Afghanistans erste Graffiti-Künstlerin

Weitermachen aus Protest: Shamsia Hassani, Afghanistans erste Graffiti-Künstlerin.
Weitermachen aus Protest: Shamsia Hassani, Afghanistans erste Graffiti-Künstlerin.

Die Afghanin Shamsia Hassani malt Frauen, die von den Taliban bedroht werden. Trotz der Gefahr nach der Machtübernahme setzt sie ihr Werk des Widerstands fort. Ein Portrait von Cristina Burack

Von Cristina Burack

In den vergangenen Jahren konnte Shamsia Hassani bereits erste internationale Erfolge feiern. Als erste weibliche Graffiti- und Straßenkünstlerin Afghanistans, die durch ihr mutiges Eintreten für Frauenrechte von sich reden machte, nahm sie an Residenzprogrammen und Galerieausstellungen in zahlreichen nordamerikanischen, europäischen und asiatischen Ländern teil.

Sie landete 2014 auf der Liste der 100 wichtigsten globalen Denker, zusammengestellt von "Foreign Policy", einem US-Magazin mit Schwerpunkt Außenpolitik. Auch in "Good Night Stories for Rebel Girls", einer Sammlung mit Porträts von Frauen aus der ganzen Welt, die etwas bewegen, tauchte Hassani auf.

Seit die Taliban eine afghanische Provinz nach der anderen einnahmen und schließlich auch in Kabul die Macht übernahmen, sind Hassanis Werke noch mehr als zuvor eine politische Botschaft:

Zwei ihrer aktuellen Werke zeigen Mädchen in strahlend blauen Hidschabs, die von dunklen, bewaffneten Kämpfern bedroht werden.

Besonders unter den Frauen des Landes machen sich Angst und Verzweiflung breit, weil sie fürchten müssen, in einer patriarchalen, konservativen Männergesellschaft unterdrückt und missachtet zu werden.

Hassani erhielt Zehntausende Likes auf Instagram, ihre Bilder wurden tausendfach auf Facebook geteilt. Follower schrieben in ihren Kommentaren, dass sie für die die Frauen in Afghanistan und für die Sicherheit der in Kabul lebenden Hassani beteten.

Ein Gemälde zeigt eine Frau, die sich die Hände vors Gesicht hält. Sie kniet vor einem bewaffneten Mann, auf dem Boden liegt eine Pflanze; Foto: Shamsia Hassani
Hassanis Darstellung von Frauen: "Ihre Augen sind geschlossen, denn normalerweise gibt es für sie nichts Gutes zu sehen, nicht einmal ihre Zukunft. Aber das heißt nicht, dass sie blind sind"

In der vergangenen Woche hatten sich viele Frauen in Kabul in ihren Häusern verschanzt, Künstlerinnen und Künstler haben aus Angst vor Gewalt und Verfolgung Konten und Chats in sozialen Netzwerken gelöscht.

Nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban hielt sich auch Shamsia Hassani in den sozialen Medien erst malzurück, sodass sich ihre Anhängerschaft bereits um die Sicherheit der Künstlerin sorgte. Vor einer Woche (am 18.08.2021) veröffentlichte sie schließlich ein neues Bild ihrer jüngsten Serie: "Tod der Dunkelheit" heißt das Werk, mit dem Hassani deutlich macht, nicht aufgeben zu wollen.

Auf Anfrage teilte Hassanis Managerin mit, dass die Künstlerin nicht für ein Interview zur Verfügung stehe, sich aber an einem sicheren, nicht genannten Ort befinde.

Künstlerinnen doppelt gefährdet

Künstlerinnen befinden sich in doppelter Hinsicht in einer gefährlichen Lage: Sie sind als Frauen und als Kreative im Fokus der Taliban, die Kunst als Verstoß gegen ihre strenge Auslegung des islamischen Rechts sehen. "Einige Leute denken, dass Kunst im Islam nicht erlaubt ist, und glauben, sie müssten mich aufhalten. Wenn viele konservative Köpfe zusammenkommen, sind sie sehr mächtig und können alles tun", sagte Hassani 2016 in einem Interview der "Vice".

