Einigung ohne Konsens
Mit fast zweiwöchiger Verzögerung hat der irakische Verfassungskonvent einen Entwurf für das neue Grundgesetz unterzeichnet. Das Parlament nahm das Dokument entgegen, allerdings nur mit den Stimmen von Schiiten und Kurden. Die Sunniten lehnen das Vertragswerk trotz mehrerer Zugeständnisse weiterhin ab. Peter Philipp kommentiert.
Das war's dann wohl: Nach mehreren vertagten oder auch ergebnislos verstrichenen Terminen ist dem irakischen Parlament am Sonntag (28.8.) mit fast zweiwöchiger Verspätung ein Verfassungsentwurf vorgetragen worden.
Aber war's das nun? Wohl kaum: Die "Einigung", von der dabei gesprochen wurde, ist eine Einigung nur der Schiiten und der Kurden, während die Sunniten den Entwurf weiterhin ablehnten, ihn nicht unterschrieben haben und auch nicht an der feierlichen Zeremonie im Parlament teilnahmen.
Und dieses Parlament brauchte auch nicht - wie eigentlich vorgesehen - über den Entwurf abzustimmen: Es wurde einfach beschlossen, dass der irakische Demokratisierungsprozess sich nun wieder auf der richtigen Bahn befinde und dass das Volk am 15. Oktober über die Verfassung abstimmen solle. Um damit den Weg freizumachen für erste verfassungsmäßige Wahlen im Dezember.
Ob es dazu kommen wird, muss allerdings weiterhin bezweifelt werden. Der sunnitische Widerstand gegen diesen Verfassungsentwurf manifestiert, dass es eben doch unmöglich war und möglicherweise unmöglich bleibt, einen breiten Konsensus aller Volks- und Religionsgruppen herbeizuführen und dieses Dilemma wird wohl auch bei den kommenden Schritten entscheidend sein:
Die Sunniten lehnen den Verfassungsentwurf in erster Linie deswegen ab, weil er zementiert, dass den Sunniten nur eine Minderheitenrolle zusteht. Die Sunniten machen knapp 20 Prozent der Bevölkerung aus, sie hatten bis zur US-amerikanischen Invasion aber die Kontrolle über das Land.
Und es waren die Schiiten mit ihren 60 Prozent und die Kurden mit ebenfalls knapp 20 Prozent, die politisch rechtlos gehalten wurden.
Den Sunniten geht es nun nicht in erster Linie um die politischen "Rechte" einer Minderheit, sondern eher um die politischen "Vorrechte" der Vergangenheit: So sehen sie sich dadurch diskriminiert, dass ehemalige Mitglieder der "Baath"-Staatspartei künftig von Ämtern ausgeschlossen sein sollen und noch mehr fühlen sie sich bedroht durch die Forderung von Kurden und Schiiten nach einem föderalen System.
Die Kurden behalten im Norden ihre weit reichende Autonomie. Wenn ihnen nun aber auch die Schiiten im Süden nacheifern, dann - so behaupten die Sunniten - werde das Land zerfallen. Das muss nicht sein, aber was die Sunniten dabei am meisten beunruhigt, ist die Aussicht, dass Kurden und Schiiten künftig die Kontrolle über die Erdölvorkommen in ihren Gebieten ausüben, die Sunniten aber leer ausgehen, weil in ihren Wohngebieten keine Quellen liegen.
Wenn sich nicht doch noch plötzlich etwas ändert, werden die Sunniten deswegen versuchen, die Verfassung am 15. Oktober zu Fall zu bringen. Die Macht dazu hätten sie, denn bisher ist vorgesehen, dass der Verfassungsentwurf als abgelehnt gilt, wenn er in drei der 18 Provinzen mit Zweidrittel-Mehrheit abgelehnt wird. Die Sunniten kontrollieren vier Provinzen und sie könnten den Entwurf deswegen zu Fall bringen.
Das würde aber voraussetzen, dass sie sich am Referendum beteiligen und es nicht - wie noch die Parlamentswahlen im Frühjahr - boykottieren. Durch die Hintertür wäre dies dann doch - welch schwacher Trost - eine Beteiligung am Demokratisierungsprozess.
Peter Philipp
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Qantara.de
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