Religiöse Zerreißprobe

Im Iran wachsen die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten. Im Süden wurde eine sunnitische Religionsschule zerstört. Dem Präsidenten scheint der Streit gelegen zu kommen. Shir Mohammadi informiert.

Schiitische Gläubige in Ghom; Foto: AP
Auch unter Schiiten ist das geplante Kontrollorgan für sunnitische Religionsschulen umstritten - schiitische Gläubige in Ghom, dem Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit im Iran.

​​Sunniten sind im Iran die zweitgrößte Religionsgruppe, zwischen zehn und fünfzehn Prozent der Bevölkerung, genaueres weiß man nicht. Seit Jahren kämpfen sie in Teheran vergeblich für die Baugenehmigung ihrer Moschee. Als Bürgermeister der Hauptstadt lehnte der heutige Präsident Mahmud Ahmadinedschad damals ihren Antrag ab.

Teheraner Sunniten beten seither in Botschaften islamischer Länder. Trotz heftiger Kritik der sunnitischen Geistlichen und ungeachtet der Solidarität einiger schiitischer Ayatollahs lenkte Ahmadinedschad nicht ein, und bis jetzt zeigte die iranische Regierung keine Reaktion.

Die Spannungen zwischen den Religionsgruppen verschärfen sich nun: Anfang August 2008 beschloss der Rat der Kulturrevolution unter Präsident Ahmadinedschad, einen Regierungsrat für sunnitische Religionsschulen zu gründen. Dieser soll sunnitische Aktivitäten im Iran kontrollieren.

Viele Parlamentsabgeordnete, darunter die sunnitische Fraktionen protestierten gegen den Plan. Der Beschluss müsse zurückgenommen werden, fordern führende Sunniten im Iran. Er gefährde die Einheit des Landes und das Zusammenleben beider religiöser Gruppen.

"Der erste Schritt für eine Verbot"

Die iranischen Sunniten fühlen sich ohnehin benachteiligt: Nach dem iranischem Grundgesetz darf nur ein Schiit Präsident werden. Minister und ihre Stellvertreter, Botschafter, Dekane und Führungspositionen im Iran dürfen nur von Schiiten gewählt werden.

Sunniten in einer Moschee; Foto: AP
Unter der Regierung Ahmadinedschad nehmen die Benachteiligungen der sunnitischen Minderheit weiter zu - gläubige Sunniten in einer Moschee.

​​"Sunniten dürfen auch nicht an Kultur- und Sicherheitsfragen des Landes teilnehmen", sagt Jalal Jalalisadeh, sunnitischer Religionsexperte im Iran und ehemaliger Parlamentsabgeordneter.

Der geplante Regierungsrat würde diese Situation noch verschärfen: "Ahmadinedschads Rat ist der erste Schritt für ein Verbot der sunnitischen Zentren im Iran. In den iranischen Medien haben Sunniten keine Rolle, und ihre Identität wird bedroht."

Auch unter Schiiten ist das geplante Kontrollorgan für sunnitische Religionsschulen umstritten. Ahmad Ghabel, der in Ghom, dem bedeutendsten Religionszentrum der Schiiten im Iran, studiert hat, warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft. Denn seit einigen Jahren werden immer wieder sunnitische Moscheen zerstört und sunnitische Geistliche verhaftet.

Nun wurde kürzlich sogar eine sunnitische Religionsschule im Südosten des Landes von Sicherheitsorganen zerstört, Geistliche wurden festgenommen - mit der offiziellen Begründung einer fehlenden Baugenehmigung für die Schule.

Damit habe die seit Jahrzehnten wachsende Diskriminierung der Sunniten ihren Höhepunkt erreicht, sagt Religionsexperte Ghabel. Ahmadinedschads Plan verletze das iranische Grundgesetz. "In unserer Verfassung sind die Rechte der religiösen Minderheiten geschützt, sie dürfen in ihren Städten und Dörfern frei nach ihren religiösen Rechten und ihrem Glauben handeln."

"Eine Sünde"

Gabel erklärt, dass sogar einige schiitische Großayatollahs, darunter Ayatollah Montazari, die Diskriminierung der Sunniten verurteilen. Auch sie warnen vor der Gefährdung der Sicherheitslage des Landes. "Die Zerstörung der Moscheen und religiösen Zentren ist eine Sünde. Unser Heiliges Buch verurteilt es. Egal, wo es geschieht, ist es gegen den Willen Allahs und gegen die Lehre des Korans."

Shir Mohammadi

© DEUTSCHE WELLE 2008

Qantara.de

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