Die besänftigende Macht
Die politischen Umbrüche in Ägypten seit der Revolution von 2011 haben auch im Kulturministerium ihre Spuren hinterlassen. Nicht weniger als sieben Minister hat das Ressort bis zur jüngsten Kabinettsumbildung im März kommen und gehen sehen. Fast jeder von ihnen verhieß einen kulturellen Aufbruch, den nun auch der neue, achte nachrevolutionäre Amtsinhaber Abdel Wahed al-Nabawi nicht müde wird zu verkünden.
Kultur an vorderster Front
Ebenfalls kein Novum, da auch schon von seinen beiden, mit dem alten Mubarak- wie dem neuen Militärregime verbandelten Vorgängern bekannt, war al-Nabawis Kampfansage an den Terrorismus bei seinem Amtsantritt: Ägypten befinde sich im Krieg und die Kultur müsse an vorderster Front mitkämpfen.
Für den Posten qualifiziert den Historiker wohl auch sein Image als Opfer der kurzlebigen Muslimbrüder-Herrschaft, aus deren Zerschlagung das jetzige Kairoer Regime mit Ex-Armeechef Al-Sisi an der Spitze die Legitimation für seine "Juni Revolution" von 2013 – im Ausland eher Militärputsch genannt – bezieht. Al-Nabawi hatte nämlich unter dem früheren Präsidenten und jetzigen Todeskandidaten Mohamed Mursi sein Amt als Leiter des Nationalarchivs räumen müssen.
Er soll sich geweigert haben, unter Verschluss gehaltene staatliche Akten über Hassan al-Banna, den Gründervater der Muslimbruderschaft, deren Kadern auszuhändigen.Umso symbolträchtiger wirkte es, dass Al-Nabawi nun als Kulturminister Anfang Mai den neuen Sitz des Nationalarchivs im Kairoer Stadtteil Fustat einweihte. Für die Finanzierung des mit modernster Technik ausgestatteten fünfstöckigen Neubaus, der sich mit seiner geschwungenen Fassade zeitgemäß präsentiert, sorgte größtenteils Sultan bin Muhammad al-Qasimi, Herrscher des Golf-Emirats Schardscha, der auch zu den Einweihungsfeierlichkeiten anreiste.
"Aufbruch in eine neue Welt"
Eine Publikation des Kulturministeriums preist das Projekt als "Aufbruch in eine neue Welt". Auf der ersten Seite prangt das Konterfei von Präsident Al-Sisi. Kulturminister Al-Nabawi stilisiert hier die Ägypter zu einem Volk mit besonders ausgeprägter Archivkultur, welche schon die Pharaonen gepflegt hätten. Man werde das Land in ein neues Zeitalter führen und seine Zivilisation wieder in die ganze Welt strahlen lassen.
Dass ägyptische Intellektuelle schon seit Jahren vergebens freien Zugang zu Staatsakten fordern, bleibt freilich unerwähnt, und nur beiläufig ist von einem geplanten neuen Archivgesetz die Rede. Für alle Fälle appelliert hier die (kopftuchtragende) neue Archivleiterin Nifin Mahmud an Allahs Güte und erinnert an Ägyptens führende Rolle in der arabischen Welt – auch als Bildungsnation.
Dass dem Geldgeber vom Golf auch mit dem Abdruck ägyptischer Archivakten zu dem von ihm seit 1972 regierten Emirat Schardscha gedankt wird, soll die besondere Verbundenheit beider Länder hervorheben. Sie manifestiert sich auch im Kampf gegen den radikalislamischen Terror.
Emir Al-Qasimi finanziert neben vielen anderen Kultur- und Bauprojekten auch die Errichtung von 25 Moscheen zu Ehren der "Märtyrer des Massakers von Rafah" – so die offizielle Bezeichnung im Land für den Terroranschlag, bei dem 2012 im Sinai etliche ägyptische Soldaten ums Leben kamen.
Schulterschluss mit Schardscha
Der Schulterschluss mit Schardscha ist aber auch bezeichnend für die ideenpolitischen Koordinaten, die den Kurs der zusehends miteinander verzahnten Kultur- und Religionspolitik Kairos diktieren. Tonangebend ist ein islamischer Konservativismus, für den Staatschef Al-Sisi selbst steht. Muslimbrüder und Salafisten – besonders letztere – durften unter Mubarak noch relativ frei agieren – werden zu einer ernsten Gefahr für den Staat erklärt, zu deren Eindämmung nun auch das religiöse Establishment seinen Beitrag leisten muss.
Tatsächlich zeigen sich Religions- wie Kulturbeamte bei der Umsetzung der vom Präsidenten geforderten "Mäßigung des religiösen Diskurses" ungemein kooperativ: Unter diesem Motto wurde vergangene Woche in Kairo eine medienwirksam inszenierte Tagung des ägyptischen Waqf-Ministeriums abgehalten. Kulturminister Al-Nabawi war auch hier präsent – als Referent.
Eigenwilliger Ideologiemix
Die neue Disziplinierung der ägyptischen Rechtsgelehrten lässt an die Zeiten des säkular geprägten Panarabismus denken. Gedenkpolitischer Rückgriff auf Altägypten und Antike und die gleichzeitige Selbstdarstellung als modernisierende und führende arabische Macht standen damals und stehen heute wieder im Vordergrund.
Dass aber Ägypten schon im 19. Jahrhundert ein Musterbeispiel für Modernisierung gewesen sein soll, ist eine relativ neue Zutat in diesem aufgefrischten Ideologiemix. Sich die kulturellen Leistungen des Khediven Ismail Pascha (1830-1895) zum Vorbild zu nehmen, wäre den revolutionären Generälen um Gamal Abdel Nasser wohl kaum in den Sinn gekommen, die 1952 den letzten Khediven-Spross Faruq I. aus dem Land jagten.
Doch scheinen neuerdings die vom europafreundlichen Ismail Pascha erbauten und lange vernachlässigten Kairoer Straßenzüge mit ihren vom europäischen Historismus inspirierten Bauten der Restaurierung würdig – eines von etlichen Großprojekten des neuen Ministers, zu denen bald auch ein besonders spektakuläres gehören könnte: der geplante naturgetreue Nachbau des legendären Leuchtturms von Alexandria – eines der sieben Weltwunder der Antike.
Die Kulturoffensive am Nil strebt nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Breite. So etwa sollen durch die geplante Renovierung und Wiederbelebung der heruntergekommenen kommunalen Kulturhäuser möglichst viele Ägypter für die Künste begeistert werden.
Deren Potential als den Radikalismus "besänftigende Macht" rühmt denn auch der Minister mit viel patriotischem Pathos und erntet damit bei immer mehr Kulturleuten Zustimmung. Es wird aber auch über die verschärfte Zensur geklagt, die in altbekannter Manier Kritik am Regime und vermeintlich Unsittliches sanktioniert.
Joseph Croitoru
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