Wasserstress: Der Weg ins 21. Jahrhundert
In Tunesien liegt die Verantwortung für die Trinkwasserversorgung in Stadtgebieten bei der Nationalen Gesellschaft für Wasserversorgung und -verteilung (SONEDE /Société nationale d´exploitation et de distribution des eaux) und im Landesinneren, in den früher als „ländlich“ bezeichneten Gebieten, bei der Generalverwaltung für Agrartechnik und Wassernutzung (DGGREE/Direction générale du Génie Rural et de l´Exploitation des Eaux).
Da Tunesien sich der Notwendigkeit des Umweltschutzes bereits früh bewusst war, wurden noch vor der Gründung des Umweltministeriums entsprechende Einrichtungen geschaffen und verschiedene Gesetze und Regeln erlassen, die das Abführen von Abwasser und Abfällen in die Umwelt reglementieren.
2016 lag die Trinkwasserversorgung auf nationaler Ebene bei einer Rate von 97,7 %, womit Tunesien im nordafrikanischen Vergleich an erster Stelle stand. Im Landesinneren lag der Durchschnitt 2014 jedoch bei 92,2 %. Es besteht ein starkes Gefälle, bis hin zu vollständig augetrockneten Zonen wie dem Gouvernorat Kasserine, wo mehr als 12.000 Menschen keinen Zugang zu Wasser haben. In Dürreperioden wird die Wasserversorgung sogar im Stadtgebiet zum Problem.
Um die Lebensbedingungen der Gesamtbevölkerung zu verbessern, fördert die tunesische Politik die Entwicklung des Abwassersektors. Vor allem ermöglich sie die Wiederverwertung von Nebenprodukten der Wasseraufbereitung (Trockenschlamm als Landwirtschaftsdünger und zur Stromerzeugung oder einfach als Gas zum Kochen).
Die staatlichen Subventionen haben zu signifikanten Verbesserungen bei der städtischen Sanitärversorgung geführt, jedoch nicht im Landesinneren. Insgesamt stieg der Anteil der Privathaushalte, die ans Abwassernetz angeschlossen sind, von 73,8 % im Jahr 2004 auf 89,86 % im Jahr 2015 (ebenfalls oberhalb der geschätzten regionalen Rate).
Zustand der Wasserressourcen und der Umwelt
Tatsächlich ist Tunesien arm an konventionellen Ressourcen wie Wasser. Da das Land größtenteils aus trockenen Gebiete besteht, liegt die Wassermenge pro Jahr und Einwohner seit mehr als 30 Jahren unterhalb des absoluten Wassermangels (500 m3/Jahr/Einwohner).
Derzeit werden 92 % des Potenzials der Oberflächengewässer genutzt, was die Ökosysteme belastet, die die Ressource als erste nutzen. Ein Beispiel: Um den See Ichkeul herum wurden an den sechs Hauptflüssen sechs große Staudämme gebaut, die dem See die Ressourcen entzogen, die ihn zuvor im Gleichgeweicht gehalten hatten, und die von ihm abhängige Zugvogelpopulationen deutlich verringerten.
Außerdem wurden in den letzten 25 Jahren 1000 Millionen Dinar für Wasser- und Bodenschutzmaßnahmen eingesetzt, wie Umleitungen und die Schaffung von Überschwemmungsflächen. Diese Arbeiten hatten die Steigerung der Agrarproduktion durch die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und der Verringerung des Bodenverlusts zum Ziel. Ebenso wurden damit Erosionen und die Risiken von Sedimentablagerungen an den Staudämmen vermindert. Nichtsdestotrotz sind heute 3,5 Millionen Hektar durch Erosion bedroht, und jedes Jahr entsteht durch die Sedimentation der Staudämme ein Verlust von 25 Millionen m3 Wasser.
Es muss daran erinnert werden, dass der Boden als Wasserreservoir von größter Bedeutung für die regenabhängige Landwirtschaft und somit für die tunesische Wirtschaft ist, denn von den 36 Milliarden m3 Wasser, die Tunesien im Durchschnitt pro Jahr erhält, haben nur 4,2 km3 Erneuerungspotenzial, während 11,5 km3 Regenwasser von Böden, Wäldern und Weideland zurückgehalten werden.
Mehr als 4/5 des bereitgestellten Wassers (82%) werden in der Bewässerungslandwirtschaft verwendet, die nur 4% der Agrarfläche ausmacht. Außerdem stammen 80 % ihres Bedarfs aus Grundwasser, wo eine alarmierende Übernutzung aufgrund der vermehrt vorkommenden widerrechtlichen Bohrungen zu beobachten ist. Diese führen zu einer Verschlechterung der Grundwasserqualität (durch Meeresbohrungen beispielsweise) und so zur Versalzung der Böden.
Keine flächendeckende Entsorgung des Abwassers
Da das Abwasser im Landesinneren nicht flächendeckend entsorgt wird, wird es in die Natur abgeführt (in Wadis usw.). Außerdem liefern nur 50 % der Aufbereitungsanlagen Wasser, das den Einleitungsnormen entspricht, sodass die Umwelt und sogar das Meer, wohin das Wasser aus den Haushalten letztendlich abgeleitet wird, verschmutzt werden.
Es ist wichtig anzumerken, dass zwei bedeutende Komponenten oft außen vor gelassen werden, wenn es um Wasserstress in Tunesien geht: Zum einen lebt es sich nicht nur von Grundwasser oder von Wasser, das durch Staudämme verfügbar gemacht wurde, sondern man braucht das Regenwasser, das im Boden gespeichert wird und für den Regenfeldbau oder die Weideflächen zur Verfügung steht.
