Frauenzeitschrift im Visier der konservativen Justiz
Einzelheiten von Martin Gerner
Hinter der Verurteilung des Herausgebers der Zeitschrift "Huquq-e san" ("Frauenrechte") stehen Kräfte aus Justiz und Geistlichkeit. Ali Mohaqiq Nasab, der Verurteilte, war am 1. Oktober festgenommen worden, nachdem in der von ihm verantworteten Zeitschrift geschrieben stand, dass Apostasie, also die Abkehr vom Islam, kein Verbrechen sei, welches mit dem Tod bestraft werden sollte. Radikale Auslegungen der Scharia, wie etwa im Iran, befürworten hingegen dies.
Ein weiterer Artikel in der Zeitschrift wandte sich gegen die Praxis, Ehebruch mit 100 Peitschenhieben zu bestrafen und forderte, Männer und Frauen vor dem islamischen Recht als gleichberechtigt zu betrachten.
Pressefreiheit auf tönernen Füßen
Die Gegner Nasabs hatten für seine Ergreifung kurzerhand das Recht außer Kraft gesetzt. Nach dem seit März 2004 geltenden Medienrecht muss zunächst eine Medienkommission, in der unabhängige Journalisten, Menschenrechtler, Wissenschaftler und Geistliche sitzen, den Fall begutachten und eine Empfehlung aussprechen. Diese ist für das Gericht allerdings nicht bindend.
Nasab dagegen war auf der Straße verhaftet worden. "Es war wie eine Art Kidnapping", kritisiert ein Kommentator, "nicht mal die Polizei war richtig informiert." Zweimal vor seiner Verurteilung musste der Journalist vor Gericht erscheinen.
Das zweite Mal wurde er in Ketten und Handschellen vorgeführt, sein Kopf war glatt rasiert. "Er wurde wie ein Drogen-Dealer oder Massenmörder zur Anklagebank geführt", meint ein Beobachter.
Diese Bilder wurden im afghanischen Fernsehen gezeigt. Präsident Hamid Karsai ordnete daraufhin umgehend die Freilassung des Inhaftierten an. Anders als noch vor zwei Jahren, als zwei Journalisten unter ähnlichem Vorwand verhaftet worden waren, scheiterte dieses Mal Karsais Intervention.
Nichts verdeutlicht besser wie zerbrechlich das neue Verfassungsgut Presse- und Meinungsfreiheit vier Jahre nach dem Fall der Taliban in der Wirklichkeit ist.
Unklare Kriterien für Blasphemie
Am Problematischsten für afghanische Journalisten ist, dass es für Blasphemie und Verunglimpfung des Islams in den Medien keine auch nur annährend klaren Kriterien gibt. Vieles ist der freien Interpretation überlassen.
Konservative Geistliche und Mullahs hatten jüngst den privaten Fernsehsender "Tolo TV" scharf angriffen, weil dort Moderatorinnen auftreten die sich an Vorbildern westlicher TV-Shows orientieren. Der Rat der Ulama, die höchste geistliche Instanz, denkt seitdem sogar über ein eigenes Fernsehen nach – eine Art religiöses Gegenprogramm.
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen", das Komitee zum Schutz von Journalisten sowie die unabhängige afghanische Menschenrechts-Kommission haben mittlerweile die sofortige Freilassung Nasabs gefordert. Auch die UNO zeigte sich besorgt.
Ein Freund des Herausgebers, der von einer angeblichen Kontaktsperre zu dem Inhaftierten berichtete, fürchtet sogar um das Leben des Herausgebers.
"Die Zeitschrift Huquq-e san existiert jetzt seit einigen Jahren", sagt Robert Kluyver vom "Open Society Institute" in Kabul, "und obwohl allen Artikeln eine kritische Grundhaltung innewohnt, waren sie immer gut recherchiert, nie diffamierend. Die Auswahl der Themen und die qualifizierte Art und Weise, wie über Dinge geschrieben wurde, hätte sämtlichen islamischen Ländern Genüge getan", so Kluyver.
Maulkorb für unabhängige Medien
Nasab hat drei Wochen Zeit, um gegen das Urteil in Revision zu gehen. Derweil fordern afghanische Journalistenverbände Änderungen am Medien-Gesetz: "Wir können immer noch nicht frei über Themen mit Islam-Kontext schreiben und über Religion. Das muss sich ändern", sagt Rahimullah Samander, Vorsitzender der Vereinigung unabhängiger Journalisten. Ansonsten befürchte er wachsende Selbstzensur unter Afghanistans Journalisten.
Für Robert Kluyver ist dies ein beunruhigender Präzedenzfall. "Es fehlen gesetzliche Vorschriften in Afghanistan und deren Einhaltung. Sollte Nasab frei kommen gibt es keinerlei Gewähr dafür, dass sich in ein paar Monaten nicht ein anderer Journalist wegen Blasphemie vor dem höchsten Gericht verantworten muss."
Nach einer aktuellen Untersuchung nehmen Belästigung, Bedrohung und Einschüchterung von Journalisten in Afghanistan zu. Dahinter stecken vielfach bewaffnete Milizen oder Regierungsvertreter. Und dass, obwohl sich Präsident Karsai sowie mehrere seiner Minister in der Vergangenheit mehrfach für Medienfreiheit in Afghanistan stark gemacht hatten.
Martin Gerner
© Qantara.de 2005
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