Eine Stadt hat Durst
"Ich verbringe Stunden vor diesem kleinen Brunnen, nur um ein paar Liter Wasser zu bekommen. Es ist kaum genug zum Trinken… Ans Baden denken ich nicht mehr. Das ist für mich und die Kinder zu einem Traum geworden", sagt Aisha (45) eine Hausfrau, die im sogenannten "durstigen Viertel" von Zagora die Wasserkrise am eigenen Leib zu spüren bekommt.
Wasserknappheit hat die Menschen der Oasenstadt und gleichnamigen Provinz in Südmarokko, die an der algerischen Grenze liegt, heimgesucht. Aisha erzählt: "Stundenlang stehen wir vor unseren Brunnen und warten. Am allerschlimmsten geht es uns im Sommer. Wir haben nicht genug Wasser zum Trinken und Waschen, was unsere Kinder schon krank gemacht hat."
Frauen und Kinder kämpfen gegen den Durst
Die meisten Männer haben Zagora auf der Suche nach Arbeit in den größeren Städten verlassen und Frauen und Kinder zurückgelassen, die unter den Bedingungen von Dürre und fortschreitender Desertifikation gegen den Durst ankämpfen müssen.
"Unsere Männer sind ausgewandert um sich einen Lebensunterhalt zu verdienen und wir Frauen müssen die steigende Hitze und den Durst ertragen", sagt Fatima (60) aus dem "durstigen Viertel" Zagoras. "Wir denken an nichts anderes als Wasser. Das ist das Ein und Alles für uns…Es ist ein tägliches Ringen."
Es war im "durstigen Viertel", wo 2017 der erste Funkte der "Durst-Proteste" der Provinz Zagora übersprang. Die Menschen zogen auf die Straßen, um ihr Recht auf Trinkwasser einzufordern. Damals wurden 23 Teilnehmende verhaftet und von der Staatsanwaltschaft angeklagt, "sich versammelt und an einem nicht genehmigten Protestmarsch teilgenommen zu haben".
Klimawandel
Dieser Krise tritt der Verein der Umweltfreunde Zagoras entgegen. Sie suchen nach umweltfreundlichen Lösungen, um den Menschen in Zagora und Umgebung Trinkwasser zugänglich zu machen. "Wir haben Seminare und Studientage zur Wasserkrise organisiert, aus denen Empfehlungen, Ideen und Perspektiven gewonnen wurden, die wir an die zuständigen Behörden weitergeleitet haben", sagt Jamal Aqshbab, Direktor des Vereins. Er fährt fort: "Wir haben die Anwohnerschaft über einen vernünftigen Umgang mit Wasser aufgeklärt. Den Verantwortlichen haben wir geschrieben, um sie über die gefährlichen Auswirkungen der Krise auf Menschen, Tiere und Böden der Region zu alarmieren."
Die Umweltfreunde Zagoras hielten mehrere Treffen ab, um Anwohner*innen und Verantwortliche gleichermaßen über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Region zu informieren. Zu den wichtigsten Anzeichen, erklärt Aqshbab, gehörten "Rekordtemperaturen, niedrige Niederschlagsmengen, die ansteigende Desertifikationsrate, Bodenversalzung und das erhöhte Risiko saisonaler Überschwemmungen."
Wassermissmanagement
Aqshbab sieht im demographischen Druck auf die Wasserressourcen, im Wassermissmanagement und mangelnden Gewässerschutz wichtige Gründe für die Wasserknappheit. Es gäbe keine staatliche Vision und Strategie um die bestehenden Herausforderungen anzugehen und Wassersicherheit zu erreichen, kritisiert er. "Investitionen in die Wasserinfrastruktur sind zu gering. Dazu kommt, dass die Landwirtschaft weder nachhaltig noch integriert ist, was 2017 zum Ausbruch der Demonstrationen in der Provinz Zagora geführt hat."
Auch König Mohammed VI. von Marokko hat verantwortliche Behörden bereits vor den Auswirkungen der Wasserkrise gewarnt und ihnen Richtlinien und Anweisungen gegeben, eine Einheit zur Prüfung der Lage und Bereitstellung von Trinkwasser für alle einzurichten.
Den Umweltfreunden Zagoras zufolge hat sie die Situation bereits merklich verschlimmert, da die Krise nun auch Gegenden in Nord- und Mittelmarokko erreicht habe.
Wassermelonenanbau in einer durstigen Stadt
Die trockene Halbwüstenregion Zagoras, in der die Menschen aufgrund von Trinkwassermangel und niedrigen Niederschlagsraten um ihr Überleben kämpfen, ist ausgerechnet für ihre saftig-süßen Wassermelonen berühmt, für deren Anbau große Mengen Wasser erforderlich sind.
"Es ist bekannt", sagt Jamal Iqshbab, "dass der Melonenanbau, für den große Mengen Grundwasser verbraucht werden, maßgeblich mitverantwortlich für die Durstwelle ist. Er stellt seit zehn Jahren eine Belastung für die Provinz dar."
