Schlüssel für den Frieden?

Vor zehn Jahren wurde der syrische Präsident Baschar al-Assad als Nachfolger seines verstorbenen Vaters in sein Amt eingeführt. Durch sein Bündnis mit dem Iran und seine guten Beziehungen zu Hizbullah und Hamas verfügt sein Land über enormes Einfluss- und Störpotenzial. Wird Assad dieses Potenzial bei der Friedenssuche in der Region einsetzen? Antworten von Rainer Sollich.

Syrischer Präsident Baschar al-Assad; Foto: AP
Schlüssel oder Hindernis für den Frieden? Viele europäische Beobachter meinen, dass Syrien kein Interesse an einer neuen Eskalation in der Region hat.

​​ Schon Generationen von Nahost-Experten haben sich den Kopf darüber zerbrochen, ob Syrien eher Schlüssel oder Hindernis für eine Friedensregelung im Nahen Osten ist.

Tatsächlich hängen beide Möglichkeiten eng miteinander zusammen: Durch seine guten Beziehungen zum Iran, zur Hizbullah-Miliz im Libanon und zur radikalislamischen Hamas im Gazastreifen verfügt das Regime in Damaskus über enormes Einfluss- und Störpotenzial. Entscheidend ist, wie es damit umgeht.

Präsident Baschar al-Assad zeigt hier eine ähnliche Flexibilität wie sein Vater Hafis al-Assad, dessen Posten er vor zehn Jahren erbte.

Auch unter Assad junior sind die staatlichen syrischen Medien strikt auf anti-israelischem Kurs: Der ungeliebte Nachbar wird dort als ewiger Aggressor dargestellt und in klassischer Propaganda-Manier als "zionistisches Gebilde" tituliert. In den Straßen von Damaskus wimmelt es von Propaganda-Plakaten, die Assad Seite an Seite mit Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah oder dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad zeigen. Auch die Führung der Hamas residiert in der syrischen Metropole - neben weiteren radikalen Palästinenserorganisationen.

Interesse am Frieden?

Zugleich sendet Assad aber immer wieder Signale aus, die durchaus Interesse an einer Friedensregelung in Nahost und an besseren Beziehungen zu westlichen Staaten erkennen lassen. Damit unterscheidet er sich von seinen Partnern Iran, Hamas und Hizbullah, die mitunter lautstark Israels Vernichtung propagieren.

Hafis al-Assad; Foto: Wikipedia
Ähnlich dem Vater: Ebenso wie sein Vater Hafis al-Assad pflegt sein Sohn und Nachfolger im Amt des Präsidenten, Baschar al-Assad, einen zum Teil sehr flexiblen Politikstil.

​​ Wenn Assad Kritik an Israel übt, dann nimmt er gerne die Pose eines friedenswilligen Politikers ein, der in Israel leider kein entsprechendes Gegenüber finde.

So erklärte er Mitte Juni nach dem tödlichen Angriff der israelischen Marine auf die Gaza-Flotte gegenüber der BBC, der Angriff habe "jede Chance" auf Frieden in der nahen Zukunft zerstört: "Er hat vor allem bewiesen, dass diese israelische Regierung erneut eine pyromanische Regierung ist. Mit einer solchen Regierung kann man keinen Frieden erreichen", so Assad.

Versucht hat er es durchaus: Wie schon sein Vater stimmte auch Baschar al-Assad indirekten Friedensgesprächen mit Israel zu. Sie wurden unter türkischer Vermittlung geführt, liegen jedoch seit dem Gaza-Krieg 2008 auf Eis. Eine Neuauflage in absehbarer Zeit scheint unwahrscheinlich - auch wegen der dramatisch verschlechterten türkisch-israelischen Beziehungen. Experten sehen derzeit eher die Gefahr eines neuen Krieges in der Region heraufziehen.

Diese Befürchtungen speisen sich nicht nur aus den Entwicklungen in und um Gaza - auch die Spannungen an der israelisch-libanesischen Grenze nehmen zu. Israels Luftwaffe überfliegt dort regelmäßig libanesisches Territorium. Die Hizbullah-Miliz wiederum hat nach dem Libanon-Krieg 2006 mit syrischer und iranischer Hilfe - und im Schatten der internationalen Überwachungstruppen - ein Waffenarsenal von schätzungsweise 40.000 Raketen aufgebaut.

