Keine gute Zeit für Oğuz Atay
Klar, Orhan Pamuk kennen die deutschen Leser. Yaşar Kemal vielleicht auch. Elif Shafak eventuell. Doch Oğuz Atay? Dabei gehört der 1977 jung verstorbene Schriftsteller zu den zentralen Figuren der modernen türkischen Literatur und ist bis heute mit seinem Werk "Die Haltlosen" ein wichtiger Bezugspunkt für viele jüngere Autoren.
Es war daher kein Zufall, dass Atay zu den ersten Autoren zählte, welche die Schwestern Inci Bürhaniye und Selma Wels auswählten, als sie vor bald acht Jahren ihren Verlag Binooki gründeten. Schließlich ist es ihr Ziel, die großen Werke der modernen türkischen Literatur der deutschen Leserschaft zugänglich zu machen.
"Wir haben uns gesagt, dass wenn wir ein Verlag für türkische Literatur sind, dann müssen wir auch mit dem Autor anfangen, der die türkische Literatur geprägt hat", erzählt die Verlegerin Bürhaniye bei einem Treffen in ihrer Anwaltskanzlei in Berlin, die zugleich das Verlagsbüro ist. "Viele Autoren haben gesagt, wenn ihr Atay verlegt habt, dann wollen wir auch bei Euch erscheinen." Da sein Hauptwerk mit 800 Seiten als erstes Buch zu umfangreich war, begannen sie mit Atays Erzählband "Warten auf die Angst", bevor sie "Die Haltlosen" herausbrachten.
Brücken der Verständigung
Mit ihrem Verlag wollen die in Pforzheim geborenen Töchter eines türkischen Gastarbeiterpaars zur Verständigung zwischen ihrem Heimatland Deutschland und dem Land ihrer Eltern beitragen. Die Idee dazu kam ihnen 2010, als die Türkei Gastland bei der Frankfurter Buchmesse war. Damals hatte der Schweizer Unionsverlag in seiner Türkischen Bibliothek zwei Dutzend Werke der modernen türkischen Literatur ins Deutsche übersetzt. Doch das Interesse drohte rasch wieder abzuebben, da es keinen Verlag gab, der sich dauerhaft der türkischen Literatur widmete.
"Es gab kein spezielles Desinteresse in Deutschland an der türkischen Literatur. Man kannte sie nur einfach nicht und konnte die Bücher auch nicht lesen", sagt Bürhaniye. Dank der deutschen Übersetzungen bei Binooki sei heute auch in anderen europäischen Ländern das Interesse gewachsen, weil Verleger dort nun die Bücher auf Deutsch lesen konnten, sagt Bürhaniye. Seit seiner Gründung hat Binooki einige Dutzend Romane, Krimis, Erzählbände und Kinderbücher herausgebracht und ist mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet worden.
Doch trotz dieser Erfolge steckt der Verlag heute in Schwierigkeiten. Zwar vergeht kaum eine Woche, da die Türkei nicht Schlagzeilen in den deutschen Medien macht. Doch der Verlag profitiert nicht von diesem Interesse – im Gegenteil, wie die Verlegerin erklärt. Das Bild der Türkei werde heute komplett von der Reizfigur Erdoğan beherrscht, und bei Lesungen und Messen gleite das Gespräch immer sofort auf den Präsidenten und seine Politik ab. Für die Literatur, um die es ihnen ja eigentlich geht, bleibe dabei wenig Platz, sagt Bürhaniye.
Gewachsenes Negativ-Image der Türkei
Galt die Türkei zur Zeit der Gründung des Verlags noch als Vorbild für die Region, das mit einer dynamischen Wirtschaft und lebendigen Kulturszene faszinierte, macht sie heute Schlagzeilen mit der Verfolgung kritischer Journalisten, Wissenschaftler und Intellektueller wie dem Verleger Osman Kavala, der sich wegen Unterstützung der Gezi-Proteste demnächst vor Gericht verantworten muss. Wurde Erdoğan 2010 noch als mutiger Reformer gefeiert, der entschlossen die Tabus der türkischen Politik angeht, gilt er heute als Totengräber der Demokratie.
Das Verhältnis Deutschlands und der Türkei ist heute von Spannungen und wechselseitigen Vorwürfen geprägt, und auch das Verhältnis der Deutschen und ihrer türkischen Mitbürger hat sich verhärtet. In dieser Situation erscheint der Bedarf an kulturellem Austausch größer denn je, doch für den Binooki-Verlag ist das Umfeld schwieriger geworden. Nicht nur dominiert heute die Politik das Bild der Türkei, sondern auch die Zahl der Kulturreisenden, die mit einem türkischen Roman zur Erkundung von Istanbul aufbrechen, ist deutlich zurückgegangen.
Hinzu kommt, dass es in den vergangenen Jahren schwieriger geworden ist, Übersetzungen gefördert zu bekommen. "Früher gab es mehr Förderung, so dass wir sechs bis acht Bücher im Jahr übersetzen konnten", sagt Bürhaniye. "Nun sind es nur noch zwei. Ohne Förderung der Übersetzung ist unsere Arbeit wirtschaftlich nicht machbar." Zumal der Verlag seit Anfang an auf echte Literaturübersetzer setzt, die in der Lage sind, die sprachlichen Feinheiten zu treffen – gerade bei einem so komplexen und facettenreichen Werk wie Atays "Die Haltlosen".
Finanziell unter Druck
Wegen der schwierigen finanziellen Lage des Verlags hat Selma Wels einen zweiten Job annehmen müssen; Bürhaniye hat ohnehin immer parallel weiter als Anwältin gearbeitet. Um als Verlag zu überleben, wollen sie ihr Programm nun anpassen. Vergangenes Jahr haben sie mit "Das Tor zur Glückseligkeit" erstmals ein auf Deutsch verfasstes Buch herausgebracht. In dem historischen Sachbuch erzählt Michael Asderis anhand seiner eigenen Familien die Geschichte der Istanbuler Griechen, die bis in die 1950er Jahre die Stadt am Bosporus prägten.
Auch in der Türkei ist die Verlagsszene heute in der Krise, da durch den Währungsverfall die Papierpreise dramatisch gestiegen sind. Besonders für kleine Verlage droht das Aus. Hinzukommt, dass türkische Intellektuelle angesichts der Einschränkung der Meinungsfreiheit und des repressiven Klimas in der Türkei zunehmend ins Ausland gehen. "Viele der Autoren und Künstler sind raus aus der Türkei und schreiben nun im Ausland", sagt Bürhaniye. "Wir wollen unseren Fokus darauf legen, welche Erfahrungen diese Autoren heute machen."
Die Verlegerin sieht in dem Exodus der intellektuellen Elite eine Katastrophe für die Türkei, doch könne er auch eine Chance sein, glaubt sie. "Ich baue darauf, dass diese Leute den Blick der Deutschen auf die türkische Kultur ändern. Dann werden sie mit dem Bild des Türken nicht nur Dönerläden und Gemüsestände verbinden."
Die Immigranten der 60er und 70er Jahre seien einfache Arbeiter gewesen, die nur wenig gelesen hätten und daher auch kaum zur Vermittlung der türkischen Literatur beitragen konnten. Heute dagegen seien es die Autoren selbst, die kommen.
Ulrich von Schwerin
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