Fragen der Autonomie und der Rolle des Islam im Vordergrund

Das Ringen um die irakische Verfassung dauert an. Streitpunkte sind nach wie vor das Ausmaß der Autonomie der einzelnen Regionen und die Rolle des Islam.

Von Peter Philipp

​​Die Probleme, mit denen der Verfassungsausschuss in Bagdad zu kämpfen hatte, sind keineswegs neu: Der Irak ist nun einmal ein Staat mit mehreren Religionsgemeinschaften und verschiedenen Volksgruppen, und wie immer in solchen Fällen: Es ist nicht leicht, solch unterschiedliche Interessen auf einen Nenner zu bringen.

In der Vergangenheit war dies um einiges leichter: Im ersten Grundgesetz von 1925 und in fünf weiteren Verfassungen waren Punkte enthalten, die heute zu Unstimmigkeit und Streit führen. Und der Grund hierfür ist makabrerweise, dass frühere Verfassungen stets von totalitären Regimes erlassen wurden, diesmal aber zum ersten Mal eine freiheitliche und demokratische Verfassung entstehen soll.

Die Vereinigten Staaten, von denen diese Vorgaben stammen, haben sich damit vielleicht keinen Gefallen getan. Denn "Demokratie", das heißt auch Macht für Mehrheiten. Und die große Mehrheit der irakischen Bevölkerung, das sind - mit knapp 60 Prozent - nun einmal die Schiiten, die zum ersten Mal in der Geschichte des Landes bestimmen können.

Die nächste Gruppe sind die Kurden mit knapp 25 Prozent und auch sie fordern Rechte, die ihnen bislang immer verweigert worden waren. Die Sunniten schließlich waren bisher an der Macht, müssen sich aber damit abfinden, dass sie sich mit kleinen christlichen Gruppen künftig in der Minderheit - und politischen Bedeutungslosigkeit - befinden.

Der Irak eine Islamische Republik?

Wenn es nur so einfach wäre: Die Herrschaft der schiitischen Mehrheit könnte durchaus zu einer neuen Art Islamische Republik führen, die von den anderen Gruppen - und natürlich auch den Amerikanern - abgelehnt wird.

Deswegen aber das Gerangel darum, ob der künftige Irak auf der Scharia basieren soll, auf dem islamischen Gesetz. Und ob der Islam "die" oder nur "eine" Quelle der Gesetzgebung sein soll. In früheren Verfassungen war klar festgelegt, dass der Islam Grundlage des Gesetzes ist. Und dennoch war der Irak nach außen hin eher ein laizistischer Staat.

Auch die Frage der inneren Struktur ist aus diesen Gründen strittig: Die Kurden haben sich bereits ihre weitgehende Autonomie zusichern lassen, die sie sich in den letzten Jahren aufgebaut haben.

Versuche der Schiiten, ähnliches in ihren Gebieten im Süden des Landes zu erzielen, stoßen aber auf heftigen Widerstand der Sunniten, die hierin den ersten Schritt für das Auseinanderfallen des Staates befürchten. Die aber auch argwöhnen, dass Kurden und Schiiten künftig den Reichtum der Ölquellen kontrollieren, für die Sunniten aber nichts übrig bleibt.

Ethnische Festlegung umstritten

Dann die Frage, wie "arabisch" der Staat sein soll oder sein kann. Schon in früheren Verfassungen war festgelegt, dass der Irak ein "arabischer Staat" sei. Die nicht arabischen Kurden - oder wenigstens einige von ihnen - sind hiermit aber nicht mehr zufrieden und möchten gerne einen ethnisch nicht klar festgelegten Staat.

Obwohl doch auch ihnen klar ist, dass der Irak Teil der arabischen Welt - und der "Arabischen Liga" - ist und die Mehrheit der Iraker daran auch nichts ändern möchte.

Der letzte zentrale strittige Punkt ist die Frage, ob eine Zweidrittelmehrheit in drei Provinzen tatsächlich in der Lage sein darf, die Verfassung aufzukündigen: Die Kurden nämlich könnten eine solche Mehrheit zu Stande bringen. Erst recht aber die Schiiten. Und damit wäre die Verfassung stets in Gefahr, aufgekündigt zu werden und der Chance beraubt, als Grundlage für einen stabilen Staat zu dienen.

An solch einen stabilen Staat scheinen allerdings immer weniger Iraker zu glauben. Und selbst den Amerikanern scheint diese Perspektive immer unwahrscheinlicher. Sodass sie immer mehr darauf drängen, wenigstens die einmal festgesetzten Termine einzuhalten, sich aber immer weniger um den Gehalt der Vereinbarungen kümmern.

Sonst hätten in den Verfassungsdiskussionen der letzten Wochen und Monate eigentlich ganz andere Themen die Tagesordnung beherrschen müssen. Zum Beispiel die Rolle der Frauen oder Menschenrechte und allgemeine Fragen der Demokratie.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

Qantara.de

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