Das Al-Sisi-Regime kann kein Partner gegen den Terror sein
Die grausame Ermordung von 30 koptischen Christen im mittelägyptischen Minya am 26. Mai sorgte weltweit für Empörung. Es war der vierte große Terroranschlag gegen die koptische Gemeinschaft in Ägypten innerhalb eines halben Jahres. Wie auch im Fall des Anschlags auf eine Kirche in Kairo mit 25 Toten am 11. Dezember 2016 sowie bei den Anschlägen am Palmsonntag auf zwei Kirchen in Alexandria und der nordägyptischen Stadt Tanta mit insgesamt 47 Toten, bekannte sich der ägyptische Ableger des Islamischen Staates (IS) zu dem Massaker.
Die Reaktion der Regierung von Abdel Fattah al-Sisi ließ nicht lange auf sich warten. Noch in der darauffolgenden Nacht flogen ägyptische Kampfjets Angriffe auf vermeintliche Terroristencamps im benachbarten Libyen. Dabei standen offenbar insbesondere Ziele in der nordlibyschen Küstenstadt Derna im Fokus. In einem zweiten Vorstoß griffen sie auch Stellungen in der zentrallybischen Stadt Hun an.
Ägypten unterstützt libyschen General Haftar
Dass diese Militärschläge nicht IS-Strukturen galten, ist offensichtlich. Derna und Hun werden zwar von Milizen kontrolliert, denen auch islamistische Gruppierungen angehören. Allerdings gehören sie nicht zum IS und haben diesen in der Vergangenheit sogar bekämpft.
Dass sie hinter dem Anschlag auf die koptischen Pilger stecken, ist nicht plausibel. Ihr bewaffneter Kampf richtete sich bislang vor allem gegen den libyschen General Khalifa Haftar, dessen Einheiten weite Teile Ostlibyens kontrollieren. Er gilt als enger Verbündeter Ägyptens.
Der Verdacht liegt daher nahe, dass die Führung in Kairo den Terroranschlag von Minya als Vorwand nutzt, um seinem Statthalter in Libyen Geländegewinne zu ermöglichen und dadurch letztlich die eigene Einflusszone im Nachbarland zu vergrößern.
Doch nicht nur zur Durchsetzung ihre Interessen im Nachbarland, auch innenpolitisch instrumentalisiert die Al-Sisi-Administration den Kampf gegen den Terror. Bereits nach den beiden Kirchenanschlägen an Palmsonntag hatte Präsident Al-Sisi den Ausnahmezustand ausgerufen, obgleich Ägypten seit dem Militärputsch 2013 ohnehin äußerst repressiv regiert wird.
In den darauffolgenden Wochen gab es eine erneute Verhaftungswelle, bei der nicht militante Islamisten, sondern vor allem jugendliche Aktivisten und Mitglieder oppositioneller, säkularer und linker Parteien unter fadenscheinigen Anschuldigungen festgenommen wurden.
Zudem sperrten die Behörden den Zugang zu 21 Online-Medien, darunter auch die unabhängige und journalistisch hochwertige Internet-Zeitung Mada Masr. Begründet wurde dieses Vorgehen mit dem Vorwurf der Terror-Unterstützung.
Unterdrückung von NGOs im Namen der Terrorbekämpfung
Nur zwei Tage nach dem Terroranschlag auf die koptischen Pilger in Minya unterschrieb Präsident Al-Sisi schließlich ein äußerst repressives Gesetz, durch das die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in Ägypten völliger staatlicher Kontrolle unterworfen wird. Vorgeblich im Sinne der Bekämpfung terroristischer und extremistischer Aktivitäten müssen Nichtregierungsorganisationen sich zukünftig registrieren und ihre Aktivitäten sowie ihre finanziellen Einnahmen von den staatlichen Behörden genehmigen lassen.
Sechs Monate hatte Al-Sisi mit seiner Unterschrift gewartet. Nicht zuletzt die Kritik aus dem Ausland gegen das Gesetzesvorhaben war enorm. Die Terrorattacke bot der Al-Sisi-Administration nun offenbar eine günstige Gelegenheit, das Gesetz ohne größeres Aufsehen in Kraft zu setzen.
Im Ergebnis verhindert die ägyptische Staatsführung mit ihrer "Anti-Terror-Politik" in wirksames Vorgehen gegen die terroristische Bedrohung, der Ägypten tatsächlich ausgesetzt ist – wie es nicht zuletzt die Anschläge auf die koptische Minderheit zeigen.
Anstatt mehr Schutz etwa für die koptischen Christen im Land bereitzustellen, werden die Sicherheitskräfte zur Unterdrückung friedfertiger Opposition und Zivilgesellschaft eingesetzt. Schlimmer noch: Eine weitere Ausbreitung von terroristischen Strukturen könnte hierdurch noch begünstigt werden.
Förderung der Radikalisierung
Die Schließung jeglichen Raums für gewaltfreie politische Opposition und unabhängige Zivilgesellschaft sowie die andauernden Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte in Ägypten befördern Radikalisierung.
Im Nachbarland Libyen steht die einseitige Parteinahme Ägyptens für General Haftar jeglichen Vermittlungsbemühungen zur friedlichen Konfliktbeilegung im Weg und dürfte die Gewaltspirale weiter antreiben.
Vor diesem Hintergrund kann Ägypten gegenwärtig kein Partner im internationalen Kampf gegen den Terrorismus sein. Eine Zusammenarbeit, wie sie etwa im Ende April durch das vom Bundestag beschlossene deutsch-ägyptische Sicherheitsabkommen vorgesehen ist, ist angesichts der offenkundigen Instrumentalisierung des Anti-Terror-Kampfes durch die ägyptische Führung zum Scheitern verurteilt.
Statt die Sicherheitskooperation mit Kairo weiter auszubauen, sollten die europäischen Staaten daher vielmehr endlich auf politische Reformen und die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards drängen.
Stephan Roll
© Qantara.de 2017
Stephan Roll ist bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Naher und Mittlerer Osten und Afrika.