Politisch im Abseits?
Jahrelang wurden die Palästinenser vom Westen und von Israel gedrängt, freie und demokratische Wahlen abzuhalten. Als sie es aber schließlich taten – am 26. Januar 2005 –war das Ergebnis nicht so, wie man es sich erhofft hatte: Statt der gemäßigten PLO von Arafat-Nachfolger Mahmoud Abbas siegte die islamistische Hamas-Bewegung. Peter Philipp informiert.
Die Wahlen sollten nach Meinung der Amerikaner, der EU und auch Israels den Palästinensern Gelegenheit geben, sich für den geplanten eigenen Staat zu qualifizieren und ihren Willen zum Frieden zu bekräftigen, der die Oslo-Abkommen und – in der Folge – die palästinensische Autonomie in der Westbank und im Gazastreifen ermöglicht hatte.
Dieser Weg war auf palästinensischer Seite ermöglicht worden durch die PLO unter der Führung Yasser Arafats. Ihm widersetzt war von Anfang an die Hamas, eine radikal-islamische Bewegung, die ihre Wurzeln in der ägyptischen Muslimbruderschaft hat.
Nach dem Tode Arafats im Jahr 2004 hielt Nachfolger Abbas den Zeitpunkt für Wahlen günstig, er sollte sich aber geirrt haben: Die PLO unterlag den Islamisten, die sich erst später überhaupt zur Teilnahme durchrangen.
Der Schock bei der eben noch siegessicheren PLO war groß. Aber man wusste, dass der Hauptgrund nicht in der Frage des Friedensprozesses lag, sondern darin, dass die PLO abgenützt war, dass sie unter Korruption litt und dass die Palästinenser eine neue Führung wollten.
Eine gewisse Stagnation
Abdallah Frangi, ehemaliger PLO-Botschafter in Deutschland und heute Führungsmitglied der Fatah und der PLO, stellte bereits kurz nach den Wahlen ernüchtert fest:
"Wir brauchen Reformen. Wir haben eine gewisse Stagnation. Die letzten zehn Jahre hat man mehr Interesse gewidmet für die Posten innerhalb der Regierung anstatt für die Arbeit in der Partei. Und das ist der Grund, warum unsere Bewegung vernachlässigt worden ist und warum wir in diesem miserablen Zustand leben."
Der Schock im Westen war vielleicht sogar noch größer: Man hatte sich eine Liberalisierung der palästinensischen Gesellschaft erhofft, statt dessen drohte nun erst recht eine Verhärtung der Fronten. Besonders, weil die Hamas schon in ihren Statuten festgelegt hat, den Staat Israel nie anzuerkennen und seine Zerstörung anzustreben.
Verhandlungen ratsam
Die Hamas wird von den USA und der EU als Terrororganisation betrachtet. Und seit dem Wahlsieg kam es für beide nicht in Frage, mit einer Hamas-geführten Regierung Beziehungen zu unterhalten.
Vor allem aber: Offizielle Hilfe würde künftig nicht mehr von Regierung zu Regierung geleistet, sondern nur noch direkt an die Bedürftigen, soweit das unter Umgehung der Regierung möglich wäre. Sogar ein Mann wie Abdallah Frangi sah darin einen schwerwiegenden Fehler:
Wenn man jetzt die Gewinner – und das sind in diesem Fall die Hamas – auf diese Art und Weise bestraft, weil sie gewonnen haben, dann erstickt man diesen demokratischen Prozess im Keime. Ich glaube, das Beste wäre, dass man weiter mit Hamas verhandelt – seitens der Europäer – und die Hamas-Führung unter Druck setzt, damit sie keine andere Möglichkeit sieht als die politische Linie zu übernehmen, die vorher vorgeschrieben war."
Blockadehaltung
Auf solche Ratschläge ließ man sich im Westen nicht ein, in Israel schon gar nicht. Man war und ist überzeugt, dass die Hamas nicht bereit ist zur Kehrtwende und zur Aufnahme einer konzilianteren Haltung gegenüber Israel.
Zeugnis dafür sind nicht nur die Statuten der Organisation und die Erklärungen ihres im syrischen Exil lebenden Führers Khaled Maschal, sondern auch Interviews und Reden von Hamas-Politikern in der Westbank und im Gazastreifen.
Allen voran, der gewählte Ministerpräsident, Ismail Haniyeh, der sich mit radikalen Äußerungen zwar meist zurückhält, im Herbst 2006 aber in einer Versammlung in Gaza die Ziele seiner Organisation vor Abertausenden verkündete, man werde Israel nie anerkennen.
Die Hamas unterstütze die Einrichtung eines palästinensischen Staates auf palästinensischem Boden, so Haniyeh, einen palästinensischen Staat auf dem Gebiet von 1967 - mit Jerusalem als Hauptstadt, der Freilassung der Gefangenen und der Rückkehr der Flüchtlinge. "Dies unterstützen und akzeptieren wir, aber nur für einen Waffenstillstand und nicht für die Anerkennung Israels und die Aufgabe des Landes unserer Väter und Vorväter", so Haniyeh.
Konfrontationskurs
Die neue Hamas-Regierung war nicht bereit, die Oslo-Abkommen zu respektieren oder einem Friedensprozess zuzustimmen. Es bedurfte also keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, dass unter einer solchen Führung keine Ruhe einkehren würde mit Israel und dass Frieden unmöglich würde.
Immer häufiger kam es deswegen auch zu Machtkämpfen und offenen Auseinandersetzungen zwischen PLO und der Hamas.
Besonders im Gazastreifen, den Israel im Herbst 2005 geräumt hatte und wo die Hamas traditionell stärker vertreten war. Bewaffnete Zwischenfälle mit israelischen Truppen, die Entführung eines Soldaten, wiederholte Militäroperationen der Israelis im Gazastreifen verschärften die Lage ebenso wie die immer häufiger werdenden Raketenangriffe auf Israel aus dem Gazastreifen heraus.
Mitte Juni 2007 dann der offene Machtkampf: Die Hamas übernimmt in Gaza die Kontrolle und vertreibt die Vertreter von PLO-Präsident Abbas. Dieser wiederum setzt in der Westbank eine eigene Regierung ein und versucht, den Friedensprozess wieder aufzunehmen.
Das Ausland unterstützt ihn dabei, Israel hingegen tut kaum etwas: Der Ausbau von Siedlungen im palästinensischen Gebiet sabotiert die Friedensbemühungen, ebenso massive Restriktionen, die Israel gegen den Gazastreifen verhängt.
Wie schon bei früheren Gelegenheiten hofft die Regierung Olmert, eine Lösung erzwingen zu können, statt dessen treibt sie die notleidende Bevölkerung der Hamas wohl erst recht in die Arme.
Und auch Präsident Abbas – von Olmert, George W. Bush und den Europäern hofiert als palästinensischer Hoffnungsträger, wird das Leben schwer gemacht: Je größer Not und Verzweiflung im Gazastreifen, desto geringer der Glaube an den Friedensprozess.
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE 2008
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