Vom Geschenk Gottes zum kostbaren Wirtschaftsfaktor
Annely Korte sitzt in ihrem einfach möblierten Büro bei den Damaszener Wasserwerken und plant einen Workshop zum Thema Abwasser. Die insgesamt vier großen Kläranlagen in Syrien würden nicht effektiv genug gewartet, sagt Korte. "Statt im Vorfeld etwas zu tun wird man erst aktiv, wenn ein Havariefall eintritt", erklärt die 47-Jährige, die für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) in Syrien arbeitet.
Ein deutscher Kläranlagen-Spezialist soll den syrischen Kollegen nun zeigen, wie sie mit Hilfe von Routine-Kontrollen, regelmäßiger Reinigung und einem Ersatzteillager Notfälle verhindern können.
Fünf Minuten Fussmarsch von Kortes Arbeitsplatz im Zentrum von Damaskus entfernt fließt der Barada oder das, was von dem Fluss übrig geblieben ist: ein schmales stinkendes Rinnsal. Der Barada speist sich aus dem Antilibanongebirge und macht Damaskus zu einer fruchtbaren Oase inmitten der Steinwüste.
Früher floss sein klares Wasser durch grüne Gärten und Obstplantagen – daher Damaskus' Beiname "Paradies auf Erden". Mitte des 20. Jahrhunderts reichte sein Wasser für die rasch wachsende Bevölkerung nicht mehr aus und überall im Stadtgebiet entstanden illegale Brunnen, die den Grundwasserspiegel absinken ließen. Bis heute versickern Abwässer ungefiltert im Boden und verseuchen das Grundwasser.
Wasserhungrige Zuckerrüben
Was nicht nur in Damaskus, sondern in ganz Syrien fehle, sei ein effektives Management der Wasserressourcen, meint Johannes Wolfer, der im Auftrag der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) im Umland von Damaskus arbeitet. Syrien habe im regionalen Vergleich verhältnismäßig viel Wasser, so der Hydrogeologe, es sei nur sehr ungleich verteilt und müsse deshalb besser genutzt werden. Kostbares Trinkwasser dürfe weder zum Autowaschen noch zum Bewässern von Obstbäumen verwendet werden.
"Langfristig muss sich Syrien von der Agrarwirtschaft wegorientieren", meint der Deutsche. Denn im Vergleich zur Landwirtschaft lässt sich in der Industrie, im Tourismus und im Dienstleistungssektor mit weniger Wasser mehr Gewinn erzielen.
Auch Majid Daud, ein syrischer Ingenieur, der in Deutschland studiert und dreißig Jahre lang für das Bewässerungsministerium in Damaskus gearbeitet hat, kritisiert die Wasserverschwendung in der Landwirtschaft.
Weil die Regierung möglichst unabhängig von Nahrungsmittelimporten sein will, bauen syrische Bauern zum Beispiel Zuckerrüben an, die extrem viel Wasser verbrauchen. Ein Kilo syrischer Zucker koste jedoch fünfmal so viel wie auf dem Weltmarkt, erklärt Daud, deshalb sollte das Land Zucker importieren statt ihn selbst zu erzeugen.
Wasser: Ein Geschenk Gottes
Umdenken muss auch der syrische Verbraucher, der bis vor kurzem einen Cent pro Kubikmeter Wasser bezahlte. Da die Regierung damit nur die Hälfte der Versorgungskosten decken konnte, führte sie ein neues Preissystem ein: Seit 1. November 2007 kosten die ersten 15 Kubikmeter jeweils 3,5 Cent, wer mehr verbraucht, muss schrittweise das Drei- bis Zwölffache bezahlen.
Dass die Preiserhöhung so lange auf sich warten ließ, hat laut Majid Daud auch kulturelle Gründe. "Traditionell betrachten Syrer Wasser als ein Geschenk Gottes", so der Ingenieur, "und dafür darf man kein Geld kassieren."
Umgekehrt sollte man eine göttliche Gabe aber auch nicht verschwenden, argumentiert Ute Al Tayep, die für den DED in der nordsyrischen Stadt Aleppo arbeitet und seit Monaten versucht, ihre Nachbarn von einer sparsameren Reinigungstechnik des Treppenhauses zu überzeugen.
"Beim Putzen wird das Haus von oben bis unten mit dem Schlauch abgespritzt", erzählt die 29-Jährige. Dabei steht die Stadt vor einem großen Versorgungsproblem. Im Gegensatz zu Damaskus hat Aleppo keine eigene Quelle, sondern bezieht sein Wasser aus dem 120 Kilometer entfernten Euphrat. Die 2004 gebaute Transportleitung würde beim jetzigen Bedarf der Millionenstadt schon 2009 nicht mehr ausreichen, deshalb soll der Wasserverbrauch pro Einwohner von 130 auf 80 Liter pro Tag gesenkt werden.
Aufklärungskampagne mit Imamen
Al Tayep startete mit einem Team der Wasserwerke eine Aufklärungskampagne, die sich an Privathaushalte, Behörden, Schulen und religiöse Führer wendet. Das Interesse und die Unterstützung der etwa einhundert Imame Aleppos haben die Deutschen beeindruckt: "Wir mussten den Workshop zwischen den Gebeten abhalten, denn die Imame mussten pünktlich zurück in ihre Moscheen, um das Mittagsgebet anzuleiten", so die junge Frau.
Mit ihren Mitarbeitern ist Al Tayep zufrieden, auch wenn sie sich an deren flexible Arbeitszeiten gewöhnen musste. Da Beamte in Syrien nur etwa 120 Euro monatlich verdienen, haben sie in der Regel weitere Jobs, um die Familie ernähren zu können. In den Wasserwerken arbeiten sie deshalb nur drei bis vier Stunden, so dass die deutsche Expertin regelmäßig alleine dasteht.
"Man muss das akzeptieren", sagt Al Tayep. Als Deutsche darauf zu bestehen, dass die Leute von 8 bis 15 Uhr anwesend sind, bringe nichts, meint sie. "Dann würde niemand mit mir zusammenarbeiten." Stattdessen erwarte sie, dass ihr die Kollegen wenigstens Bescheid sagen, wann sie kommen und gehen, damit sie planen könne.
Während Al Tayep wie die meisten deutschen Experten über Syriens Bürokratie klagt, läuft die Zusammenarbeit mit den Behörden bei Annely Korte in Damaskus "einwandfrei".
Auch der persönliche Umgang mit den Syrern klappe gut, betont die 47-Jährige. Sie soll ein landesweites Ingenieurnetzwerk aufbauen und hat dabei im sozialistischen Syrien oft mit weiblichen Ingenieuren zu tun. Als Frau werde sie ernst genommen und respektiert, sagt Korte.
Was Vorurteile betrifft sieht sie keinen Unterschied zwischen deutschen und syrischen Männern. Auf die besorgte Nachfrage ihrer männlichen Kollegen in Deutschland, wie sie denn mit den Arabern klarkomme, hat die Ingenieurin deshalb eine einfache Antwort: "Araber? Das sind doch auch nur Männer."
Kristin Helberg
© Qantara.de 2008
Fotos: Isabel Schlerkmann, Baraa Kellizy
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