IS-Rückkehrer und der Arm des Gesetzes
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen – so lauten die Vorwürfe gegen Taha A.-J. Seit Ende April steht der 27-Jährige Iraker in Frankfurt vor Gericht. Im Zentrum der Verhandlung steht der Tod an einer fünfjährigen jesidischen Kindersklavin 2015 im irakischen Falludscha.
Die Anklage basiert auf den Aussagen seiner Frau Jennifer W., einer überzeugten IS-Anhängerin. Die hatte im Juni 2018 einem V-Mann von ihrem Aufenthalt im IS-Gebiet berichtet. Ihr damaliger Mann Taha A.-J. habe ein jesidisches Mädchen in der sengenden Sonne angekettet. Als Strafe dafür, dass sie sich im Bett eingenässt hatte. Die Kindersklavin sei daran qualvoll verstorben.
Weil Jennifer W. nichts tat, um das Mädchen zu retten, steht sie selbst seit April 2019 in München vor Gericht. Dort hat auch schon die Mutter des Mädchens ausgesagt. Sie war ebenfalls als Sklavin im Haushalt von Jennifer W. und ihrem Mann festgehalten und musste den Tod ihrer Tochter hilflos mit ansehen.
Dickes Brett Völkermordvorwurf
Taha A-.J. war im Mai 2019 war er in Griechenland mit einem deutschen Haftbefehl verhaftet worden; im Oktober wurde er nach Deutschland ausgeliefert. Der Prozess gegen den gebürtigen Iraker hat international großes Aufsehen erregt. Weil es der erste Prozess gegen einen IS-Kämpfer ist, in dem der Völkermord des sogenannten Islamischen Staats gegen die Jesiden thematisiert wird.
"Mit dem Völkermordverfahren bohrt die Bundesanwaltschaft ein dickes Brett", urteilt der Leipziger Völkerrechtler Alexander Schwarz. Völkermord sei im Völkerstrafrecht das "Verbrechen der Verbrechen". Allerdings gibt Schwarz gegenüber der DW zu bedenken, "besteht die Schwierigkeit darin, den Tätern individuell nachzuweisen, dass es ihnen tatsächlich darauf ankam, die ganze Ethnie zu zerstören".
Das wirklich Besondere am Verfahren gegen Taha A.-J. ist für den Völkerrechtler aus Leipzig: "Zum ersten Mal verfolgt die Bundesanwaltschaft eine reine Auslandstat". Soll heißen: Die Tat wurde nicht in Deutschland begangen; weder Täter noch Opfer sind Deutsche; und der Täter befand sich zum Zeitpunkt des Aufgreifens noch nicht einmal auf deutschem Territorium. Bei Taha A.-J. wende die Bundesanwaltschaft zum ersten Mal "das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht zu 100 Prozent an".
Langer Hebel Völkerstrafrecht
Das Völkerstrafrecht insgesamt spielt in der Arbeit der Bundesanwaltschaft eine immer größere Rolle. Als am 4. Mai in Hamburg der Prozess gegen die 35-jährige IS-Rückkehrerin Omaima A. begann, fand sich in der Anklage ebenfalls der Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Denn die Witwe des bekannten IS-Dschihadisten Denis Cuspert soll in ihrem Haushalt ein 13-jähriges jesidisches Mädchen als Slavin gehalten haben.
Nachdem Omaima A. 2016 aus dem syrischen Kriegsgebiet zurückgekehrt war, lebte sie drei Jahre lang vollkommen unbehelligt in ihrer Heimatstadt Hamburg. Erst die Recherchen der Journalistin Jenan Moussa vom arabischen Fernsehsender Al Aan TV brachten die notwendigen Beweise: Moussa hatte in Syrien das Handy gefunden, dass Omaima A. dort benutzt hatte – mit Tausenden Fotos und Videos. Mit denen lässt sich das Leben der IS-Anhängerin in Syrien im Detail nachzeichnen. Deshalb begann die Beweisaufnahme auch mit der Vorführung einer Fernsehdokumentation, die Jenan Moussa über die deutsche Dschihadistin gedreht hat.
Journalistin bringt Prozess ins Rollen
Zu sehen sind Bilder, die Omaima A. mit einer AK 47 zeigen, die ihre Kinder mit Waffen zeigen, sind ein lachender Denis Cuspert und Auszüge aus Chats mit ihren Männern. Völkerrechtler Schwarz meint, das Bild der weiblichen IS-Anhänger als meinungsloser, passiver Frauen müsse korrigiert werden. "Zahlreiche Rückkehrerinnen, also weibliche IS-Kämpferinnen, waren bewaffnet, hatten auch Schnellfeuerwaffen, hatten AK 47 oder Pistolen".
Big day.
Today in Hamburg the trial starts against German/Tunisian ISIS woman Omaima Abdi. She joined ISIS in Syria &returned to Hamburg as if nothing had happened.
Then we found her Syria phone with 1000s of pics on it.
She got arrested &now faces multiple charges.@akhbar pic.twitter.com/I1cx9Lz9P6— Jenan Moussa (@jenanmoussa) May 4, 2020
Viele weibliche Kämpferinnen haben auch bei der sogenannten Sittenpolizei gearbeitet. Dabei haben sie andere Frauen darauf hingewiesen, wie sie sich zu kleiden, wie sie sich zu verhalten haben, wie sie sich den Verhaltensweisen des Islamischen Staates zu unterwerfen haben. Besonders die Sklavenhaltung ist für Alexander Schwarz "eine Tathandlung, die den weiblichen Kämpferinnen zugerechnet werden kann und von ihnen sogar überwiegend praktiziert wurde.
