Irgendein Deal wird kommen
Von "bedeutenden Fortschritten" sprach Zalmay Khalilzad jüngst nach seiner Rückkehr aus Doha. Khalilzad ist nicht irgendjemand, sondern — im Gegensatz zum afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani — der Mann der Stunde. Der US-Chefunterhändler, der die Friedensgespräche mit den Taliban in Qatar führt, hat selbst afghanische Wurzeln und beeinflusst die amerikanische Politik am Hindukusch seit fast vier Jahrzehnten.
Nach den jüngsten Gesprächen, die immerhin ganze sechs Tage andauerten, könnte ein Abzug der internationalen Truppen – die Hauptforderung der Taliban – bald Realität werden. Berichten zufolge steht ein Abzug der US-Truppen binnen 18 Monate im Raum. Zwei Drittel der rund 22.000 ausländischen Soldaten sind US-Amerikaner.
"Kein Afghane will hier eine dauerhafte Stationierung ausländischer Truppen", sagte Ghani während einer Ansprache direkt nach den Gesprächen in Doha. Kurz darauf bezeichnete der Präsident Khalilzad in einem ausführlichen Interview mit dem afghanischen Privatsender Tolo als einen "Freund". Doch Ghani holte auch aus: "Er ist ein Amerikaner. Ich bin der Präsident Afghanistans", hieß es unter anderem.
Über die Köpfe der Zivilbevölkerung hinweg?
Umso problematischer ist die Tatsache, dass alle Verhandlungen in Qatar ohne Vertreter der afghanischen Regierung stattfanden. Die radikalislamischen Taliban machten mehrmals ihr Desinteresse an den Gesprächen mit Kabul deutlich und meinten, dass man nicht mit einer "Marionetten-Regierung" verhandeln wolle.
Aus diesem Grund hegen viele Afghanen den Verdacht, dass ein Friedensdeal über ihre Köpfe hinweg beschlossen werden könnte und vor allem amerikanischen Interesse bedient, allerdings nicht afghanische. Dies betrifft in erster Linie Afghanistans Polit-Elite, die nun um den Verlust ihrer Macht fürchtet.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Ghanis Regierung im Falle eines Truppenabzugs schnell kollabieren würde. Ein Grund hierfür sind nicht nur die Taliban, sondern auch zahlreiche innerafghanische Streitigkeiten zwischen militanten Warlords und korrupten Politikern, die den afghanischen Staat gegenwärtig sehr fragil erscheinen lassen.
Kein Rückzugsort für Al-Qaida und Co.
Die Hauptsorge Washingtons ist eine Entwicklung Afghanistans, wie sie sich in den 1990er Jahren und vor 2001 abspielte, sprich, das Land darf nicht wieder zum Rückzugsort von extremistischen Terrorgruppen wie Al-Qaida werden. Diese Forderung wurde allem Anschein nach auch von den Taliban akzeptiert. Hinzu kommt auch, dass die "terroristische Gefahr" aus Afghanistan oftmals dramatisiert und aufgeblasen wurde.
"Die transnationale terroristische Bedrohung aus Afghanistan wurde schon immer übertrieben dargestellt", meint etwa der afghanische Analyst Borhan Osman von der International Crisis Group. "Seit Jahren beschäftige ich mich mit den teils abstrusen Behauptungen seitens amerikanischer und afghanischer Offizieller, die unter anderem behaupten, dass 20 terroristische Gruppierungen in Afghanistan aktiv seien."
Laut Osman wird der Afghanistan-Krieg oftmals komplizierter dargestellt als er eigentlich ist. "Der Konflikt in Afghanistan ist simpler als jener in Syrien, Irak, Libyen oder Jemen. An fast jeder Kampfhandlung sind die Taliban auf der einen und die Truppen der afghanischen Armee auf der anderen Seite zu beobachten. Der Aufstand ist quasi zum Synonym der Taliban geworden", so der Analyst der International Crisis Group.
Das Erstarken des IS am Hindukusch
Doch während über die gegenwärtige Al-Qaida-Präsenz am Hindukusch so gut wie nichts bekannt ist, hat die afghanische IS-Zelle in den letzten Jahren und Monaten an Macht und Einfluss gewonnen und verheerende Anschläge in Kabul und anderswo verübt. Von den Taliban, die seit jeher eine eher nationalistische Agenda pflegen, wird auch der IS in Afghanistan bekämpft.
Dieser und einige andere Punkte werfen die Frage auf, inwiefern nach einem Abzug der internationalen Truppen tatsächlich ein Ende des Krieges am Hindukusch zu erwarten ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden die meisten Kampfhandlungen von Taliban-Kämpfern und afghanischen Soldaten ausgetragen. Vor rund zwei Wochen wurden allein in der Provinz Wardak nahe Kabul über 100 Soldaten durch einen einzigen Taliban-Anschlag getötet.
Auch Moskau mischt mit
Die Gespräche mit den Amerikanern waren allerdings nicht die einzigen, die in diesen Tagen und Wochen stattfanden. Kurz nach der Verhandlungsrunde in Doha traf eine Taliban-Delegation in Moskau ein, wo man sich mit hochrangigen afghanischen Politikern und Warlords, angeführt von Ex-Präsident Hamid Karzai, traf.
Vor der Presse stellte sich Karzai neben Sher Mohammad Abbas Stanekzai, dem Chefunterhändler der Taliban, und sprach von einem "historischen Moment". Schauplatz war das Moskauer "President Hotel", das dem Kreml gehört. Auch in Moskau waren Vertreter der Kabuler Regierung nicht zugegen. Stattdessen hatte man eher den Eindruck, dass all jene, die Präsident Ghani vergrault und entmachtet hat, nun versuchen, abermals Macht und Einfluss zu gewinnen.
Bedeutung eines "innerafghanischer Dialogs"
Dies könnte tatsächlich passieren, wenn durch einen Friedensdeal eine Interimsregierung zustande kommt, die Ghanis Administration ablöst. Ein solcher Schritt würde auch die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Juli und eine Wiederwahl Ghanis gefährden. Allerdings betonte Washington immer wieder, wie wichtig ein "innerafghanischer Dialog" sei.
"Die Hoffnung besteht weiterhin, dass die Kabuler Regierung an der nächsten Gesprächsrunde in Qatar teilnimmt. Auch eine Teilnahme in Moskau wäre wichtig gewesen. Kabul darf sich nicht dagegen wehren und muss eingestehen, dass es einen Unterschied zwischen den Taliban und anderen militanten Gruppierungen in Afghanistan gibt", meint Nazar Mohammad Motmaeen, ein politischer Analyst und Taliban-Kenner aus Kabul, der an den Gesprächen in Moskau teilnahm. Berichten zufolge wurde die Moskauer Konferenz von Exilafghanen in Russland organisiert.
Emran Feroz
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