Richtlinien für Religion und Politik
Die Unzufriedenheit der Türkei über die Entwicklung des "europäischen Islams" ohne ihre Beteiligung hat sich in den Beschlüssen des 3. Religionsrats in Ankara niedergeschlagen.
Die Ratsbeschlüsse hoben die Bedeutung von türkischen Religionslehrern und der türkischen Unterrichtssprache im Ausland deutlich hervor.
EU zu mehr Kooperation aufgefordert
Die EU-Länder wurden dazu aufgerufen, in Religionsfragen, welche Türken oder Menschen türkischer Herkunft betreffen, stärker mit der Türkei zusammenzuarbeiten.
Damit legte der Religionsrat die islamischen Richtlinien für die nächsten Jahre in der türkischen EU-Politik fest. Daneben wurde der Rat auch zum Ort des Debattierens über diametral entgegen gesetzte Anschauungen der türkischen Staatsspitze über den Laizismus.
Zweihundertfünfzig Theologen, Politiker und Intellektuelle tagten vom 20. bis zum 24. September unter dem Dach der Anstalt für Religiöse Fragen (Diyanet). Das Motto des Religionsrats lautete: "Der Religionsdienst und -unterricht des Diyanet im Ausland im Zuge der EU-Annäherung". Daher war auch die Führungsebene der Auslandsorganisationen des Diyanet (DITIB und ATIB) vertreten.
Einstimmige Position: Islam und Terror unvereinbar
In den Eröffnungsansprachen der fünftägigen Ratssitzung stand das Thema "Islam und Terror" im Mittelpunkt. Alle Redner waren sich darüber einig, dass diese beiden Wörter nicht in einem Atemzug genannt werden sollten. Einig waren sie sich aber auch über die Notwendigkeit von Selbstkritik unter Muslimen.
Der türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer sagte unverblümt, dass unter den Terroristen "leider auch türkische Staatsbürger anzutreffen" seien: "Das sind Menschen, die unser staatliches Ausbildungsprogramm durchlaufen haben. So müssen wir uns fragen, wo wir Fehler machen."
Sezer beschuldigte "Kreise", die den Kindern von klein auf unzeitgemäße Glaubensinhalte eintrichterten, aber auch "politische Strömungen, die aus dem Glauben eine Ideologie" machten. Sie seien letztlich für die Nennung des Islam in einem Atemzug mit dem Terror verantwortlich.
Laizismus, d.h. die strikte Trennung des Weltlichen vom Glauben, wie er in der Türkei nach französischem Vorbild praktiziert wird, stellte Sezer als unerschütterliches Prinzip dar.
Parlamentspräsident: "Laizismus sensibel behandeln"
Ganz anders sah es der Parlamentspräsident und führende Kopf der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP, Bülent Arinc. "Wenn in einem Land, dessen Bevölkerung zum größten Teil aus Muslimen besteht, der Laizismus angewandt wird, sollte man sensibel vorgehen", sagte Arinc in Anspielung auf Sezers Beharren bezüglich des Kopftuchverbots an Universitäten und Ämtern.
Arinc sah "keinerlei Beziehung zwischen Terrororganisationen wie Al Kaida und dem Islam" und kritisierte "die pauschale Vorverurteilung aller Muslime durch die westliche Öffentlichkeit." Dieser negative Diskurs im Ausland erschwere zudem den Dialog der Laizisten mit dem Islam in der Türkei.
Ministerpräsident Tayyip Erdogan lenkte schließlich das Hauptaugenmerk auf den Religionsdienst des Diyanet im Ausland, vor allem in den Ländern der EU. Erdogan lobte die Integrationsleistung der Türken und betonte die "führende Rolle der Türkei in der islamischen Welt". Erdogans Ansichten flossen unmittelbar in die Beschlüsse des Rats ein.
Öffnung eines Verbindungsbüros in Brüssel geplant
Unter der Überschrift "Europäische Gemeinschaft und Religion" wurde die Eröffnung eines Verbindungsbüro in Brüssel beschlossen, das die Arbeit des Diyanet in der EU koordinieren und die notwendigen Schritte vor Ort realisieren soll. Das DITIB als Diyanet-Organisation in Europa soll als einziger Ansprechpartner akzeptiert und die lokalen Gesetze der EU dementsprechend geändert werden. Den Türken im Ausland könne nur durch eine solche institutionelle Zugehörigkeit in Glaubensfragen wirklich geholfen werden.
Bei der "Ermittlung einer islamischen Gemeinde als offiziellen Träger des Islamunterrichts" soll berücksichtigt werden, dass nur islamische Theologen in der Lage seien, über den Inhalt des Religionsunterrichts zu bestimmen.
Die Türkei will damit künftig ein größeres Mitspracherecht bei der Ausbildung islamischer Religionslehrer - auch in Deutschland - beanspruchen Außerdem signalisiert sie ihre Unzufriedenheit über die Ausbildung rein deutschsprachiger Lehrer vor Ort.
Als Gegenbeispiel werden die christlichen Minderheiten in der Türkei erwähnt, die ihren Religionsunterricht in ihrer eigenen Sprache und inhaltlich selbstbestimmend erhalten.
Für mehr Einfluss - Lehrerausbildung steuern
Das DITIB will nach wie vor selbst Lehrer ausbilden und entsenden. Diese sollen vorab die Landessprache erlernen und mit der lokalen Kultur vertraut gemacht werden. Junge Bewerber aus dem jeweiligen Ausland sollen bevorzugt an türkischen Theologiefakultäten ausgebildet werden. Sie erhalten künftig Studienkontingente.
Im Religionsunterricht in der Moschee soll die Unterrichtssprache Türkisch sein. Wohnen ausschließlich türkische Kinder dem Religionsunterricht in den Schulen bei, soll der Unterricht möglichst auf Türkisch abgehalten werden. Ist das nicht zu verwirklichen, "sollen Maßnahmen getroffen werden, damit die islamischen Begriffe adäquat vermittelt werden können".
Vermehrt türkische Geistliche im Ausland einsetzen
Der Religionsrat beschloss, auch die Kontingente für die türkischen Imame und Muftis im Ausland zu erhöhen. Im Einzugsbereich eines jeden Konsulats soll wenigstens ein islamischer Geistlicher anwesend sein, der die Landessprache beherrscht und als Vertrauensmann fungiert.
Erstmals sollen weibliche Religionsbeauftragte für Frauen zuständig sein. Generell soll die aktive Beteiligung von Frauen an den Gottesdiensten gefördert werden.
Außerdem sollen die Religionsbeauftragten im Ausland sozial besser abgesichert werden. Ihre Aufenthaltserlaubnisse sollen künftig auf dem Diplomatenwege eingeholt werden, um ihnen einen besseren Schutz durch Immunität zu gewährleisten. Schließlich will die Türkei in allen EU-Ländern eine Initiative starten, um Muslime an ihren Feiertagen, wie dem Ramadan und dem Opferfest, von der Arbeits- bzw. Schulpflicht zu befreien.
Dilek Zaptcioglu
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