Startschuss für eine neue Ära

Zwei alte Feinde, Griechenland und die Türkei, versprechen ihre Beziehungen durch verstärkte Kooperation auf der politischen Ebene zu verbessern. Dadurch soll das Vertrauen so weit wachsen, dass auch heiklere Fragen angegangen werden können. Ayşe Karabat berichtet aus Athen.

Recep Tayyip Erdoğan (links) und Giorgos Papandreou im Panathinaikos-Stadion von Athen; Foto: AP
Das Positive hervorheben: Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan (links) und sein griechisches Gegenüber Giorgos Papandreou im Panathinaikos-Stadion von Athen.

​​ "Wir wollen den Weg zu Gesprächen über alle Fragen öffnen, um ein gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, dass uns ermöglicht, zu gegebener Zeit auch über heikle Themen zu sprechen", sagte mir ein hoher türkischer Diplomat, der Mitte Mai als Mitglied der Delegation von 320 Personen mit dem türkischen Premierminister Erdoğan nach Athen gereist war.

Und er hatte nicht ganz Unrecht: Sowohl die türkischen als auch die griechischen Regierungsvertreter versuchten nicht zu verheimlichen, dass seit Langem Streitfragen bestehen und es unrealistisch wäre, eine schnelle Lösung dieser Fragen zu erwarten.

Allerdings, wie auch die Kolumnistin Lale Sarıibrahimoğlu von der Tageszeitung Taraf bemerkte: Je mehr die beiden Länder ihre Zusammenarbeit in den Bereichen verstärken, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, wie etwa in nicht-militärischen Fragen, desto mehr Vertrauen kann entwickelt werden, um eine solide Basis für die Bewältigung schwierigerer Probleme zu bereiten.

Vertiefte Kooperation

Aus diesem Grund zogen beide Premierminister es vor, sich über mögliche Kooperationsfelder auszutauschen als nach Lösungen bestehender Streitfragen zu suchen. In diesem Rahmen kamen beim ersten Treffen des jüngst gegründeten Obersten Rates für strategische Zusammenarbeit auch zehn türkische und sieben griechische Minister zusammen.

Recep Tayyip Erdoğan (links) und Giorgos Papandreou; Foto: AP
"Hier lang bitte": Griechenland und die Türkei auf dem Weg der Versöhnung.

​​ Der Rat wird mindestens einmal im Jahr unter der Leitung der Premierminister tagen. Die einzelnen Minister treffen sich mit ihren jeweiligen Amtskollegen mindestens zweimal jährlich, um nach Chancen zu suchen, die Zusammenarbeit in ihren jeweiligen Gebieten voranzutreiben.

Nachdem die beiden Premiers 22 Kooperationsabkommen aus den verschiedensten Bereichen, darunter Bildung, Umwelt, Tourismus und Verkehr unterschrieben hatten, betonten sie ihren festen politischen Willen, die bilateralen Beziehungen zu stärken.

"Wir haben das Fundament für Frieden und Zusammenarbeit gelegt, und das trotz der Schwierigkeiten in der Vergangenheit", hob der griechische Premier Papandreou in der gemeinsamen Pressekonferenz hervor und erinnerte daran, dass die griechisch-türkischen Beziehungen niemals konsolidiert waren. Jetzt habe man aber einen großen Schritt nach vorn gemacht.

In einem Interview, das ich vor dem Besuch mit ihm führen konnte, warnte Papandreou, dass "Griechenland und die Türkei niemals in der Lage seien, ihre Beziehungen zu normalisieren, solange es in der Ägäis noch die Bedrohung für die griechischen Inseln und die Besatzung in Zypern gibt. Diese Dinge müssen wir ein für alle mal aus der Welt schaffen."

Steiniger Weg zur Versöhnung

Um dahin zu gelangen, müssen jedoch noch einige ernsthafte Hindernisse überwunden werden.

Karte der Ägäis; Foto: Wikimedia Commons
Vom Zankapfel zum "Meer des Friedens"? Sowohl Griechenland als auch die Türkei wollen sich größere Gebiete der Ägäis sichern.

​​ Zunächst existieren seit Langem umstrittene Hoheitsansprüche in der Ägäis; ein Problem, das die beiden Staaten 1996 an den Rand eines Krieges brachte. Beiden Staaten gehört eine Zone bis zu 6 Seemeilen (11 km) von ihrem jeweiligen Festland, doch Griechenland will diese Zone mit dem Hinweis auf das internationale Seerecht auf 12 Meilen erweitern. Die Türkei beruft sich auf das gleiche Recht und meint, dass diese Regelung in der Ägäis wegen der Nähe der griechischen Inseln zum türkischen Festland keine Anwendung finden könnte.

Sowohl Erdoğan als auch Papandreou unterstrichen in ihren Erklärungen, dass die Ägäis zu einem "Meer des Friedens" werden könnte und deuteten an, dass es schon bald über die Lösung der Ägäisfrage eine Vereinbarung geben könnte.

