"Jeder Widerstand hat seinen eigenen Klang"
Wer Bandista vor ihrem Konzert im Berliner Club SO36 treffen will, muss durch die Katakomben. Poster beklebte düstere Steinflure führen in den Backstage-Bereich. Eine luftige Feuertreppe und zwei schalldichte Türen muss man hinter sich lassen. Dann ist man in dem Raum, indem sich die fünf Bandmitglieder auf Sofas und Stühlen räkeln. In der Mitte ein Tisch, auf dem Kaffee, Bier und Wasser stehen. "Was möchtest Du trinken?", fragen sie gleich, als hätten sie zu dem Gespräch eingeladen.
Bandista stehen kurz für "Bando Istanbul", ihre Musiker sind Teil eines Musikkollektivs, das seit 2006 verschiedene Musikrichtungen mit politischen und gesellschaftskritischen Inhalten verbindet. Ihre musikalischen Wurzeln finden sie in der kulturellen Vielfalt Anatoliens, betonen jedoch zugleich ihre internationalistische Haltung. Ihre Mitglieder bewahren konsequent ihre Anonymität. Und immer wieder ändern sie ihre Formation. An diesem Abend sind sie zu fünft da, haben ihren Soundcheck hinter sich und vertreiben sich die Zeit bis zu ihrem Auftritt.
"Wir sind gegen Grenzen"
Ob sie sich als Repräsentanten einer bestimmten Bewegung verstehen? "An diese Art von Schubladendenken glauben wir nicht", raunt der krausköpfige Gitarrist in weiß-schwarz gestreiften Schlabberpulli vom Sofa herüber, die Arme vor der Brust verschränkt. Der quirlige Frontmann mit "Tribal-Tattoo" am Oberarm erklärt: "Wir stehen höchstens für die Straße – an dem Ort, an dem wir uns befinden – und für unseren eigenen Blickwinkel, durch den wir diesen Ort sehen. Wir haben etwas zu sagen und wir sagen es. Wir richten unsere Worte an internationale Firmen, an die Waffenindustrie, den Kapitalismus, den Faschismus, Rassismus. Wir sind gegen Grenzen."
Die Bandista-Mitglieder sind zwar alle Kinder der Generation, die nach dem Militärputsch der 1980er Jahre aufgewachsen ist. Doch, so betonen sie, fließen in ihre Haltung – und damit auch in ihre Lieder – die Vergangenheit, die Geschichte des Widerstands, die Opfer mit ein. "Wir möchten, dass man über die Geschichte spricht, die man uns vergessen lassen möchte" - so ihr Credo.
Und so haucht bei dem im Dreiviertel-Takt geschriebenen Intro vom "Lied der Verleumdung" der Frontmann mit übertrieben gerolltem "R" die Worte ins Mikrofon: "Die Geschichte, die wir erzählen müssen, muss 1915 beginnen. Beim Völkermord an den Armeniern." Und weiter geht es in dem Song: "All das ist nie geschehen, selbst die Geschichte war nur Zeuge, selbst sie hat sich nicht geschämt".
Mittlerweile haben Bandista sieben Alben herausgebracht, die alle frei aus dem Internet herunterzuladen sind. In ihren Liedern behandeln sie Themen wie Polizeigewalt, die ersten Gastarbeiter in Deutschland, Globalisierungskritik und Gentrifizierung, die sich derzeit vor dem Hintergrund des Bauboom in Istanbul manifestiert, sowie den Militärputsch von 1980. Eines ihrer bekanntesten Lieder ist "Meine Mutter ist ein Samstag", ein Song über die Mütter jener jungen Männer, die durch Staatsgewalt "verschwunden" sind und die Woche um Woche in stillem Protest Aufklärung und Rechenschaft fordern.
Gegen Kommerz und Musikindustrie
Doch Bandista wollen nicht nur als ein weiterer Stein im Mosaik türkischer Protestmusik kategorisiert werden. "Dort, wo wir leben, existiert sowohl die Geschichte der Massaker als auch des Protests dagegen. Diesen Weg verfolgen wir zwar auch, gleichzeitig sind wir aber auch Punks – wir kennen MTV und wir wissen, wie die Musikindustrie funktioniert. Wir versuchen, Musik zu machen, außerhalb von all dem", erklärt der muskulöse Bassist mit dunkelblondem Pferdeschwanz und breitem Lächeln, während er sich eine Zigarette dreht. Wenn die Musiker in ihren selbst geschriebenen Liedern kritische Töne anschlagen, tun sie das nicht verkrampft oder belehrend. Sie spielen immer auch eingängige Melodien, die zum Tanzen und Mitsingen einladen.
Bei den Gezi-Protesten im Sommer 2013 in Istanbul waren Bandista selbstverständlich mit auf dem Taksim-Platz. "Dass solch eine Massenbewegung möglich ist, haben wir zwar in anderen Ländern schon gesehen. Doch es war das erste Mal, dass in der Türkei so etwas geschehen ist", erklärt der Saxofonist, dem Aussehen nach das jüngste Mitglied des Kollektivs. "Die Menschen, die sich sonst still verhielten, haben gesehen, was geschieht, wenn sie ihre Stimme erheben."
In den 18 Tagen, in denen der Istanbuler Gezi-Park mit Menschen, Zelten und Essensständen besetzt war, haben die Menschen eine Zeit lang ein perfektes solidarisches Leben geführt. Und für sie ist Gezi kein einmaliges Phänomen, das der Vergangenheit angehört: Gezi dauert noch immer an, glauben die Musiker. Die türkische Gesellschaft habe einen Bewusstseinsschub erlebt, der sich noch immer in anhaltenden Protesten, der Widerstandsbewegung beispielsweise im Istanbuler Stadtteil Karaköy und vor den Toren der Justizgebäude manifestiere.
Kreativer Widerstand
"Jede Widerstandsbewegung hat ihre eigene Stimme. Die Schüsseln und Pfannen, mit denen die Leute auf den Straßen waren, das alles ist Musik", wirft der Bassist vom Sofa ein und sein Kollege, der Akkordeon-Spieler, schließt sich ihm an: "Kürzlich haben wir die Arbeiter der Kazova-Textilfabrik besucht. Nachdem ihre alte Fabrik geschlossen wurde und sie ohne Abfindung entlassen worden waren, leisteten sie Widerstand und besetzten die Fabrik. Sie fuhren mit der Produktion fort und heute werden ihre selbstproduzierten Pullover verkauft. Die Geräusche der Nähmaschinen, das Rattern der Nadeln, das war Musik, das waren Noten", erklärt er. Bei den Gezi-Protesten sei Musik, ebenso wie die Graffiti-Art, Tänze und jede andere Art von Kunst ein Mittel gewesen, die gemeinsame Freude aber auch die Trauer miteinander zu teilen.
Während des Solidaritätskonzerts für die Inhaftierten der Gezi-Proteste in Berlin bringen die Bandista-Musiker das internationale Publikum in Stimmung. "Ich mag, dass sie linke Klassiker wie 'A las barricadas' mit traditionellen Klänge kombinieren", schwärmt eine Konzertbesucherin, die das Kollektiv schon von früher kennt, denn seitdem sie in Deutschland regelmäßig auf verschiedenen Festivals auftreten, hat sich auch hier der Kreis ihrer Fans erweitert.
Auch an diesem Abend schließen Bandista ihr Konzert mit der türkischen Version des für die linke internationalistische Protestmusik obligatorischen "Bella Ciao" und den Worten "Der Widerstand geht weiter". Und das Publikum singt mit.
Ceyda Nurtsch
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de