Zudem lässt der Konflikt um das iranische Atomprogramm viele Beobachter in der Region an einen herannahenden Krieg glauben.

Nicht mehr auf der "Achse des Bösen"

Anders als in Israel glauben viele europäische Beobachter jedoch, dass Syrien kein Interesse an einer neuen Eskalation in der Region habe. Während das Land vom früheren US-Präsidenten Georg W. Bush noch der "Achse des Bösen" zugeordnet wurde, wird der syrische Staatschef inzwischen von westlichen Politikern fast schon umworben.

Bilder von Baschar al-Assad neben Hassan Nasrallah und Mahmud Ahmadinejad auf einem Markt; Foto: Stefanie Markert/DW
Ein reines Zweckbündnis: Die Beziehung Syriens zur Hizbullah basiert auf gemeinsamen strategischen Interessen, würde sich aber mit einem syrisch-israelischen Teilfrieden schlagartig abkühlen.

​​ Tatsächlich hat Syrien - auch - einige Interessen, die dafür sprächen, stärker auf Friedenskurs zu schwenken und mit westlichen Staaten zusammenzuarbeiten: Syrien will sein marodes Wirtschaftssystem reformieren und muss dafür die amerikanischen Sanktionen abschütteln.

Und vor allem strebt Syrien danach, die 1967 von Israel eroberten und später annektierten Golanhöhen zurückzuerhalten - dies gilt für das Regime als nationale Prestigefrage. "Kein syrischer Präsident kann den Golan aufgeben", betont Samir al-Aita, Syrien-Kenner und Chefredakteur der arabischen Ausgabe von "Le Monde Diplomatique". Und er sagt weiter: "Der Golan ist ein Teil Syriens."

Nur ein Zweckbündnis?

Auch der deutsche Nahost-Experte Volker Perthes glaubt deshalb, dass es möglich sein müsste, Syrien aus der einseitigen Umklammerung mit Iran, Hamas und Hizbullah zu lösen. Der Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) meint, dass Syrien und die Hizbullah im Kern lediglich eine Zweckallianz pflegten: Syrien benötige die Hizbullah, um gegenüber Israel eine Droh-Möglichkeit aufrecht zu erhalten. Die Hizbullah wiederum benutze Syrien, um finanzielle und materielle Unterstützung zu bekommen - einschließlich Waffenlieferungen über syrisches Staatsgebiet.

Volker Perthes; Foto: dpa
Es ist möglich, Syrien aus der einseitigen Umklammerung mit Iran, Hamas und Hizbullah zu lösen, meint Volker Perthes.

​​"Das Ganze würde sich ändern, wenn Syrien tatsächlich einen Friedensvertrag mit Israel abschlösse und sein besetztes Territorium zurückerhielte", argumentiert Perthes. "Das ist relativ eindeutig, und das weiß man auch in Beirut und bei der Hizbullah. Das Verhältnis Syriens zur Hizbullah würde sich ändern, weil man dann nicht mehr die gleichen strategischen Interessen hätte."

Aber könnte Assad es innen- und außenpolitisch wirklich riskieren, zugunsten einer separaten Golan-Vereinbarung sowie besserer Beziehungen zum Westen die Solidarität mit Hamas, Hizbullah und Iran aufzukündigen? Alle bisherigen Lockversuche sind jedenfalls erfolglos geblieben.

US-Außenministerin Hillary Clinton bekam dies zuletzt im vergangenen Februar zu spüren, als sie Assad wohl allzu öffentlich dazu aufforderte, die enge strategische Allianz mit dem Iran zu überdenken:

"Wir brauchen von anderen keine Belehrungen über den Nahen Osten oder zu unserer Geschichte", konterte Assad selbstbewusst. "Wir kümmern uns selbst um unsere Angelegenheiten und wir können unsere Interessen selbst wahrnehmen."

Syrien als Schlüssel oder Hindernis für den Frieden? Es scheint, dass Baschar al-Assad diese Frage bewusst offen hält.

Rainer Sollich

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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