Für Gott stirbt es sich am schönsten
Alles beginnt mit den Schmetterlingen. "Hall of the butterflies", lautet der Name der ersten Halle in Irans staatlichem und größtem Kriegsmuseum in der Hauptstadt Teheran. "Holy Defense" -"Heilige Abwehr", so heißt in der Islamischen Republik der acht Jahre dauernde Krieg mit dem Nachbarn Irak, der gleichzeitig nicht nur diesem sondern jedem Kriegsmuseum in Iran seinen Namen gibt.
Wie kommt das staatliche Kriegsmuseum in Iran – eines der größten und teuersten Museen im Land – bloß darauf, seinen ersten großen Raum «Schmetterlingshalle» zu nennen? «Schmetterlinge lieben das Licht. Es zieht sie so sehr an, dass sie ihr Leben dafür geben. Sie verbrennen im Feuer der Liebe, des Lichtes wegen», erklärt einer der englischsprachigen Führer im Museum, die für Ausländer bereitstehen.
Als romantisierende Metapher stehen die Schmetterlinge also für die über 500 000 Toten, die «Märtyrer», die im Krieg gegen den Irak ihr oft viel zu kurzes Leben für die junge Islamische Republik gaben. Die Erinnerung an die Toten und Verwundeten, die der Kampf gegen die Truppen Saddam Husseins forderte, bildet heute einen Eckstein im Fundament, auf das Iran seine Identität und sein historisches Selbstverständnis gründet.
Schiitische Märtyrerverehrung
Die Verehrung von Märtyrern ist seit der Schlacht von Kerbela, bei der Imam Hussain am 10. Oktober 680 mit seinen 72 Anhängern fiel, tief im schiitischen Islam verankert. Aber nach dem Beginn des Iran-Irak-Krieges im September 1980 begann die neue Führung unter Ayatollah Khomeini, politische Ereignisse in einer Weise mit religiös-propagandistischen Elementen zu vermischen, wie es selten zuvor in der schiitischen Geschichte geschehen ist.
Iran besitzt zahlreiche Museen, die sich mit der Landesgeschichte befassen. Einen besonderen Stellenwert nehmen aber Orte ein, die an Ereignisse erinnern, bei denen Iraner und andere prominente «Verteidiger des Islams» ums Leben kamen. Dazu zählt sogar der Tod von über 400 Iranern bei einer Massenpanik in Mekka während des Hajj von 2015.
Auf dem größten Friedhof des Landes, Behesht-e Zahra, findet sich eine Sektion, die eigens für auf einer Pilgerfahrt zu Tode Gekommene bestimmt ist. Da sich Iran als Schutzmacht des schiitischen Islams betrachtet, reicht die Ausstrahlung von Stätten wie Behesht-e Zahra weit über die Landesgrenzen hinaus. In der Sektion für die internationalen Märtyrer und «Verteidiger des Islams» etwa finden sich Gedenkstelen für alle wichtigen Verstorbenen der libanesischen Schiiten-Partei Hizbollah, welche zu großen Teilen von Iran finanziert wird.
Gedacht wird auch prominenter Schiiten wie etwa des Anfang 2016 in Saudi-Arabien exekutierten Geistlichen Nimr al-Nimr. Sogar Rachel Corrie ist hier verewigt – eine amerikanische Aktivistin, die 2003 im Gazastreifen unter nicht ganz geklärten Umständen von einem israelischen Bulldozer überrollt wurde. Auf ihrer Gedenkplatte ist sie mit einem Hijab zu sehen, den sie faktisch nie getragen hat.Vom Gefallenen zum Volkshelden
Die Texte in diesen Gedenkstätten sind in persischer, arabischer und englischer Sprache verfasst: Offensichtlich legt man im Gottesstaat Wert darauf, dass auch fremdsprachige Besucher des Friedhofs am gemeinsamen Erinnern teilhaben können. Das gilt nur eingeschränkt für die jüngste Generation von «Märtyrern» – nämlich jenen Iranern, die Seite an Seite mit der syrischen Armee kämpften. Es gibt keine offiziellen Zahlen, wie viele iranische Staatsbürger in Syrien gefallen sind, aber ihre Gräber sind auf den Friedhöfen des Landes sichtbar.