Hoffnung für Zypern

Ein anderer schwerwiegender Streitpunkt zwischen Athen und Ankara ist Zypern. Auch hierzu waren zuversichtlich stimmende Erklärungen zu vernehmen.

Pufferzone der Vereinten Nationen zwischen den beiden Teilen Zyperns; Foto: AP
Die Pufferzone der Vereinten Nationen zwischen den beiden Teilen Zyperns: Nach elf Jahren der Gewalt und einem versuchten Staatsstreich griechischer Zyprer marschierte die Türkei ein und besetzte den nördlichen Teil der Insel.

​​ Papandreou unterstrich, dass Griechenland eine Lösung der Zypernfrage anstrebt, die im Rahmen des Rechts bleibt. Er mahnte im Interview ebenfalls an, dass der neu gewählte und als nationalistische Hardliner bekannte Führer der türkischen Zyprer Derviş Eroğlu das bisher in den Verhandlungen Erreichte nicht in Frage stellen solle.

"Wenn er dem Annäherungsprozess aber Steine in den Weg legen sollte, wird er dafür die Verantwortung tragen müssen. In jedem Fall aber ist die Rolle der Türkei entscheidend für diesen Prozess", fügte er hinzu.

Während der gemeinsamen Pressekonferenz versprach Erdoğan, dass die jüngsten Verhandlungen über das Schicksal Zyperns dort wieder aufgenommen würden, wo sie vor den Wahlen im Norden Zyperns geendet haben.

"Ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn wir als Garantiemächte diesen Prozess unterstützen, wir in sehr kurzer Zeit ein Ergebnis erzielen können. Deshalb sollten wir so bald wie möglich unsere Anstrengungen bündeln", erklärte Erdoğan.

Der griechisch-orthodoxe Patriarch

Dennoch blieb der Besuch des türkischen Premierministers nicht frei von Überraschungen. Als Erdoğan gefragt wurde, ob er sich über die Definition des griechisch-orthodoxen Patriarchen als "ökumenisch" sorge, sagte er: "Nein, unsere Vorfahren ließen sich dadurch nicht beunruhigen, und auch uns macht es nicht unruhig."

Bartholomäus I., griechisch-orthodoxer Patriarch von Konstantinopel; Foto: AP
Bartholomäus I. ist der griechisch-orthodoxe Patriarch Konstantinopels.

​​ Im Osmanischen Reich wurde der Patriarch als ökumenisch anerkannt, doch die Türkei meint, dass die Anerkennung des ökumenischen Status des griechisch-orthodoxen Patriarchats heute eine Verletzung des Lausanner Vertrags darstellt, der als Gründungsdokument der modernen Türkischen Republik gilt. Deshalb erkennt der türkische Staat den Patriarchen nur als Oberhaupt der schrumpfenden griechisch-orthodoxen Gemeinde in der Türkei an.

Diese Erklärung Erdoğans wurde von seinem Gegenüber begrüßt, der seinerseits eine verbesserte rechtliche Stellung der muslimischen Minderheit in Griechenland in Aussicht stellte. Außerdem nannte Papandreou im Interview den Bau einer Moschee in Athen eine Verpflichtung, die Griechenland gegenüber seinen Muslimen habe.

Athen ist die einzige europäische Hauptstadt ohne Moschee, ein Umstand, der von Erdoğan in bilateralen Gesprächen bereits mehrfach angesprochen wurde. Einige Tage vor seiner Ankunft kündigte die griechische Regierung den Bau einer Moschee und die Übernahme der Kosten durch die öffentliche Hand an.

"Es ist die Wirtschaft, Mann!"

Während Erdoğans Besuch wurde auch das griechisch-türkische Wirtschaftsforum abgehalten, zu dem mehr als 100 Unternehmer aus der Türkei angereist waren. Das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten liegt bei 2,5 Milliarden $, eine Summe, die beide Premierminister in den nächsten fünf Jahren gern auf 5 Milliarden gesteigert sehen würden.

Die Höhe des Handelsvolumens lag noch zu Beginn des Jahres 2000 bei nahe Null. In der Folge des verheerenden Erdbebens von 1999, das die am besten entwickelten Regionen des Westens der Türkei traf, kam es jedoch zu einem raschen Anstieg. Die so genannte "Erdbeben-Diplomatie" gipfelte in der Aufnahme eines, wenn auch zögerlichen Dialogs.

Inzwischen steckt Griechenland mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise und so liegt es, wie türkische Regierungsbeamte es ausdrücken, an der Türkei, die freundschaftliche Hand auszustrecken.

Beide Premierminister beschrieben das Treffen in Athen als einen historischen Neubeginn, auch wenn vor Ort noch nicht viel Fortschritt zu erkennen ist. Dennoch gibt es viel Hoffnung, die ihren Ausdruck auch in der gemeinsamen Abschlusserklärung findet:

"Die beiden Premierminister betonten ihre Überzeugung, dass der neue Kurs ihrer Beziehungen Griechenland und die Türkei in eine strahlende Zukunft zum Nutzen beider Völker führen wird."

Ayşe Karabat

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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