Ein Opfer politischer Machtspiele?

Ein Gericht in Mazar-e Scharif hat einen afghanischen Journalisten wegen "Beleidigung des Islam" zum Tode verurteilt. Journalisten- und Menschrechtsorganisationen sind empört. Sie werfen den Behörden Willkür und Machtmissbrauch vor. Von Ratbil Shamel

Ein Gericht in Mazar-e Scharif hat einen afghanischen Journalisten wegen "Beleidigung des Islam" zum Tode verurteilt. Journalisten- und Menschrechtsorganisationen sind empört. Sie werfen den Behörden im Norden Afghanistans Willkür und Machtmissbrauch vor. Von Ratbil Shamel

Moulvi Shamas-ul-Rehman Moomand, Vorsitzender des Provinzgerichts in Balkh, Foto: AP
Im Zweifel gegen die Pressefreiheit: Moulvi Shamas-ul-Rehman Moomand, Vorsitzender des Provinzgerichts in Balkh

​​Dem 23-jährigen Journalisten Parwez Kambakhsch, der seit rund drei Monaten inhaftiert ist, wird vorgeworfen, Schriften verteilt zu haben, die sich angeblich gegen alle Grundsätze des Islam richten. Über das am 22.1. verkündete Urteil zeigte sich der Rat des Islamgelehrten der Provinz Balkh höchst zufrieden, hatte er doch von Anfang an die Höchststrafe gefordert.

Kambakhsch weist die Anschuldigungen gegen ihn weit von sich. Menschenrechtsaktivisten und Journalistenkollegen sind der Auffassung, dass der junge Journalist ein Opfer politischer Machtspiele konservativer Kreise in Afghanistan geworden ist.

Noch Anfang vergangener Woche hatte der Gouverneur der Provinz Balkh, Atta Muhammad Nur, in seinem Büro in der Stadt Mazar-e Scharif den anwesenden Journalisten erklärt, dass Parwez Kambakhsch ein faires Verfahren bekommen werde. Er dürfe sich einen Anwalt nehmen und, wie es in einem Rechtsstaat wie Afghanistan üblich ist, werde er gerecht behandelt werden. Der Gouverneur deutete indirekt sogar eine baldige Freilassung des jungen Mannes an.

Manche Reporter berichteten hier und dort sogar von einer Kehrtwende im Fall Kambakhsch. Doch sie wurden bald eines Besseren belehrt. Denn kaum 48 Stunden später verkündete der Vize-Staatsanwalt derselben Stadt, dass das Verfahren gegen den Beschuldigten abschlossen sei.

Kein juristischer Beistand

Wie sich kurz darauf herausstellte, bekam der junge Journalist weder einen Anwalt gestellt noch ein öffentliches Verfahren. Konservative Kreise im Norden Afghanistans sprachen von einem gerechten Urteil und von einem Sieg des Islam. Die Journalisten-Verbände dagegen verkündeten gegen die Entscheidung des Gerichts bis zur höchsten Instanz vorgehen zu wollen.

Rahimullah Samandar, Vorsitzende des Journalisten-Verbandes Afghanistans sprach von einem Skandal, von einem Akt der Willkür: "Kein Journalist darf laut den geltenden Gesetzen auf diese Art und Weise verurteilt werden", so Samandar. "Der Fall muss der Kommission zur Untersuchung der Beschwerden gegen Journalisten vorgelegt werden. Erst nachdem dort ein Vergehen festgestellt worden ist, kann die Staatsanwalt eingeschaltet werden. All dies ist hier nicht geschehen."

Parwez Kambakhsch, Foto: AP
Im Visier der Scharfrichter: Dem verurteilten Parwez Kambakhsch droht nun die Todesstrafe

​​Samandar fühlt sich wütend und hilflos. Seit Wochen protestiert er gegen die Praktiken der Behörden in Mazar-e Scharif. Dort wurde vor rund drei Monaten der Journalismus-Student und Reporter der lokalen Tageszeitung "Jahan-e noh" (Neue Welt) ohne Haftbefehl von Mitarbeitern des Geheimdienstes verhaftet.

Kambakhsch wird vorgeworfen, einen bestimmten Aufsatz, der den Islam beleidige, unter den jungen Leuten in der Universität verteilt zu haben. Er gibt zu, einen islamkritischen Artikel aus dem Internet mit dem Titel "Frauenfeindliche Verse des Korans" von einem Autor namens Arasch Bekhoda gelesen und einigen Freunden gegeben zu haben.

Er lehnt es aber ab, dies mit der Absicht getan zu haben, dem Islam zu schaden. In dem Artikel, der von einer tatsächlich islamfeindlichen Internet-Seite stammt, werden Koran-Versen zitiert und undifferenziert als frauenfeindlich interpretiert.

Unterdrückung der freien Meinungsäußerung

Solche Angriffe könne der afghanische Staat nicht hinnehmen, lautete die Meinung des Rates der Islamgelehrten in Mazar-e Scharif. Rahimullah Samandar erklärte, dass er in diesem Punkt mit den Gelehrten einer Meinung sei, doch unterstellt er ihnen auch politische Absichten:

"Sie wollen, dass wir nicht nur auf das Recht der freien Meinungsäußerung verzichten, sondern auch darauf, etwas zu lesen und darüber, mit unseren Freunden zu diskutieren. Das geht zu weit! Das ist doch blanke Unterdrückung."

Samandar und seine Freunde sehen nicht nur den jungen Journalisten Kambakhsch an den Pranger gestellt, sondern auch die demokratischen Errungenschaften der letzten sechs Jahre. Vielen mächtigen konservativen Kreisen, angeführt von ehemaligen Warlords, ist die Pressefreiheit in Afghanistan ein Dorn im Auge.

Für ihren Geschmack werden zu viele und zu lästige Fragen gestellt. Sie wollen nicht sprechen über ihre Rolle in den Jahren des Bürgerkrieges, in denen viele Ortschaften zerstört und zehntausende Menschen getötet wurden. Sie sehen sich gern als "Mujahidin", als Gotteskrieger und wahre Verteidiger des Islam und des Vaterlandes. Sie werfen den Medien Missachtung der islamischen Grundsätze und afghanischen Traditionen vor.

"Keule des Islam"

Mit der "Keule des Islam" in der Hand, wie Samandar es formuliert, wird in regelmäßigen Abständen gern auf die Presse-Vertreter geschlagen. Bis jetzt wurde einigen Journalisten, die es gewagt hatten, sich islamkritisch zu äußern, Gotteslästerung vorgeworfen. Ein Vergehen, das laut der Islamauslegung der Fundamentalisten nur mit dem Tod bestraft werden kann. Aus ihrer Sicht ist es also nur Recht, dass Parwez Kambakhsch nun die Höchststrafe bekam.

Dabei wird die Begründung des Gerichts auch von couragierten und gemäßigten Islam-Gelehrten, wie etwa Ayatullah Muhseni, in Zweifel gezogen: "Wenn jemand den Propheten des Islam wissentlich beleidigt hat, so sagt die Scharia, soll er mit dem Tode bestraft werden. Dies trifft aber nicht auf jemanden zu, der einen Aufsatz, den er selbst nicht geschrieben hat, nur gelesen und anderen gegeben hat", meint Muhseni.

Diese Worte können im Moment keine Hilfe für den verurteilten Journalisten sein. Er braucht dringend politische Hilfe, sagt Rahimullah Samandar. Der afghanische Präsident allein kann einen zum Tode verurteilten begnadigen, doch die Führung in Kabul schweigt bislang zu diesem Fall.

Ratbil Shamel

© DEUTSCHE WELLE 2008

Qantara.de

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