Die Umweltfreunde Zagoras haben schon vielfach an die Behörden appelliert, den Wassermelonenanbau zu regulieren und so das Leid der betroffenen Menschen zu lindern. Die Bewohner der marokkanischen Stadt Zagora müssen mit dem Wassermangel fertig werden, der einen großen Teil ihres Lebens in Anspruch nimmt.
Trinkwasserschwund
Mit Verweis auf die Zahlen betont der Verein, dass der Anbau von Wassermelonen dieses Jahr alle Erwartung übertroffen habe: So hätten die Anbauflächen über 24.000 Hektar betragen und über eine Million Tonnen Früchte hervorgebracht. Für die Bewässerung dieser Felder seien mehr als 30 Millionen Kubikmeter Grundwasser, der Quelle für Trinkwasser, verbraucht worden.
Im Mai jeden Jahres bringt Zagora noch vor der eigentlichen Saison die Melonen, die zu 92 Prozent aus Wasser bestehen, auf die maghrebinischen und europäischen Märkte. Die Provinz Zagora erlebt während der Anbausaison nicht mehr als zwei bis drei Tage Regenfall und hat einen Jahresdurchschnitt von nur 61 Millimeter Niederschlag.
Die Umweltfreunde Zagoras berichten, sie hätten mehrmals auf die gefährlichen Auswirkungen des Melonenanbaus auf die Gegend Fayja, die als Ursprung des Trinkwassers gilt, aufmerksam gemacht. Doch auch diese Warnungen seien ignoriert worden und nun seien Brunnen ausgetrocknet und Menschen litten unter Durst.
Sicherung der Zukunft des Menschen
Die Umweltfreunde Zagoras betonen, keine Mühen gescheut zu haben, mit Seminaren, Studientagen und dringenden Appellen auf verschiedenen Verwaltungsebenen dem Melonenanbau Einhalt zu gebieten und eine Regulierung zu bewirken. Sie bedauerten es sehr, dass keine ihrer Empfehlungen und Ideen in dieser Angelegenheit bedacht worden sei. Sie fordern "ein Einschreiten, um die Wasserressourcen in den Oasen vor dem Austrocknen zu schützen und ihre exzessive Ausbeutung für den Wassermelonenanbau zugunsten der Sicherung der Zukunft des Menschen in diesen Oasen zu stoppen."
Saleh Bekkas, ein Umweltaktivist aus Zagora, hat sich wegen der Wasserkrise mit den verantwortlichen Behörden in Kontakt gesetzt und Artikel veröffentlicht, in denen er vor dem Wassermelonenanbau und dessen Folgen für Wasserressourcen warnt.
Er sagt im Gespräch mit Perspektiven: "Wieder und wieder haben wir gefordert, den Wassermelonenanbau zu rationalisieren, weil er zur Eskalation der Wasserkrise in der Region geführt hat. Noch immer warten wir auf die Reaktion des Staats auf unsere Forderungen."
Melonenanbau schadet der Umwelt
Saleh fügt hinzu: "Die Wassermelonen werden hier angebaut, nach Europa exportiert und nun fehlt es den Menschen in Zagora und Umgebung an Wasser zum Trinken… Der Melonenanbau schadet der Umwelt, dem Boden und dem Menschen."
Saleh kritisiert, dass die Behörden den Melonenanbau trotz aller Initiativen und Proteste der Zivilgesellschaft bislang nicht beschränkt hätten und dieser sich nun bereits bis in die Tata-Provinz im Südosten Marokkos erstrecke.
Staatliche Maßnahmen in der Wasserkrise
Und doch hat der Druck von Umweltaktivist*innen in Zagora den Staat und die zuständigen Behörden scheinbar wachgerüttelt und zur Ergreifung von Maßnahmen zur Abwendung der Wasserkrise gebracht.
Dazu gehören die Förderung von Grundwasserexploration sowie die Einrichtung zentraler Verwaltungsstellen für den Wassersektor in Zusammenarbeit mit dem "Agence du Bassin Hydraulique de Souss-Massa et Drâa" (ABHSMD). Zusammen haben diese Maßnahmen in den letzten fünf Jahren zu 75 Probebohrungen nach Grundwasser geführt und die Bereitstellung von Trinkwasser in ländlichen Gebieten ermöglicht.
Außerdem sind vonseiten der zentralen Verwaltungsstellen, ABHSMD und den Wasserbehörden zahlreiche Studien zur Abwasserreinigung in ländlichen Gebieten mit Gesamtkosten von zwei Millionen marokkanischen Dirham (ein EUR entspricht ca. 10,7 MAD) durchgeführt worden.
Ilhalm Al-Talbi
© Goethe-Institut/Perspektiven 2020
Ilhalm Al-Talbi ist eine marokkanische Journalistin.