aus den Familienverhältnissen, die unerträglich geworden sind".
Nadja Baeva
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