Staatsfolter in Syrien - Historisches Urteil mit Signalwirkung
Das Urteil in Koblenz ist nur ein erster Schritt auf dem Weg zu Gerechtigkeit in Syrien. Das Gericht hat den Weg bereitet für weitere Verfahren gegen Kriegsverbrecher, weltweit, meint Matthias von Hein.
Mit dem Wort "historisch" sollte man vorsichtig umgehen. Aber das am Mittwoch in Koblenz gefällte Urteil gegen einen ehemaligen Angehörigen des syrischen Geheimdienstes darf historisch genannt werden: Zum ersten Mal überhaupt hat ein Gericht festgehalten, dass die syrische Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, dass der Assad-Clan einen systematischen Angriff auf die eigene Zivilbevölkerung führt, inklusive Verschleppung, Folter, Mord.
Das mag manchen trivial erscheinen. Die Medien sind voll von Berichten über das schreiende Unrecht, das in Syrien geschieht - verübt von allen Konfliktparteien. Aber seit dem Verfahren in Koblenz liegen gerichtsfeste Beweise vor. Gesammelt und geprüft an bislang 60 Verhandlungstagen, vorgetragen von mutigen Zeugen, von Gutachtern, von Experten. Die das verstörende Bild eines brutalen Unterdrückungsapparates entstehen ließen, in dem Folter nicht mehr allein zum Erpressen von Information diente, sondern als Mittel zur Rache und zur Abschreckung. Die Folter und Tötungen "in fast industriellem Ausmaß" belegten, wie die Staatsanwaltschaft formulierte.
Bedeutung weit über diesen Prozess hinaus
Die Bundesanwaltschaft und das Gericht haben damit eine Arbeit geleistet, deren Bedeutung weit über diesen Prozess hinausragt. Die vorgelegten Beweise und Informationen werden ihren Weg auch in andere Strafverfahren finden. In Koblenz hat die Aufarbeitung der Menschheitsverbrechen in Syrien begonnen. Aber sie wird hier noch lange nicht aufhören. Deswegen lautet die erste Botschaft von Koblenz: Deutschland ist kein sicherer Hafen für Kriegsverbrecher.
Richterin Anne Kelber widmete über die Hälfte ihrer Urteilsbegründung der Situation in Syrien insgesamt, der Beschreibung des Unterdrückungsapparates und seines Vorgehens. Aus gutem Grund: Weil das Unterdrückungssystem als Ganzes auf der Anklagebank saß, in dem Eyad A. nur ein Element war. Eines von vielen Elementen, die für das Funktionieren der Repressionsmaschine notwendig sind.
Darin liegt vielleicht eine Schwäche des Prozesses: Eyad A. war ein eher kleines Rädchen im System. Noch dazu hat er sich frühzeitig vom Assad-Regime abgewandt. Das wurde vom Gericht als strafmildernd gewertet - ebenso wie die Tatsache, dass die Anklage im Wesentlichen auf Eyad A.'s eigenen Aussagen beruht.
Nirgendwo mehr ein sicherer Hafen für Kriegsverbrecher
Natürlich hätte man sich auf der Anklagebank andere gewünscht. Diejenigen, die heute noch foltern und töten lassen, die Chefs der Geheimdienste, Mitglieder der Regierung. Dafür ist es noch zu früh. Aber die hören vielleicht die zweite Botschaft von Koblenz: Nirgendwo gibt es einen sicheren Hafen für Kriegsverbrecher, nicht auf Dauer. Die Mühlen der Justiz mahlen vielleicht langsam, aber sie mahlen beharrlich. Erst im vergangenen Sommer wurde ein 93-Jähriger in Hamburg für Verbrechen während der Nazi-Zeit verurteilt - 75 Jahre, nachdem er Wachdienst in einem KZ versehen hatte.
Es bleibt festzustellen: Das sogenannte "Weltrechtsprinzip" im Völkerstrafrecht funktioniert. Ein Prinzip, dass es der deutschen Justiz erlaubt, Kriegsverbrechen auch dann zu verfolgen, wenn sie weder in Deutschland verübt wurden noch Deutsche als Opfer oder Täter beteiligt sind. Will Deutschland glaubhaft als Fackel der Gerechtigkeit strahlen, muss es dieses Instrument künftig in alle Richtungen einsetzen. Auch Vertreter von Staaten, mit denen Deutschland enge Beziehungen pflegt, stehen im Verdacht, Kriegsverbrechen zu begehen.
Matthias von Hein
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