Von der Regierung werden die Gefallenen als «Verteidiger der Schreine» zu Volkshelden stilisiert; aber die Verteidigung schiitischer Heiligtümer in Syrien dient natürlich nur als Vorwand, um die Unterstützung des Assad-Regimes zu rechtfertigen. In der Bevölkerung dominiert die Meinung, dass es in den derzeitigen Konflikten im Irak und in Syrien – wie schon im Iran-Irak-Krieg – nicht um Politik gehe sondern um Religion.
Ein paar Minuten entfernt von den Gräbern, im offiziellen Märtyrer-Andenken-Laden, kann man sich für ein paar iranische Rial mit Erinnerungsstücken eindecken. Es gibt Literatur, Fotoalben, Videos, religiöse Souvenirs, Buttons, Tassen, Nachbildungen von Landminen, die als Picknickboxen dienen, und sogar Spielzeug, das schon den Kleinsten beibringen soll, dass Märtyrern im Himmel wie auf Erden die höchste Ehre zuteil wird. Angesprochen auf die Konflikte in Syrien und im Irak, findet der Ladenbesitzer schnell Worte und zieht einen Vergleich mit dem Krieg gegen den Irak vor 36 Jahren: «Wenn man nach Khuzistan an die irakische Grenze geht, sieht man, dass es dort außer Wüste nicht viel gibt. Aber als die Iraker diese Grenze überschritten, haben sie nicht nur unser Land, sondern unsere Religion angegriffen. Es war ein Angriff auf den Islam!»
Einen Kontrapunkt zu Märtyrerkult und Kriegsverherrlichung setzt das im Zentrum Teherans im Shahr-Park gelegene Friedensmuseum, eine unabhängige Institution, die sich der Stärkung von Friedensinitiativen verschrieben hat. Das kleine, kostenlose Museum zeigt einige der schwärzesten Kapitel der jüngeren Geschichte, nennt dabei Saddam Hussein, Adolf Hitler, die Atombombenangriffe in Japan im Zweiten Weltkrieg und die Giftgasangriffe auf die irakische Stadt Halabja und die iranische Stadt Sardasht.
Einige Führer des Museums sind Veteranen des Iran-Irak-Krieges, die aus erster Hand von den Gräueln jener Zeit berichten können. Besonders eindrücklich wird der Rundgang mit Morteza als Begleiter: Er war beim Giftgasangriff auf Sardasht dabei und entkam mit letzter Not, beinahe erblindet. Das Museum versteht sich als unabhängige Plattform, die zeigen will, welche Grauen der Krieg für die Zivilbevölkerung bringt. Als Mitglied des International Network of Museums for Peace wirbt es dafür, sich um den Frieden zu bemühen.
Ins Paradies entschwebt
Zurück in der „Schmetterlingshalle“ des staatlichen Kriegsmuseums aber verstummt jeder Gedanke an Frieden. Im riesigen Park hinter dem Gebäude findet der Besucher nahezu alle Fahrzeuge und Waffensysteme, die im Krieg gegen den Irak zum Einsatz kamen, während im Hintergrund Musik von Wagner läuft. Das Museum ist ein einziges audiovisuelles Feuerwerk; überall findet man Lichtinstallationen, Bildschirme, es gibt virtuelle Panzerfahrten für Schulklassen, sogar einen «Bombardierungssimulator».
Dort wird man in eine friedliche Dorfszene versetzt, und wenige Sekunden später bombardiert die irakische Luftwaffe unter ohrenbetäubendem Lärm und Erschütterung des Bodens die Szene. Der Besucher soll erfahren, wie es sich anfühlt, hilflos dem Bombenhagel ausgesetzt zu sein. Die Vorführung endet mit Bildern iranischer Städte, die tatsächlich bombardiert wurden.
Durch die letzte, dem Märtyrertum gewidmete Halle, führt eine Brücke; während man sie überquert, werden links und rechts Fotos von Gefallenen auf die Wände projiziert, die dann ins Paradies entschweben. Am Ende der Brücke wartet ein hell ausgeleuchteter Raum mit zwei Kopien von Schreinen.
Aber bei den Märtyrern soll der Parcours nicht enden. «Das Museum ist noch nicht ganz fertiggestellt», lässt der Guide wissen. Es fehlen noch zwei Hallen: Sieg und Errungenschaften. Frieden steht hier also erst einmal nicht auf dem Programm.
Philipp Breu
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