Die Mühsal der Verständigung
Der Dialog der Religionen krankt oft daran, dass Theologen und Wissenschaftler unter sich bleiben. Bei den Abrahamischen Teams ist das anders. Die Gruppen aus jeweils einem Christen, einem Moslem und einem Juden gehen direkt an die Basis, zum Beispiel an Schulen oder zu Veranstaltungen für Jedermann.
Die Idee der Abrahamischen Teams stammt aus Deutschland, wo der ehemalige evangelische Pfarrer Jürgen Micksch sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ins Leben gerufen hat. Sie informieren über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihren jeweiligen Glauben, räumen Vorurteile aus und stellen sich Fragen. Diese interreligiöse Dialogarbeit beruft sich auf den biblischen Urvater Abraham als einem Vorbild für die Gläubigen aller drei monotheistischen Religionen.
Nach dem Erfolg der Initiative in Deutschland versuchen die Initiatoren das Projekt auf die Mittelmeerländer Israel, Ägypten, Marokko und Libanon auszudehnen, unterstützt wird die Arbeit von Robert-Bosch-Stiftung, Brot für die Welt und der Allianz Kulturstiftung.
Der Dialog soll einen Beitrag zu mehr Verständigung in einer Region leisten, in der religiöse Konflikte bestehende Spannungen weiter verschärfen. Dabei ist die Situation zwischen den Religionen und Konfessionen in jedem dieser Länder anders. Gemeinsam haben sie jedoch, dass interreligiöse Begegnungen an der Basis dort Neuland bedeuten.
Keine Begegnungen im Alltag in Israel
In Israel treffen sich Juden, Christen und Muslime in der Regel gar nicht. Selbst in gemischten Wohngegenden etwa von Jerusalem oder Jaffa bleibt jede Religionsgemeinschaft für sich. Aufgrund des jahrzehntelangen Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern gibt es auch kaum Kontakte von jungen Menschen verschiedener religiöser und ethnischer Herkunft. Auch der Religionsunterricht an staatlichen Schulen ist nach Konfessionen getrennt.
Wenn jüdische Israelis dann zur Vorbereitung auf den Militärdienst auf die sogenannte Pre-Army Academy gehen, haben sie in der Regel noch nie einen Muslim oder Christen kennengelernt. Rabbinerin Nava Hefetz von der Initiative Rabbis for Human Rights ist es gelungen, dem israelischen Staat ein viertägiges Begegnungsprogramm abzuringen, das standardmäßig in das Programm der Akademie integriert ist.
Im Rahmen dieses Programms berichtet eine Muslimin über den Islam und ein Pfarrer redet über das Christentum. Gemeinsam besucht die Gruppe eine Moschee und eine Kirche. Für die Teilnehmer seien das „beeindruckende Erlebnisse“, meint Rabbinerin Hefetz.
Zehn bis zwölf Veranstaltungen pro Jahr mit Gruppen von 50 bis 200 Menschen führt das Abrahamische Forum in Israel durch. Abgesehen von der Militärakademie traf sich in 2018 zum Beispiel eine Gruppe palästinensisch-christlicher Theologiestudenten aus Bethlehem mit angehenden Rabbinern des Hebrew Union College in Jerusalem. Beide Gruppen versprachen die Begegnung im kommenden Jahr fortzusetzen.
Ähnliche Treffen sind für 2019 in auch in Ramallah und Hebron geplant. "Ich habe jetzt verstanden, dass es in jeder Religion Menschen gibt, die auf Verständigung setzen und ein friedliches Zusammenleben wollen", sagte ein Teilnehmer nach einer Begegnung.
Genau dieser Lerneffekt sei Ziel der Arbeit, meint die Rabbinerin. „Wir wollen zeigen, dass wir gemeinsame Werte teilen“. Alle drei Religionen verbieten es, Menschen zu töten und sehen es als einen grundlegenden Wert, den anderen zu respektieren. Dennoch werde Religion immer wieder als Rechtfertigung für Gewalt missbraucht.
Deswegen „müssen wir uns alle zusammen bewusst für eine humanistische Interpretation der religiösen Texte entscheiden“, sagt sie. Dann sei es auch möglich, Kompromisse für religiös aufgeladene Konflikte wie zum Beispiel an der Klagemauer in Jerusalem zu finden.
In der israelischen Gesellschaft werden solche Begegnungen quer zu den üblichen Lagern nicht besonders gerne gesehen und die Medien interessieren sich nicht dafür. „Die Medien berichten nicht über Bemühungen zum Dialog“, sagt Hefetz. „Sie interessieren sich nur für Selbstmordattentate und terroristische Angriffe.“
Kaum Interesse bei den orthodoxen Kopten
In Ägypten gibt es heute nur noch eine Handvoll Juden, die alle schon über 60 Jahre alt sind. Über das Judentum zu informieren, ist daher schwierig. Die jüdische Gemeinde ist zwar offiziell in das 2016 in Kairo gegründete Abrahamische Forum eingebunden, aber die Abrahamischen Teams müssen de facto ohne ihre Mitwirkung auskommen.