Das Halten von Sklaven taucht auch in anderen Prozessen gegen IS-Rückkehrer auf. Etwa im Verfahren gegen Sarah O. in Düsseldorf. Das wird seit letztem Oktober unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Weil die Angeklagte sich als Minderjährige schuldig gemacht haben soll. Die zierliche 21-Jährige war erst 15, als sie nach Ansicht der Ermittler beschloss, für den IS in den Krieg zu ziehen. Neben der Sklavenhaltung wird Sarah O. auch vorgeworfen, mit ihrem Mann und ihren Kindern in Wohnungen gelebt zu haben, die ihnen vom IS zugewiesen worden waren.
Plündern durch Wohnen
Das klingt zwar harmlos. Juristisch aber gilt das als "Plündern durch Wohnen". Der Gedanke dahinter: Wenn der IS zugereisten Dschihadisten eine Wohnung zuweist, müssen die vorherigen Bewohner von dort vertrieben oder getötet worden sein. Mithin handele es sich um Plünderung – und damit um eine Verletzung von Paragraph 8 des Völkerstrafgesetzbuches.
Zum ersten Mal war diese Auslegung im Prozess gegen Sabine Sch. angewandt worden. Die IS-Rückkehrerin war vom im Juli 2019 in Stuttgart zu fünf Jahren Haft verurteilt worden – vor allem wegen Kriegsverbrechen gegen Eigentum durch Besitznahme von zwei Wohnungen.
Seit Anfang 2019 hat die Bundesanwaltschaft in bislang acht Anklagen IS-Rückkehrern eine Verletzung des Völkerstrafrechts vorgeworfen. Besonders das "Plündern durch Wohnen" erweist sich für die Karlsruher Ermittler als Kniff, um vor allem weibliche IS-Anhänger zu belangen.
Das hatte im Mai 2018 der Bundesgerichtshof erschwert: Da war der Fall der 33-jährigen Sibel H. verhandelt worden. Deren Geschichte kling typisch für deutsche IS-Anhänger: Zweimal war die Frau aus Aschaffenburg ins Terrorkalifat des IS gereist. Das erste Mal 2013. Nachdem ihr erster Mann getötet wurde, kehrte sie als Märtyrer-Witwe 2014 nach Deutschland zurück. Hier heiratete sie erneut, wieder einen Mann aus der Salafisten Szene. Mit dem brach sie ein zweites Mal ins IS-Gebiet auf, bekam dort zwei Kinder. Im Frühjahr 2018 wurde sie schließlich aus einem kurdischen Gefängnis im Nordirak nach Deutschland überstellt. Hier konnte Sibel H. aber zunächst auf freiem Fuß bleiben.
Denn der Bundesgerichtshof (BGH) lehnte damals einen Haftbefehl gegen Sibel H. ab. Das Argument: Um als Mitglied des Islamischen Staates zu gelten reiche es nicht, sich "am Alltagsleben im Herrschaftsgebiet" zu beteiligen.
Nur Hausfrauen und Mütter?
Für Haftbefehl und Anklage forderten Deutschlands oberste Richter Beweise, dass jemand den IS ganz konkret unterstützt oder auch für ihn gekämpft hat. Ansonsten blieben sie straffrei. Kein Wunder, dass von IS-Rückkehrerinnen immer wieder zu hören war, sie hätten sich ja nur um den Haushalt und die Kinder gekümmert; von Gräueltaten hätten sie nichts mitbekommen.
Für Serkan Alkan wird mit der Konstruktion "Wohnen durch Plündern" der Bundesanwaltschaft der Bogen allerdings überspannt. Der Anwalt aus dem Rheinland vertritt immer wieder IS-Anhänger vor deutschen Gerichten, gilt als Anwalt der Salafisten-Szene. Alkan betont gegenüber der DW, Frauen hätten im Herrschaftsbereich des IS keinerlei Mitspracherecht gehabt. "Die Vorstellung, dass man sich da als Frau hinstellt und sagt: `Nein, ich werde dieses Haus nicht nehmen, weil das ist ein Verstoß gegen das Völkerstrafrecht. Ich werde mir jetzt ein Zelt aufschlagen und im Zelt leben´. Das ist total utopisch", lehnt der Strafverteidiger die Argumente der Karlsruher Ermittler ab.
Vor Gericht allerdings findet Bundesanwaltschaft Gehör. Auch Sibel H. wurde schließlich doch noch verhaftet und angeklagt – wegen Verstoßes gegen das Völkerstrafrecht, wegen Plündern durch Wohnen. Am 29. April wurde sie in München zu drei Jahren Haft verurteilt. Inzwischen nimmt sie an einem Aussteigerprogramm teil.
Problem IS-Rückkehrer
In den vergangenen fünf Jahren sind 122 IS-Anhänger aus Syrien oder dem Irak nach Deutschland zurückgekehrt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag vom November 2019 hervor. 53 von ihnen sind als "Gefährder" eingestuft. 18 gelten als sogenannte "relevante Personen", also Führungsfiguren, Unterstützer oder Akteure.
Vielleicht hilft der Rückgriff auf das Völkerstrafrecht, diese Menschen zur Verantwortung zu ziehen.
Matthias von Hein
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