Die zweite Komponente betrifft den gesamten Wasserbedarf Tunesiens, der durch die Einfuhr verschiedener Agrarerzeugnisse (wie Weizen, Zucker usw.) und anderer Produkte, die nicht im Land selbst produziert werden, sichergestellt wird. Dieses durch kommerziellen Handel importierte Wasser deckt 1/3 des gesamten tunesischen Wasserbedarfs. Zudem liegt der Gesamtwasserbedarf des Landes 65% über dem globalen Durchschnitt, was auf große Verschwendung auf den verschiedenen Ebenen der Produktionskette hinweist. Dem Nationalen Verbraucherinstitut zufolge kostet die Lebensmittelverschwendung jeden Tunesier 68 Dinar im Monat, was 18% Prozent der Lebensmittelkosten entspricht.
Der Klimawandel als zusätzliche Herausforderung
Die Anfälligkeit der tunesischen Wasserversorgung und die Abhängigkeit der Wirtschaft von Regenwasser werden durch die direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf die stark wasserabhängigen Wirtschaftszweige und die bereits durch Anthropisierung und die damit einhergehende Verschmutzung geschwächten Ökosysteme verstärkt. Die Klimasimulationen des nationalen meteorologischen Instituts besagen, dass in einem Durchschnittsszenario mit einem Temperaturanstieg von mehr als 1 Grad Celsius bis 2050 und von mehr als 2 Grad bis 2100 zu rechnen ist. Die Niederschlagsrate könnte bis 2100 um 20 % sinken. Extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen dürften sich in Zukunft häufen.
Die Verfügbarkeit von Wasser ist somit stark gefährdet. Durch den Temperaturanstieg kommt es zu einer schnelleren Verdunstung der Wasserreservoirs, zur Austrocknung der Böden und einem erhöhten Wasserbedarf in allen Bereichen. Die sinkende Niederschlagsrate und die Zunahme von Dürreperioden haben drastische Auswirkungen auf die Neubildung von Grundwasser, die Verfügbarkeit von Trinkwasser und die Bewässerung, aber auch auf den Regenfeldbau.
Diese Situation hat zu einer widerrechtlichen Nutzung des Gemeinguts Wasser geführt und sogar zur Bewässerung mit Rohabwasser, zur Entstehung eines Trinkwassermarktes und zur Zunahme von Konflikten um Ressourcen. In Dürrezeiten wurde eine deutliche Verschlechterung der Wasserqualität festgestellt, mit gefährlichen gesundheitlichen Folgen. Die Entsalzung von Meerwasser (4 Entsalzungsanlagen sind im Bau) reicht allein nicht aus, um die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten und gilt als Ursache für eine zusätzliche Verschmutzung der Meere mit unkontrollierbaren Folgen.
Was zu tun ist
Für einen an den Klimawandel angepassten Plan bedarf es einer Reform des Verwaltungsmodells und eine Erneuerung der derzeitigen Infrastruktur noch vor der Frischwassergewinnung. Da der Zugang zu Trinkwasser ein Grundrecht ist, ist es vorrangig, dieses Recht für alle Bürger zu sichern.
Dass Wasser zu einem Preis verkauft wird, der eine kostendeckende Produktion unmöglich macht, ist für die Regierung eine große Herausforderung. Wasser ist die Grundlage für menschliches Leben, doch es müssen innovative technische und finanzielle Mechanismen gefunden werden, um diese Grundlage zu schützen, indem z.B. die Lebensmittelverschwendung eingedämmt wird und manipulationssichere Wasserzähler zur Nutzungsüberwachung angebracht werden.
Die Erhöhung des Wassertarifes hindert die Regierung nicht daran, für die schwächeren Bevölkerungsgruppen Zuschüsse zu garantieren. Ebenso wichtig ist eine Agrarpolitik, die die Nutzung jeden Tropfen Wassers im Bewässerungssektor optimiert und aufwertet, sich aber auch um Lösungen für den Regenfeldbau, der stark vom Klima abhängt, bemüht.
Eine gesicherte Wasserversorgung bedeutet auch Sicherheit für den Staat. Insofern ist es wichtig, die Gesamtsteuerung der Wasserressourcen auf einer höheren Ebene anzusiedeln (bei der Präsidentschaft des Gouvernements oder sogar der Republik), als die des Ministeriums für Landwirtschaft, die als Hauptkonsument nicht allein die optimale Verwaltung der Ressource garantieren kann.
Dr. Raoudha Gafreg
© Goethe-Institut Perspektiven 2020
Übersetzung: Sina de Malafosse
Die Autorin ist eine internationale Expertin auf dem Gebiet des integrierten Wasserressourcenmanagements und der Anpassung an den Klimawandel und eine zertifizierte Ausbilderin in diesen Bereichen. Seit 17 Jahren ist sie als Universitätsdozentin und Forscherin an der Universität Tunis El Manar tätig. Sie war an der Entwicklung verschiedener nationaler und regionaler Strategien u.a. für den Bereich Wasser, nachhaltige Ökonomie, Anpassung von Landwirtschaft und Ökosystemen an den Klimawandel und nationale Strategien für nachhaltige Entwicklung beteiligt. Sie war auch an der Entwicklung verschiedener regionaler Strategien und an Buchprojekten zum Thema Steuerung von Wasserressourcen oder Anpassung an den Klimawandel in Zusammenarbeit mit verschiedenen technischen und finanziellen Partnern beteiligt, u.a. Weltbank, IDB, AfDB, AFD, GIZ , International Alert, WWF-NA.