Blinde Solidarität statt kritischem Dialog
Bedeutende westliche Staaten haben die Notbremse gezogen: Die UN-Anti-Rassismus-Konferenz wird nicht in ein Tribunal gegen Israel verwandelt. Ein solches hatten jedenfalls die USA, Kanada, Australien und Neuseeland, Italien, Niederlande, Polen und Israel selbst befürchtet.
Darum hatten sie ihre Teilnahme abgesagt – und sich damit um die Möglichkeit gebracht, Einfluss auf die Konferenz zu nehmen. Ihr Pessimismus ist bemerkenswert, denn ihren Einfluss hatten sie bereits im Vorfeld der Konferenz mit Erfolg ausgeübt.
Streichung brisanter Passagen
So wurden aus dem aktuellen Zentraldokument der Konferenz bereits jene Passagen gestrichen, die sich explizit und in harschen Worten gegen die israelische Politik richteten. So fehlt etwa jene Stelle, der zufolge die Palästinenser einer "gesetzlosen kollektiven Strafe, ökonomischer Blockade und strenger Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit und willkürlicher Schließung ihrer Territorien" unterworfen seien.
Ein Absatz vorher stand zu lesen, die Palästinenser würden "rassisch diskriminiert". All das findet sich nun nicht mehr in dem Dokument. Vage ist nur noch von "fremder Besatzung" – ohne explizite Nennung jeglicher Besatzungsmacht – die Rede.
Die westlichen Staaten haben also gezeigt, wie effektiv sich mit all jenen Regierungen verhandeln lässt, die Israel in dem ursprünglichen Dokument so massiv kritisierten.
Fanal gegen Israel?
Warum also ziehen sie sich zurück. Es ist fraglich, ob die Konferenz wirklich zu jenem Fanal gegen Israel wird, das die Staaten, die nun nicht an der Konferenz teilnehmen, offenbar befürchten.
Und ebenso ist fraglich, ob die anti-israelischen Ausfälle von dem eigens angereisten iranischen Präsidenten Mahmut Ahmadinejad das Ansehen der Konferenz tatsächlich so schwer beschädigen, dass aus ihr gar keine positiven Resultate im Kampf gegen den Rassismus mehr hätten hervorgehen können.
Ganz im Gegenteil könnte ein solcher Auftritt auch zeigen, wie dürftig die Argumente eines Regierungschefs sind, der meint, Israel moralisch belehren zu können, während er im eigenen Land demokratischen Regungen konsequent unterdrückt.
Freund-Feind-Logik
So aber ist der Rückzug vor allem ein Triumph jener Freund-Feind-Logik, die die Diskussion um Israel und die palästinensischen Gebiete bestimmt: Kritik an der israelischen Palästina-Politik riskiert leicht, als "propagandistisch" oder, schlimmer noch, "antisemitisch" gebrandmarkt zu werden. Damit aber stehen zwei Begriffe im Raum, die eine sachliche Diskussion kaum mehr zulassen.
Und die Weigerung, eine sachliche Diskussion auf der Genfer Konferenz überhaupt für denkbar zu halten, der Entschluss, sich einer konträren Debatte, wie sie auf jede UN-Konferenz an der Tagesordnung ist, vorab zu verweigern, deutet an, welchem Motiv die nun nicht teilnehmenden Staaten vor allem folgen: der Bündnislogik. Das ist ein ernstzunehmender Grund. Aber man sollte ihn als solchen benennen.
Wie hart die Fronten sind, zeigt sich aber auch in anderer Richtung: Bis zuletzt haben sich zumindest einige islamische Länder dafür eingesetzt, eine Passage in das Zentraldokument der Konferenz aufzunehmen, das die "stereotype Verbindung von Religionen, insbesondere dem Islam, mit Gewalt und Terrorismus in Verbindung bringt" – eine Verbindung die sich auf die Anhänger dieser Religionen negativ auswirke.
Was aber heißt "stereotyp"? Mit diesem Begriff lässt sich jede Debatte um die Notwendigkeit religiöser Reformen verhindern. So verstanden, weist der Begriff eine diskrete Verwandtschaft mit dem Adjektiv "propagandistisch" auf, mit dem im Vorfeld der Konferenz mögliche Kritik an der israelischen Palästinapolitik bereits vorab abqualifiziert wurde.
Verbale Schutzmechanismen
Die verbalen Schutzstrategien beider Seiten sind einander verblüffend ähnlich. So zeigt die Konferenz, noch bevor sie eigentlich begonnen hat, dass die beteiligten Parteien ganz wesentlich dem Lagerdenken verpflichtet sind. Solidarität mit den eigenen Truppen zählt mehr als der Wille zum Dialog.
Die Logik der Fronten, der die Konferenz doch eigentlich entgegenarbeiten sollte, feiert in Genf diskrete Triumphe. Die Teilnehmer haben noch viel Aufklärungsarbeit vor sich – nicht zuletzt solche, die sie selbst betrifft.
Kersten Knipp
© Qantara 2009
Kersten Knipp arbeitet als Journalist mit dem Schwerpunkt internationale Kulturbeziehungen für den Deutschlandfunk, den WDR und die Neue Zürcher Zeitung.
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