"Ich bin total wütend“
Mahsa Amini wäre am 21. September 23 Jahre alt geworden. Sie wurde verhaftet, weil sie angeblich ihren Hijab nicht richtig getragen hat. Warum, glauben Sie, starb sie dafür in Polizeigewahrsam?
Parastou Forouhar: Es ging nicht mal um die Weigerung, einen Hijab zu tragen, sondern nur darum, dass Mahsa Amini ihn nicht richtig getragen haben soll! Deswegen wurde sie misshandelt und furchtbar zusammengeschlagen.
Nun gehen Frauen aus Protest auf die Straße. Sie weigern sich, den Hijab zu tragen und verbrennen ihre Kopftücher in aller Öffentlichkeit. Einige Frauen wurden in den letzten Tagen sogar erschossen.
Was macht das mit Ihnen?
Forouhar: Es macht mich total wütend, rasend wütend, aber auch zutiefst traurig, dass junge Menschen so einer Brutalität ausgesetzt sind und dieser Gewalt überhaupt nicht entkommen können. Es ist wie eine Falle. Diese religiöse Diktatur ist einziges Regelwerk aus Bevormundung. Generation um Generation versuchen die Iraner jetzt schon, ihre Selbstbestimmung zu erlangen - und scheitern immer wieder an der Brutalität des Regimes.
Eine Revolution der Frauen gegen die Mullahs?
Sie haben in dieser Hinsicht schon sehr viel miterlebt und erlitten. Ihre Eltern wurden aus politischen Gründen 1998 ermordet. Was befürchten Sie in der jetzigen Situation?
Forouhar: Ich bin sehr besorgt. Besonders, weil das Regime Internetdienste wie zum Beispiel WhatsApp gesperrt hat. So wollen sie das Land international isolieren, damit keine Nachrichten nach außen dringen. Immer wenn es Proteste gibt, plant die Regierung eine noch härtere Unterdrückung, Massenverhaftungen oder lässt wahllos in die Menge schießen. Die Sicherheitskräfte werden immer noch brutaler, um die Wut zu ersticken.
Am Mittwoch (21.9.2022) ging es damit los, dass Aktivisten, bekannte Aktivisten, die noch nicht einmal bei Demonstrationen dabei waren, in ihren Wohnungen verhaftet wurden. Sicherheitskräfte haben ihre Wohnungen gestürmt und sie einfach mitgenommen. Das war wirklich sehr gewaltvoll. Über das Schicksal dieser Aktivisten gibt es bisher keine Nachrichten.
Die britisch-iranische Schauspielerin Nazanin Boniadi schrieb auf Twitter, 1979 habe es eine Revolution gegen die Frauen gegeben. Und was wir heute sehen, sei eine Revolution, die von Frauen angeführt werde. Wie sehen Sie das?
Forouhar: Ich glaube, viele Iraner, die sich 1979 an der Islamischen Revolution beteiligt haben, dachten nicht, dass es sich um eine Revolution gegen die Frauen handelt. Sie sind in der Hoffnung auf Freiheit, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit auf die Straße gegangen, doch sie wurden von den religiösen Kräften überrumpelt. Trotz der Proteste der iranischen Zivilgesellschaft konnten diese die Macht an sich reißen.
Die Aussage von Boniadi ist eine Verkürzung. Doch das Regime ist in jedem Fall besonders frauenfeindlich. Es hat eine Art Apartheidsystem gegen Frauen eingeführt, die nicht die gleichen Rechte haben sollen wie Männer.
Ein Gefühl der Ohnmacht
Sie leben schon lange hier in Deutschland im Exil. Was tun Sie gegen die Ohnmacht? Gegen die Wut?
Forouhar: Ich versuche, jedes Jahr zum Todestag meiner Eltern, Parvaneh und Dariush Forouhar, in den Iran zu fahren. Auch wenn es gefährlich ist, weil mich ein iranisches Gericht in Abwesenheit zu sechs Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt hat. Trotzdem bin ich im letzten Jahr wieder hingefahren.
Für mich ist diese Reise immer ein Akt des Widerstands, um die Erinnerung aufrecht zu erhalten und auf Gerechtigkeit zu beharren. Außerdem tue ich, was ich kann, um die derzeitigen Ereignisse im Iran bekanntzumachen und davon zu berichten, um die Menschen vor Ort zu unterstützen. Eine Veränderung muss von innen kommen, doch demokratische Länder können diese Bewegung im Iran unterstützen.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es dieses Mal anders ausgeht?
Forouhar: Oh, das ist eine schwierige Frage. Jedes Mal mache ich mir große Hoffnungen, weil die Menschen so mutig auf die Straße gehen. Es ist beinahe erhaben, was Proteste hervorbringen können. Der menschliche Wille und die Vision, durch Widerstand ein besseres Leben für sich und die Gesellschaft herbeizuführen, begeistern mich. Aber die Erfahrung der Repression sitzt tief. Man hat ständig Bilder von der Regime-Brutalität im Kopf.
Viele Exil-Künstlerinnen melden sich auch in den sozialen Medien zu Wort. Sie versuchen, den Kolleginnen vor Ort eine Stimme zu verleihen. Was können Sie als Künstlerin beitragen?
Forouhar: In solchen Momenten bin ich vor allem Aktivistin, eine Bürgerin, die die Aufgabe hat, diesen Kampf weiterzutragen. Es geht in erster Linie darum, für diese Menschen und für ihre Botschaften und Eindrücke einen Resonanzraum zu schaffen. Eine solche Krise macht aus mir eine Aktivistin. Später werden diese existenziellen Erlebnisse sicher auch in meine künstlerische Arbeit einfließen.
Das Gespräch führte Julia Hitz.
© Deutsche Welle 2022
Website der Künstlerin: www.parastou-forouhar.de