Der Westen gegen den Rest der Welt
Die Einreiseverbote für Muslime ("Muslim Ban") lösten große Bestürzung aus. Nach dem Women‘s March gegen die Inauguration von Präsident Trump brach damit eine zweite Welle der Empörung los, die gleichzeitig den inneren Zustand der USA widerspiegelt. Hier offenbaren sich nicht nur die Fehler der aktuellen Regierung, sondern auch die ihrer Vorgängerinnen im Umgang mit den Symptomen einer notorisch kurzsichtigen Politik des Westens gegenüber dem Nahen Osten.
Der Einreisestopp wird in den Medien und im globalen Diskurs als eine Entgleisung der amerikanischen Politik gesehen. Doch er ist kein spezieller Ausfluss der isolationistischen Denkweise Donald Trumps. Er ist kein Signal für eine neue amerikanische Agenda. Vielmehr ist er ein Signal einer unverhüllt nationalen Sicherheitsstrategie, die die Haltung des "Westens gegen den Rest der Welt" weiter zementiert.
Das Dekret soll die Einreise von Bürgern aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern des Nahen Ostens unterbinden, die der von Präsident Obama aufgestellten Liste "gescheiterter" Staaten in der Region entnommen sind. Das Dekret ist der Versuch, die Scherben der westlichen Übergriffe aufzukehren.
Trumps unverblümte Außenpolitik
Anstatt wie bisher die eigenen außenpolitischen Fehler zu maskieren und gewaltsam gegen Muslime im Ausland vorzugehen, während man sich im eigenen Land scheinbar tolerant gegenüber Muslimen gibt, verfolgt Trumps neue Politik tatsächlich unverblümt die bestehenden US-Prioritäten und geostrategischen Ziele. Hierzu zählen nicht zuletzt die Unterstützung der illegalen israelischen Besetzung von Palästina, die Bekämpfung des "Terrors", der an die Stelle der kommunistischen Bedrohung tritt, und die Befreiung von der Ölabhängigkeit.
Die institutionalisierten Formen der Diskriminierung im eigenen Land sind nach 9/11 zum Wesensmerkmal amerikanischer Politik geworden und müssen als solche benannt werden. Aber wenn diese Politik im Kern gar nicht neu ist, warum haben sich die Menschen nicht schon früher dagegen gewandt? Warum gehen sie erst jetzt dagegen an?
Erstmals fühlen sich viele Menschen persönlich betroffen: Entweder fallen sie selbst unter das Einreiseverbot oder sie kennen jemanden, den es trifft. Bislang konnten die Menschen die moralischen Folgen und fehlgelenkten Einsätze der Kriege nach 9/11 ausblenden. Doch jetzt gerät ihre kollektive Psyche angesichts der amerikanischen Doppelmoral aus dem Gleichgewicht.
Systematische Vernebelung und Heuchelei
Aufgerüttelt hat auch die Art und Weise, wie dieses Dekret ohne Mindestmaß an Political Correctness erlassen wurde. Bislang war man an subtilere Ablenkungstaktiken einer eher linksorientierten Regierung gewöhnt. Trotz des Weckrufs durch den sogenannten "Muslim Ban" und die juristische Gegenreaktion, die die exekutive Macht von Präsident Trump einzuhegen versucht, will kaum jemand die Probleme im größeren Zusammenhang sehen.
Warum protestieren die Menschen nicht gegen die gezielte Tötung von Muslimen im Ausland durch westliche Streitkräfte oder die Beschneidung von Bürgerrechten im eigenen Land? Hier zeigt sich die selektive Blindheit durch systematische Vernebelung und Heuchelei. "Bad-Apple"-Theorien, nach denen die Schuld bei Fehlleistungen einzelner liegt, beispielsweise bei Donald Trump, entlasten das System und dessen konstituierende Teile von der Mitwirkung an diesem Fiasko.
Ausländische Staatsoberhäupter – darunter die britische Premierministerin und diverse EU-Regierungschefs –, die Trumps Dekret verurteilten, waschen ihre Hände bei ähnlichen Diskriminierungspraktiken in Unschuld. Ganz besonders die EU steckt im Sumpf einer regionalen Flüchtlingskrise, für die sie immer weniger Verantwortung übernehmen will. Gleichzeitig symbolisiert der Brexit die entstandenen Fliehkräfte. Europa stellt seine Einwanderungspolitik unter eine gemeinsame Agenda zur Terrorismusbekämpfung. So werden Menschen kriminalisiert, die Konflikten zu entfliehen versuchen, bei denen europäische Akteure ihre Hand im Spiel haben.
Verfestigte Feindschaft
Kanada als nächster Nachbar der USA nutzte die Gelegenheit, eine unaufrichtige Einladung an alle von Amerika abgewiesenen Flüchtlinge auszusprechen. Das passte perfekt zum Mantra der US-Demokraten, die im Wahlkampf angekündigt hatten, im Falle von Trumps Wahl nach Kanada auszureisen. Die scheinbar großzügige kanadische Geste täuscht über ein eingebautes Sicherheitsschlupfloch hinweg, nach dem "einzelne männliche" Flüchtlinge von der Einladung ausgeschlossen sind, was das Angebot wertlos macht.
Der Aufruf des iranischen Filmemachers und Oscar-Preisträgers Asghar Farhadi, die diesjährige Oscar-Verleihung zu boykottieren, auch wenn der Einreisestopp aufgehoben werden sollte, ist zwar gut gemeint, verfestigt aber nur die Feindschaft zwischen Ost und West. Als Reaktion auf derartige Appelle wie den von Farhadi, der selbst vom Einreisestopp betroffen ist, hat die "Academy of Motion Pictures" sich selbst öffentlich zur "Unterstützung der Filmemacher und der Rechte aller Menschen weltweit" bekannt.
Solche prinzipientreuen Widerstandsbekundungen können als Signal für ein aufkeimendes transnationales Ethos gegen Diskriminierung verstanden werden. Einstweilen aber bleiben sie eine hohle Phrase.
Mishana Hosseinioun
Mishana Hosseinioun ist Associate Member am Institut für Politik und Internationale Beziehungen (Department of Politics and International) sowie am St Antony's College der Oxford University, wo sie 2014 am University College der Hochschule promovierte. Sie ist Vorsitzende des internationalen Beratungsunternehmens MH Group. In Kürze erscheint bei Palgrave Macmillan ihr Buch "Before the Day Dawneth: The Paradox of Progress in the Middle East".
Aus dem Englischen von Peter Lammers