In einem zerstörten Klassenzimmer kniet eine Frau, aus deren Körper Wirbel an die Decke steigen; Foto: Shamsia Hassani
Hassani hat mit ihrer Kunst auch direkt auf die Angriffe der Taliban und anderer extremistischer Gruppen reagiert und dabei erschütternde Bilder von Schmerz und Verlust geschaffen, etwa im November 2020 nach einem Angriff auf die Universität Kabul, wo Hassani inzwischen Professorin für Bildende Kunst ist

Frauen sichtbar machen und Wahrnehmungen verändern

Die 1988 im Iran als Tochter afghanischer Flüchtlinge geborene Hassani begann 2010 mit Graffiti und Straßenkunst, nachdem sie ein Studium der Malerei und der bildenden Kunst an der Universität Kabul abgeschlossen hatte. Die prekäre Situation von Frauen und Mädchen in der von Männern dominierten afghanischen Gesellschaft steht seitdem im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

Sie wolle die Sicht auf afghanische Frauen verändern – auch auf jene, die Burkas tragen und ihren gesamten Körper verschleiern. "Ich versuche, sie größer zu zeigen, als sie in Wirklichkeit sind - und moderner. So wirken sie stärker. Ich versuche, die Menschen dazu zu bringen, sie anders zu betrachten", sagte sie dem Online-Magazin "Street Art Bio".

Hassani hat mit ihrer Kunst auch direkt auf die Angriffe der Taliban und anderer extremistischer Gruppen reagiert und dabei erschütternde Bilder von Schmerz und Verlust geschaffen, etwa im November 2020 nach einem Angriff auf die Universität Kabul, wo Hassani inzwischen Professorin für Bildende Kunst ist.

Ein Gemälde zeigt eine schwangere Frau, die ihren Bauch hält. Das Kind in ihrem Leib hält die Hände, als bedecke es die Ohren; Foto: Shamsia Hassani
Sie wolle die Sicht auf afghanische Frauen verändern – auch auf jene, die Burkas tragen und ihren gesamten Körper verschleiern. "Ich versuche, sie größer zu zeigen, als sie in Wirklichkeit sind - und moderner. So wirken sie stärker. Ich versuche, die Menschen dazu zu bringen, sie anders zu betrachten," sagt Hassani

Sie kann ihre Zukunft nicht sehen

Shamsia Hassanis Werke bringen ganz unterschiedliche Emotionen zum Ausdruck: Sehnsucht und Trotz, Hoffnung und Herzschmerz, Freiheit und Angst. Es sind meist geometrische Figuren in leuchtenden Farben. Lange, dichte Wimpern fallen über geschlossene Augen. Haare, die an Medusen-Tentakel erinnern, kommen unter Kopftüchern zum Vorschein. Die Figuren haben keine Münder, oft sind Elemente aus der Natur oder Instrumente integriert.

"Sie können Musikinstrumente verwenden, um mit Menschen zu kommunizieren, um lauter zu sprechen und mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, da sie keinen Mund haben. Aber dieses Musikinstrument gibt Macht, in der Gesellschaft die Stimme zu erheben", sagte Hassani 2018.

 

"Ihre Augen sind geschlossen, denn normalerweise gibt es für sie nichts Gutes zu sehen, nicht einmal ihre Zukunft. Aber das heißt nicht, dass sie blind sind", fügte die Künstlerin hinzu.

Auf den Straßen von Kabul arbeitete sie anfangs mit kleinen Graffiti, damit sie sich schnell bewegen konnte. Dann begann sie, ihre Graffiti direkt auf Schnappschüsse von Gebäuden zu malen. So entstand ihre "Dreaming Graffiti"-Serie. Ihr umfangreiches Werk besteht aus Graffiti, großformatigen Leinwänden bis hin zu Miniaturserien auf Dollarnoten – ein Kommentar zur US-Außenpolitik.

Trotz ihres Erfolgs in der Kunstwelt war Hassani, wie sie sagte, manchmal entmutigt, weil sie nicht in der Position sei, etwas zu bewirken. Trotzdem sei es ihr ein Anliegen, den Menschen durch ihre Arbeit Kraft und Stärke zu vermitteln: "Ich glaube, dass ich mit meiner Kunst die Sichtweisen der Menschen beeinflussen kann und meine Ideen mit ihnen teile."

Cristina Burack

© Deutsche Welle 2021

Adaption aus dem Englischen: Sabine Oelze