Abtritt der alten Garde
Der mutige Befreiungsschlag des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi, seinen Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi sowie den Generalstabschef Sami Anan zu entlassen, kam für alle als eine große Überraschung – hatten doch viele politische Beobachter geglaubt, dass die beiden grauen Eminenzen die eigentlichen unantastbaren Machthaber in Ägypten seien.
Mursi hat dabei geschickt agiert. Er hat ausgenutzt, dass nach den Ereignissen der letzten Tage auf dem Sinai die Bevölkerung viele unangenehme Fragen für die Militärs stellte. Etwa diese: Wo waren denn die Offiziere, als bei einem Angriff auf einem Posten der Armee 16 Gefreite getötet wurden? Die hatten ihren Posten verlassen, um woanders auf feinere Art das Fastenbrechen im Ramadan zu begehen.
Mursi hat es mit seinem Vorgehen aber auch geschafft, die Militärführung zu spalten und Mitglieder des obersten Militärrates an dessen eigenen politischen Absetzung zu beteiligen.
Sowohl der neue Verteidigungsminister Abdel Fattah Al-Sisi, als auch der neue Stabschef Sidqi Subhi kommen aus dem obersten Militärrat. Mit ihrer Ernennung haben sie auch zugestimmt, dass sich Mursi in einer Verfassungserklärung vom Militärrat all jene exekutiven Kompetenzen zurückholt, die sich der Militärrat in einer von ihm verkündeten Übergangsverfassung zuvor gesichert hatte.
Punktsieg für die Demokratie
Und Mursi hatte die entlassenen Generäle noch einmal hoch dekorieren und offiziell zu seinen Beratern gemacht und damit weggelobt. Damit stellt er zunächst zweierlei sicher: Die pensionierten Militärs bleiben zunächst gerichtlich unantastbar – ein wichtiger Punkt, denn so können sie nach ihrer Entlassung keinen Widerstand innerhalb der Armee organisieren und womöglich putschen. Und als Präsidialberater dürfen sie ohne Genehmigung des Präsidenten nicht ausreisen. Damit sind spätere gerichtliche Schritte gegen sie nicht ausgeschlossen. Dass das Militär seit der Entlassung nichts unternommen hat, spricht sehr für diese elegante Taktik des Präsidenten.
Man kann das Ganze aus zweierlei Perspektive betrachten: Den Machtkampf zwischen Muslimbrüdern und Militärs, haben die Muslimbrüder nun für sich entschieden. Dieser Konflikt war aber auch ein Machtkampf zwischen der gewählten und damit legitimierten Institution des obstersten Staatschefs und der nicht gewählten, intransparenten und nicht rechenschaftspflichtigen Institution des Militärrates. Dass der gewählte Präsident diesen für sich entschieden hat, ist sicher auch ein Sieg für die demokratische Umwandlung des Landes.
Gefährlich dabei ist freilich die neue Machtfülle, über die der Präsident im Moment verfügt. Mursi hat die volle exekutive und legislative Macht, und das Recht, die verfassungsgebende Versammlung neu aufzustellen, sollte die bisherige mit ihren Aufgaben nicht vorankommen. Die große Frage ist, wie verantwortungsvoll er mit diesem politischen Monopol nun umgeht.
Ein liberaler Richter als Vizepräsident
Mursi braucht eine breite politische Unterstützung, die über sein eigenes Klientel, die konservativen Muslimbrüder, hinausreicht. Dabei ist die gestrige Ernennung Mahmud Mekkis zum neuen Vizepräsidenten von großer Bedeutung. Der liberale Richter war in den letzten Mubarakjahren das Aushängeschild der Richter in ihrem Kampf für eine regime-unabhängige Justiz. Dessen Ernennung stellt damit auch ein wichtiges Signal in Richtung liberaler und linker Kreise dar.
Nachdem das Militär nun politisch ausgebotet wurde, konzentriert sich nun alles auf die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Dieser Prozess wird nur Erfolg haben, wenn er einen breiten gesellschaftlichen Konsens findet. Erst dann kann es Neuwahlen zu einem Parlament geben. Und erst dann wäre die Gewaltenteilung hergestellt und damit die Grundlage für ein demokratisches Ägypten. Dies ist sicherlich noch steiniger Weg.
Doch ein scheinbar unüberwindlicher Felsbrocken wurde von Mursi nun erst einmal aus dem Weg geräumt. Es ist schon beachtlich: Die Türkei hat drei Jahrzehnte gebraucht, um seine Generäle aus der Politik zu entfernen. Ägypten hat dagegen nach dem Ende Mubaraks seine Generäle bereits nach 18 Monaten in die Wüste geschickt.
Karim El-Gawhary
© Qantara.de 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de