Tharwat Kades, ein gebürtiger Ägypter, der schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, war lange Jahre Gemeindepfarrer der evangelischen Landeskirche in Hessen-Nassau. Jetzt ist er im Ruhestand und kümmert sich um sein Herzensanliegen, den Dialog zwischen den Religionen in seinem Heimatland. Zusammen mit Jürgen Micksch hatte er die Idee, die interreligiöse Dialogarbeit mit den Abrahamischen Teams in Ägypten aufzubauen.
Dazu ging Kades auf die koptisch-evangelische, die koptisch-katholische und die koptisch-orthodoxe Kirche sowie auf die islamische Al-Azhar-Universität und die Gemeinschaft der Bahai zu.
Die koptisch-orthodoxe Kirche bildet die größte christliche Konfession in Ägypten, ihr gehören ca. zehn Prozent der rund 90 Millionen Ägypter an. Koptisch-katholische und koptisch-evangelische Konfessionen bilden kleine Minderheiten innerhalb der christlichen Minderheit. Während Al-Azhar und die beiden kleineren Kirchen Bereitschaft zum Dialog erkennen ließen, sei die Koptisch-orthodoxe Kirche nur mäßig interessiert, meint Kades. Daher nähmen bisher nur vereinzelt Vertreter der Orthodoxen an den Aktionen teil. Er hofft, dass das Interesse mit der Zeit noch wächst.
Bahai leben in Ägypten unter prekären Bedingungen, denn sie sind nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Anfangs waren auch innerhalb der Abrahamischen Teams die Vorbehalte gegen Bahai groß, sagt Kades. Das habe sich erst nach einigen Begegnungen geändert. Jetzt vertritt eine Professorin von der Zahnmedizinischen Fakultät der Cairo University die Bahai in den Abrahamischen Teams.
Wie in Israel sind auch in Ägypten interreligiöse Begegnungen zunächst ungewohnt. Traditionell leben die Konfessionen mal mehr und mal weniger friedlich zusammen. Probleme gibt es vor allem im ländlichen Mittel- und Südägypten, wo sich konfessionelle und soziale Konflikte schnell vermischen und dann manchmal eskalieren. Dann kommt es zu anti-christlichen Übergriffen. „Wir müssen in die Dörfer gehen“, meint Kades, „denn dort liegen die Probleme, nicht in Kairo.“
Bisher ist es gelungen, 60 kirchliche Schulen unter anderem in Kairo, Fayoum, Beni Suef, Minya und Assiut sowie seit 2019 drei staatliche Schulen in Ismailiya und einer Stadt im Nildelta zu gewinnen. Für die kirchlichen Schulen ist es dann neu, wenn ein Moslem über den Islam informiert. Staatliche Schulen reagierten sehr reserviert auf die Anfrage, bedauert Kades. Er hofft aber, dass es in Zukunft gelingt, mehr von ihnen zu erreichen.
Vorurteile offen aussprechen
Die Abrahamischen Teams sprechen zunächst mit den Religions- und Sozialkundelehrern und dann mit den Elternvertretern über ihr Vorhaben. Erst wenn sowohl Eltern als auch Schulleitung und Lehrkräfte überzeugt sind, können sie auch in die Schulklassen gehen. So weit sei man aber noch nicht, meint Kades. Ängste und Vorbehalte müssen mühsam überwunden werden und dafür brauche man Geduld.
In den Begegnungen kommen viele Vorurteile auf den Tisch. Muslime sind falsch und hinterhältig, meinen die Christen häufig, während sich bei Muslimen das hartnäckige Vorurteil hält, dass Christen an drei Götter glauben. Nur im direkten Gespräch können solche Vorurteile ausgeräumt werden.
In Marokko ist das interreligiöse Klima in der Gesellschaft freier als in Ägypten. Hier gibt es eine jüdische Gemeinde. Sie wurde eingeladen, sich am Projekt Abrahamische Teams zu beteiligen, erste Kontakte zu islamischen Vertretern gibt es ebenfalls. Im Januar 2019 gab es an der Universität Rabat eine erste Veranstaltung mit hochrangigen Vertretern von Christen, Juden und Muslimen. Das mediale Interesse in Marokko war groß, das Projekt trifft hier auf ein neues Interesse am Judentum in Marokko.
Für dieses Jahr ist eine „abrahamische Karawane“ geplant, in der junge Juden, Christen und Muslime Veranstaltungen an verschiedenen Orten organisieren. Auch nach Tunesien gibt es bereits Kontakte. Aber nicht überall in der arabischen Welt ist ein Dialog der Religionen möglich. Nicht nur vom Krieg geschüttelte Länder wie Syrien scheiden aus. Auch im Libanon sind die konfessionellen Gegensätze dermaßen verhärtet, dass trotz aller Bemühungen der Initiatoren keine Begegnungen zustande kamen.
Claudia Mende
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